[Entscheide Nr. 25, 26, 27, 28, 29, 30, 31, 32, 33, 34, 35, 36, 37, 38, 39, 40]
II. Zivil- und Strafgerichte
Zivilrecht
– Mietvertrag: Anfechtung der Kündigung/Ausweisungsverfahren
Aus
den Erwägungen:
2. Die
Beklagte bestreitet, dass die Kündigung der Geschäftsräumlichkeiten durch die
Klägerin zu Recht erfolgt sei. Sie als unterlegene Partei habe zwar gegen den
Entscheid der Schlichtungsbehörde keine Klage eingereicht, doch sei dieser
Entscheid nicht in Rechtskraft erwachsen. Denn die Klägerin habe bereits am 17.
Februar 1999, also noch während des Fristenlaufs für die Anfechtung des
Entscheides der Schlichtungsbehörde, beim Einzelrichter im summarischen
Verfahren das Ausweisungsbegehren gestellt. Damit sei die Vorinstanz als
Ausweisungsbehörde auch für die Beurteilung der Wirkung der Kündigung
zwingend zuständig geworden. Deshalb habe die Beklagte nach Zustellung des
Entscheides der Schlichtungsbehörde den Einzelrichter im beschleunigten
Verfahren nicht angerufen, ansonsten dieser die entsprechende Klage gemäss Art.
274g Abs. 3 OR an die Ausweisungsbehörde hätte überweisen müssen.
a) Hat
die Schlichtungsbehörde einen Entscheid gefällt, so wird dieser rechtskräftig,
wenn die Partei, die unterlegen ist, nicht innert 30 Tagen den Richter anruft
(Art. 274f OR bzw. Art. 273 Abs. 5). Ficht der Mieter eine ausserordentliche Kündigung
an und ist ein Ausweisungsverfahren hängig, so entscheidet die für die
Ausweisung zuständige Behörde auch über die Wirkung der Kündigung, wenn der
Vermieter wegen Zahlungsrückstand des Mieters gekündigt hat (Art. 274g Abs. 1
Ingress und lit. a OR).
b) Die
Schlichtungsbehörde fasste ihren Entscheid, wonach die Kündigung der Klägerin
gültig und eine Erstreckung ausgeschlossen sei, am 4. Februar 1999. Dieser
Entscheid wurde am 8. Februar 1999 versandt und ist bei der Beklagten nach
eigenen Angaben am 10. Februar 1999 eingegangen. Im Zeitpunkt, in welchem die Klägerin
das Ausweisungsbegehren vor dem Einzelrichter im summarischen Verfahren rechtshängig
machte, am 17. Februar 1999, war deshalb das Verfahren über die Zulässigkeit
der Kündigung vor der Schlichtungsbehörde nicht mehr hängig; eine Überweisung
durch die Schlichtungsbehörde an den Ausweisungsrichter wäre nicht mehr möglich
gewesen. Eine solche hätte lediglich noch durch den Einzelrichter im
beschleunigten Verfahren erfolgen können, falls die Beklagte zuvor gegen den
Entscheid der Schlichtungsbehörde geklagt hätte. Zwar besteht zwischen der
Frist von Art. 274f Abs. 1 OR und dem Zeitpunkt des Entscheids der
Schlichtungsbehörde eine Lücke, da in der Zeitspanne zwischen der Entscheideröffnung
und der Anrufung des Richters oder deren Unterlassung ein Ausweisungsbegehren
gestellt werden kann (Higi, Zürcher Kommentar, 1996, N. 49 zu Art. 274g OR).
Doch ist zu berücksichtigen, dass es unter der Herrschaft der
Dispositionsmaxime den Parteien frei steht, einen Entscheid der Schlichtungsbehörde
zu akzeptieren oder ihn weiterzuziehen, und es auch trotz der beschränkten
Untersuchungsmaxime im Mietrecht nicht dem Ausweisungsrichter obliegt, nach
nicht hängigen Verfahren zu forschen. Will im Fall, in welchem in der
Zeitspanne zwischen Entscheideröffnung durch die Schlichtungsbehörde und
Anrufung des Richters nach Art. 274f Abs. 1 OR kein Verfahren hängig ist, eine
Partei das Kündigungsschutzbegehren im zwischenzeitlich angehobenen
Ausweisungsverfahren beurteilt wissen, gebietet es die Mitwirkungspflicht der
Parteien, dies dem Richter mitzuteilen bzw. diesen anzurufen. Denn die
Untersuchungsmaxime geht nicht so weit, dass der Ausweisungsrichter verpflichtet
wäre, die Partei anzufragen, ob sie den Entscheid der Schlichtungsbehörde
weiterziehen wolle (vgl. auch Higi, a.a.O., N. 49 und 51 zu Art. 274g). War
somit im Zeitpunkt des Entscheides des Ausweisungsrichters, am 22. März 1999,
das Kündigungsschutzverfahren nicht mehr hängig bzw. der Entscheid der
Schlichtungsbehörde vom 4. Februar 1999 in Rechtskraft erwachsen, hatte der
Ausweisungsrichter nicht auch über die Wirkungen der Kündigung nach Art. 257d
OR zu befinden (vgl. Higi, Zürcher Kommentar, 1996, N. 58 zu Art. 257d OR).
Damit waren widersprüchliche Entscheide von Ausweisungs- und Kündigungsbehörde
nicht mehr denkbar (vgl. BGE 119 II 141, E. 4a, S. 143 sowie Higi, a.a.O., N. 58
zu Art. 257d OR).
Im
vorderrichterlichen Verfahren beantragte die Beklagte mit Klageantwort vom 17. März
1999 die Abweisung des klägerischen Ausweisungsbegehrens. Zur Begründung führte
sie aus, sie habe gegen die ausstehende Mietzinsforderung der Klägerin
verrechnungsweise Gegenforderungen geltend gemacht. Die Beklagte machte demnach
geltend, die Kündigung des Mietverhältnisses gemäss Art. 257d OR durch die Klägerin
sei nicht rechtens. Damit konnte sie im vorderrichterlichen Verfahren indessen
nicht gehört werden. Denn die Zuständigkeit des Ausweisungsrichters zur Überprüfung
der Zulässigkeit der Kündigung und des Ausschlusses der Erstreckung des
Mietverhältnisses hätte nur durch die Beklagte herbeigeführt werden können,
indem sie nach Art. 273 Abs. 5 bzw. Art. 274f OR innert 30 Tagen seit Zustellung
des schlichtungsbehördlichen Entscheides vom 4. Februar 1999 den Einzelrichter
im beschleunigten Verfahren hätte anrufen müssen, der dann die Sache dem
Ausweisungsrichter im summarischen Verfahren hätte überweisen müssen. Nach
Ablauf dieser 30-tägigen Frist kann der Ausweisungsrichter aber dem
Ausweisungsbegehren stattgeben (Higi, a.a.O., N. 49 zu Art. 274g OR). Denn mit
Ablauf der Frist zur Anhängigmachung der Klage wird der Entscheid der
Schlichtungsbehörde von Bundesrechts wegen rechtskräftig (Higi, Zürcher
Kommentar, 1996, N. 140 zu Art. 273 OR und N. 81 zu Art. 274f OR). Dies
war vorliegend bereits im Zeitpunkt der Klageantwort vom 17. März 1999 der
Fall, da der Beklagten dieser Entscheid am 10. Februar 1999 zugegangen war und
sie gegen diesen Entscheid vor dem Einzelrichter im beschleunigten Verfahren
keine Klage eingereicht hatte. Es war dem Ausweisungsrichter somit verwehrt,
auch über die Zulässigkeit der Kündigung bzw. die Gegenforderungen der
Beklagten zu befinden.
c)
Zusammenfassend ist festzuhalten, dass der Ausweisungsrichter für die
Beurteilung der Zulässigkeit der Kündigung und der Erstreckung des Mietverhältnisses
nicht zuständig war. Der Vorderrichter durfte und musste aufgrund des rechtskräftigen
Entscheides der Schlichtungsbehörde vom 4. Februar 1999 davon ausgehen, dass
die Kündigung im Sinne von Art. 257d OR zu Recht erfolgt sei und hatte
lediglich über die Ausweisung zu befinden. Daher ist der Rekurs der Beklagten
abzuweisen und die angefochtene Verfügung vom 22. März 1999 zu bestätigen.
...
4.
Beim vorliegenden Ausweisungsbefehl handelt es sich um ein Sachurteil mit
unbeschränkter Rechtskraftwirkung. Damit liegt ein Endentscheid im Sinne von §
48 Abs. 1 OG vor, und der Beklagten steht als Rechtsmittel die Berufung an das
Bundesgericht offen, sofern der Streitwert wenigstens Fr. 8000.– beträgt
(Art. 46 OG; BGE 122 III 92, E. 2b, S. 94).
Für
das Ausweisungsverfahren gilt nach der Praxis des Bundesgerichts der in der
streitigen Periode fällig werdende Mietzins als Streitwert (BGE 104 II 270, E.
1, S. 273; Higi, a.a.O., N. 72 zu Art. 274g OR). Die «streitige Periode»
beginnt im Ausweisungsverfahren in jenem Zeitpunkt, auf den der Beklagte nach
Ansicht der klagenden Partei das Mietobjekt hätte verlassen müssen, und sie
endet am Tage, auf den der Vermieter das Mietverhältnis ordentlicherweise hätte
auflösen können, falls sein Begehren erstinstanzlich abgewiesen worden wäre (BGE
111 II 384, E. 1, S. 385f., 119 II 147, E. 1, S. 148f.).
Im
vorliegenden Verfahren sprach die Klägerin die Kündigung auf den 31. Dezember
1998 aus. Als Stichtag für die Beurteilung der Frage, auf welchen Termin die Klägerin
ordentlicherweise hätte kündigen können, gilt der Zeitpunkt des
erstinstanzlichen Entscheids, somit der 22. März 1999. Die Klägerin hätte den
Mietvertrag frühestens mit einer Frist von sechs Monaten auf einen ortsüblichen
Termin oder, wenn es keinen Ortsgebrauch gibt, auf Ende einer dreimonatigen
Mietdauer ordentlich kündigen können (Art. 266d OR). Da der monatliche
Mietzins Fr. 2500.– beträgt, beläuft sich der in der «streitigen Periode»
fällig werdende Mietzins offensichtlich auf mehr als Fr. 8000.–, weshalb der
Streitwert für die Berufung an das Bundesgericht erreicht ist.
(Beschluss
vom 29.9.1999; KG 155/99 RK 1).
(Zwischenzeitlich
vom Schweizerischen Bundesgericht bestätigt).
Zivilrecht
– Zur Sicherung eines altrechtlichen Gewinnanspruches nach Art.
218quinquies aOR kann sich der Verkäufer auf Art. 34 BGBB berufen und gestützt
auf Abs. 3 dieser neurechtlichen Bestimmung die vorläufige Eintragung des
Gewinnanspruches ohne das Einverständnis des Eigentümers vormerken lassen.
Aus
den Erwägungen:
1. Der
Beschwerdeführer macht geltend, der altrechtliche gesetzliche Gewinnanspruch
nach Art. 218quinquies aOR könne auf einseitiges Gesuch hin durch eine
Vormerkung nach neuem Recht gemäss Art. 34 Abs. 3 BGBB gesichert werden. Der
Beschwerdegegner hält dagegen, eine solche Sicherung bedürfe auch der
Zustimmung des belasteten Grundeigentümers.
2.
Art. 34 BGBB betrifft die Sicherung des Gewinnanspruches der Miterben und sieht
vor, dass die Vormerkung auf einseitiges Begehren des Berechtigten erfolgt.
Dagegen bezieht sich das Gewinnanspruchsrecht im Sinne von Art. 41 BGBB auf
jeden Veräusserer eines landwirtschaftlichen Gewerbes oder Grundstückes, ist
vertraglicher Natur und wird den Bestimmungen über den Gewinnanspruch der
Miterben nach Art. 28ff. BGBB unterstellt (Art. 41 Abs. 1 BGBB).
Der
Gewinnanspruch des Beschwerdeführers beruht auf Art. 218quinquies aOR, wonach
der Verkäufer Anspruch auf den Gewinn hat, wenn ein Grundstück, das er auf
einen Erben übertragen hat, weiterveräussert oder enteignet wird. Er besteht
demnach von Gesetzes wegen, basiert also nicht auf einem Vertrag. Mit öffentlich
beurkundetem, zwischen dem Beschwerdeführer und seinem Sohn geschlossenen
Kaufvertrag vom 5. Februar 1991 wurde auf der Kaufliegenschaft das
Gewinnanspruchsrecht gemäss Art. 218quinquies aOR zugunsten des Beschwerdeführers
zur Vormerkung angemeldet.
Der
Gewinnanspruch des Beschwerdeführers behält unter dem neuen BGBB seine Gültigkeit
(Art. 94 Abs. 3 BGBB). Dies gilt auch für den Gewinnanspruch im Anschluss an
den Verkauf an einen Präsumtiverben im Sinne von Art. 218quinquies aOR (vgl.
BBl 1988, III 1067, Botschaft zum BGBB). Soweit vertraglich nichts Abweichendes
vereinbart worden ist, richten sich jedoch Fälligkeit und Berechnung nach dem
Recht, das im Zeitpunkt der Veräusserung gilt (Art. 94 Abs. 3 Satz 2 BGBB). Die
nach altem Recht, also vor dem 1. Januar 1994 erfolgte Vormerkung bleibt rechtsgültig
(vgl. Art. 17 Abs. 3; SchlTZGB Henny/Hotz/Studer, in Das bäuerliche Bodenrecht,
1995, N. 21 zu Art. 94 BGBB; Beeler, Bäuerliches Erbrecht, Diss. Zürich, 1998,
S. 487). Da zudem der Gewinnanspruch des Beschwerdeführers nach Art.
218quinquies aOR im Zeitpunkt des Inkrafttretens des BGBB noch bestand, kann er
im Sinne von Art. 34 BGBB durch die vorläufige Eintragung eines Pfandrechts
gesichert werden, vorausgesetzt, dass die entsprechenden Bedingungen dieser
Bestimmung erfüllt sind (Henny/Hotz/Studer, a.a.O., N. 22 zu Art. 94 BGBB;
Beeler, a.a.O., S. 487). Da es sich in casu um einen gesetzlichen Gewinnanspruch
handelte, kann offen bleiben, ob rein vertragliche, vor 1994 vereinbarte
Gewinnansprüche eine Vereinbarung über die Vormerkung einer vorläufigen
Eintragung des Grundpfandes voraussetzen, wenn das alte Recht keine derartige
Sicherungsmöglichkeit vorsah (vgl. Henny/Studer/Hotz, a.a.O., N. 24 zu Art. 94
BGBB).
Nach
dem Gesagten bleibt somit festzuhalten, dass der Beschwerdeführer seinen
altrechtlichen Gewinnanspruch im Sinne von Art. 34 BGBB durch die vorläufige
Eintragung eines Pfandrechts sichern kann, falls die Bedingungen dieser
neurechtlichen Bestimmung erfüllt sind.
3. Zur
Sicherung des neurechtlichen Gewinnanspruches bedarf es eines einseitigen
Begehrens an das Grundbuchamt (Art. 34 Abs. 3 BGBB). Ein solches Begehren ist
als einfacher Auftrag aufzufassen. Deshalb kann jeder der Miterben unabhängig
von den anderen und ohne das Einverständnis des Eigentümers die vorläufige
Eintragung des Gewinnanspruches vormerken lassen (Henny, in Das bäuerliche
Bodenrecht, 1995, N. 9 zu Art. 34 BGBB).
Daran
vermögen auch Art. 961 Abs. 2 ZGB und Art. 75 Abs. 1 GBV nichts zu ändern,
wonach es für die Vormerkung vorläufiger Eintragungen der schriftlichen
Einwilligung des Eigentümers und der übrigen Beteiligten bedarf. Denn mit dem
BGBB wurde ein Spezialgesetz geschaffen mit der Folge, dass das Zivilgesetzbuch
und das Obligationenrecht nur dort zum Zuge kommen, wo das BGBB keine
abweichende Lösung enthält (vgl. BBl 1988 III 967, Botschaft zum BGBB).
Schliesslich
vermag auch der Umstand, dass der Beschwerdeführer bereits vor Inkrafttreten
des BGBB über einen bestehenden Gewinnanspruch verfügte, eine erneute
Vormerkung nach neuem Recht nicht auszuschliessen. Denn zur Interessenwahrung
bedarf der Beschwerdeführer einer nochmaligen Vormerkung nach heutigem Recht,
bestand doch nach altem Recht lediglich eine solidarische Haftung des Erwerbers
für den Gewinnanspruch (vgl. Henny/Studer/Hotz, a.a.O., N. 21 zu Art. 94 BGBB).
Es ist nicht einzusehen, weshalb einem «altrechtlich Berechtigten» das
neurechtliche Sicherungsrecht nicht zuzusprechen ist, zumal der Veräusserer
nach Art. 218quinquies aOR dem Erwerber in der Regel einen Vorzugspreis einräumte
(vgl. BGE 120 V 10, E. 4a, S. 13).
(Beschluss
vom 26.4.1999; KG 456/98 RK 1).
Zivilrecht
– Eine Grünhecke ist so anzulegen, dass sie auch im ausgewachsenen Zustand
überall die Abstandsvorschriften einhält.
Aus
den Erwägungen:
1. Der
Kläger ist Eigentümer von GB 631 KTN 639 Reichenburg, die Beklagte Eigentümerin
der südöstlich angrenzenden GB 704 KTN 596 Reichenburg. Entlang der
gemeinsamen Grenze hat die Beklagte mit einem Abstand von ca. 0.5 m auf eine Länge
von ca. 8 m eine Thuja-Hecke gepflanzt. Mit Schreiben vom 6. November 1996
verlangte der Beklagte, dass die neu gepflanzten Sträucher nicht höher als 1,2
m hoch werden dürften.
Am 6.
September 1999 wurde ein Augenschein durchgeführt. Dabei wurde festgestellt,
dass die Thuja-Hecke eine Höhe bis 2 m aufwies und die Thuja-Stämme ca. 0.5 m
von der Grenze gesetzt waren.
3. Gemäss
§ 57 Einführungsgesetz zum schweizerischen Zivilgesetzbuch vom 14. September
1978, EGzZGB; nGS 175) dürfen Einfriedungen mit einer Höhe von 1.20 m an die
Grenze gestellt werden; Einfriedungen mit einer Höhe von mehr als 1.20 m bis 2
m dürfen bis einen halben Meter an die Grenze gestellt werden; für höhere
Einfriedungen gilt der Grenzabstand des kantonalen Baugesetzes (Planungs- und
Baugesetz vom 14. Mai 1987; nGS 493).
Einfriedungen
können erstellt werden als Zäune, Mauern oder Grünhecken. Letztere
unterscheiden sich von Bepflanzungen im Sinne von § 59 EGzZGB durch eine
mehrdimensionale Anordnung, die eine Abgrenzung bezweckt. Dass Grünhecken nicht
als Bepflanzungen, für welche der Abstand gemäss § 59 EGzZGB gilt (vgl.
Waldis, Das Nachbarrecht, S. 129), zu qualifizieren sind, ergibt sich nicht nur
aus der Natur der Sache, sondern auch aus der Systematik des kantonalen
Nachbarrechts: Unter dem Marginale «II. Einfriedungen / 1. Erstellung und
Unterhalt» führt § 56 II EGzZGB die Grünhecken auf, die jährlich zurückzuschneiden
seien. So hat denn auch der Einzelrichter des Bezirkes Höfe im Entscheid vom 1.
Oktober 1979 (EGV-SZ 1979, S. 71f.) die Thuja-Hecke als Einfriedung
qualifiziert.
Strittig
ist vorliegend, von welchem Teil der Thuja-Pflanze der Abstand zu messen ist.
Die Beklagte geht offensichtlich davon aus, dass der Stamm massgeblich sei.
Diese Ansicht ist unrichtig. Wegen des horizontalen Wachstums des Geästes
verringert die Pflanze laufend den Grenzabstand. Sie muss darum so weit von der
Grenze gesetzt werden, dass ihre Ausmasse die gesetzlichen Abstände bzw. Höhen
wahrt. Es ist daher nicht zulässig, eine Grünhecke unmittelbar an die Grenze
zu pflanzen, wenn deren Äste auf das Nachbargrundstück zu ragen kommen. Mit
anderen Worten ist eine Grünhecke so anzulegen, dass sie im voraussichtlichen
ausgewachsenen Zustand überall die Abstandsvorschriften erfüllt.
Im
vorliegenden Fall ragen die Äste der 2 m hohen Thuja in den Grenzabstand, und
die Beklagte hätte die Hecke auf der Westseite bis an den Stamm oder eine Höhe
von 1.2 m zurückzuschneiden und unter der Schere zu halten. Die Klage erweist
sich somit als begründet.
(Einzelrichter
der March, SV 99 136 vom 7. September 1999).
Zivilprozessrecht
– Vollstreckung eines ausländischen Urteils (LugÜ); Werbeverbot im
Internet.
Aus
den Erwägungen:
1. Die
angefochtene Verfügung ist im Befehlsverfahren zur Vollstreckung des rechtskräftigen
Versäumungsurteils des Landesgerichts Feldkirch vom 20. Januar 1998 ergangen (§
232 Abs. 1 ZPO i.V.m. § 176 Ziff. 1 ZPO). Es handelt sich um eine
Erledigungsverfügung im Vollstreckungsverfahren, weshalb der Rekurs dagegen zulässig
ist (§ 204 Abs. 1 ZPO; vgl. Frank/Sträuli/Messmer, Kommentar zur zürcherischen
Zivilprozessordnung, 3. Aufl. 1997, N. 2 zu § 272 ZPO ZH). Der Streitwert ist
unbestimmbar. Damit ist vorliegend die Nichtigkeitsbeschwerde ausgeschlossen (§
215 ZPO). Die klägerische Eingabe vom 3. September 1998 ist deshalb nicht als
Nichtigkeitsbeschwerde, sondern als Rekurs zu behandeln.
2. Die
Schweizerische Eidgenossenschaft schloss mit der Republik Österreich am 16.
Dezember 1960 einen Vertrag über die Anerkennung und Vollstreckung
gerichtlicher Entscheidungen (SR 0.276.191.632), mit dessen Inkrafttreten der frühere
zwischen diesen beiden Staaten geschlossene Vertrag vom 15. März 1927 grundsätzlich
ausser Kraft gesetzt wurde (Artikel 16 des Vertrages vom 16. Dezember 1960).
Dieser Staatsvertrag wird indessen durch das Übereinkommen über die
gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen
in Zivil- und Handelssachen, abgeschlossen in Lugano am 16. September 1988
(nachfolgend: LugÜ; SR 0.275.11), in Bezug auf die Rechtsgebiete ersetzt, auf
welche das LugÜ anzuwenden ist (vgl. Art. 55 i.V.m. Art. 54 Abs. 2, Art. 56 LugÜ
und Art. 1 LugÜ). Demnach gelangen vorliegend die Bestimmungen des LugÜ zur
Anwendung.
3. a)
Die in einem Vertragsstaat ergangenen Entscheidungen, die in diesem
Vertragsstaat vollstreckbar sind, werden in einem anderen Vertragsstaat
vollstreckt, wenn sie dort auf Antrag eines Berechtigten für vollstreckbar erklärt
worden sind (Art. 31 LugÜ). Die örtliche Zuständigkeit wird durch den
Wohnsitz des Schuldners bestimmt (Art. 32 Abs. 2 LugÜ).
Unter
Vollstreckbarerklärung ist ein Entscheid zu verstehen, in dem festgehalten
wird, dass ein ausländisches Urteil, weil die entsprechenden Voraussetzungen
erfüllt sind, in der Schweiz anerkannt ist und es hier rechtlich relevante
Wirkungen zu entfalten vermag (Volken, in IPRG Kommentar, 1993, N. 10 zu Art. 28
IPRG). Die Vollstreckung dagegen betrifft die Zurverfügungstellung von
Zwangsmitteln zur Durchführung des Entscheides (Schwander, Einführung in das
internationale Privatrecht, Allgemeiner Teil, 2. Aufl. 1990, Rz. 693) bzw. die
zwangsweise Verwirklichung eines Leistungsurteils. Dies bedeutet, dass ein
staatliches Organ der Zwangsvollstreckung in Ausübung seiner hoheitlichen
Befugnisse tätig wird, um einem Schuldner gegenüber ein gerichtliches Urteil,
eine gerichtlich angeordnete Leistungspflicht durchzusetzen. Dies geschieht etwa
dadurch, dass dem Schuldner eine bestimmte Sache mit Polizeigewalt weggenommen
wird, um sie dem Berechtigten zu übergeben (Volken, a.a.O., N. 8 zu Art. 28
IPRG mit Verweis auf die Literatur).
b)
aa)
Da der Beklagte seinen Wohnsitz in ... hat, ist der Einzelrichter ... für die
Vollstreckbarerklärung wie auch für die Vollstreckung des Versäumungsurteils
des Landesgerichts Feldkirch vom 20. Januar 1998 zuständig.
bb)
Der Vorderrichter hat das Versäumungsurteil des Landesgerichts Feldkirch zu
Recht als vollstreckbar erklärt, da die betreffenden Voraussetzungen erfüllt
sind (vgl. Leuenberger, in AJP 8/92, S. 969 und angef. Verfügung, S. 5, Ziff.
3, lit. A–C). Er hat indessen die Vollstreckbarerklärung im Urteilsdispositiv
nicht festgehalten, wie dies die Klägerin in Antrag Ziffer 1 verlangt hat.
Das in
Art. 31ff. LugÜ geregelte Exequaturverfahren bezweckt, das ausländische Urteil
für vollstreckbar zu erklären. Dies geschieht durch die sog.
Vollstreckbarkeits- oder Exequaturklausel (vgl. Botschaft zum LugÜ vom 21.
Februar 1990, BBl 1990, II 265ff., S. 326). Das LugÜ geht grundsätzlich bei
Urteilen, die nicht auf eine Geldleistung lauten, von einem Exequatur- und einem
Vollstreckungsverfahren aus (vgl. BBl 1990, II, S. 327; Walder, Anerkennung und
Vollstreckung von Entscheidungen, in Das Lugano-Übereinkommen, Hrsg. Ivo
Schwander, St. Galler Studien zum internationalen Recht, St. Gallen 1990, S.
148; Stoffel, SZW 1993, S. 107ff.). Das schwyzerische Prozessrecht ging bis
anhin von einer inzidenten Vollstreckbarkeitsprüfung aus; das heisst, der
positive Vollstreckungsentscheid enthielt auch den Exequaturentscheid, weshalb
§ 230 Abs. 2 ZPO als Ausnahme auch die Möglichkeit vorsieht, auf Begehren
einer Partei über die Frage der Vollstreckbarkeit einen besonderen Entscheid zu
treffen. Verlangt eine Partei einen separaten Exequaturentscheid über die
Vollstreckbarkeit von Entscheiden, die nicht auf Geldzahlung lauten, steht
angesichts der vorgenannten Regelung im LugÜ und in § 230 ZPO einem solchen
Begehren nichts im Wege, zumal – nach Zürcher Praxis – selbst bei
einheitlichem Vollstreckungsbegehren der Entscheid über die Vollstreckung bis
zum Eintritt der Rechtskraft der Vollstreckbarkeitserklärung ausgesetzt werden
kann (vgl. ZR 90/1991, Nr. 35). Der Rekurs ist daher insoweit gutzuheissen, und
es ist festzustellen, dass das Urteil des Landesgerichts Feldkirch vom 20.
Januar 1998 vollstreckbar ist.
4. Die
Klägerin bringt vor, Dispositiv-Ziffer 2 der angefochtenen Verfügung, wonach
dem Beklagten befohlen werde, bei der Werbung im Internet für die aufgeführten
Produkte den Hinweis anzubringen, dass im Hoheitsgebiet der Republik Österreich
diese Produkte nicht erhältlich seien, widerspreche dem Inhalt des Versäumungsurteils
des Landesgerichts Feldkirch vom 20. Januar 1998 wie auch der Dispositiv-Ziffer
1.1 der angefochtenen Verfügung. Danach sei dem Beklagten ausdrücklich
verboten worden, zumindest in Österreich für die fraglichen Produkte Werbung
zu betreiben. Die vom Vorderrichter dem Beklagten eingeräumte Möglichkeit,
weiterhin auf österreichischem Hoheitsgebiet im Internet präsent zu sein,
mache das in Dispositiv-Ziffer 1.1 der angef. Verfügung ausgesprochene
Werbeverbot illusorisch. Durch den Hinweis, dass im Hoheitsgebiet der Republik
Österreich diese Produkte nicht erhältlich seien, würden die Produkte erst
recht interessant. Deshalb müsse dem Beklagten jegliche Werbung, auch jene über
Internet, auf dem Hoheitsgebiet der Republik Österreich verboten werden. Dies könne
dadurch erfolgen, dass der Beklagte auf die Internet-Werbung grundsätzlich,
also weltweit verzichte, oder mit sämtlichen Providern auf dem Hoheitsgebiet
der Republik Österreich eine Vereinbarung treffe, wonach seine Internet-Werbung
für die fraglichen Produkte gesperrt bzw. der Zugriff auf seine Web-Sites durch
österreichische Internet-Benutzer verunmöglicht werde.
Der
Beklagte hält dagegen, es sei technisch undurchführbar, die beklagtische
Internet-Werbung nur für die Republik Österreich zu sperren bzw. den Zugriff
auf die Web-Sites des Beklagten durch österreichische Internet-Benutzer zu
verunmöglichen. Das klägerische Begehren könne deshalb nur so aufgefasst
werden, dem Beklagten solle weltweit verboten werden, für seine Produkte im
Internet zu werben, was aus rechtsstaatlichen Gründen nicht erlaubt sei.
a)
Eines der hervorragenden Merkmale des Internet ist seine Globalität. Es ist mit
all seinen Inhalten international in fast jedem Land der Erde verfügbar. Wo die
Informationen eingespiesen werden, spielt keine Rolle mehr. Eine Web-Site in
Australien lässt sich genauso einfach abrufen wie ein Internet-Angebot aus der
Schweiz. Oft ist nicht einmal sicher, ob eine Web-Site wirklich in der Schweiz
steht, selbst wenn ihr Domain-Name mit «.ch» endet (Rosenthal, Projekt
Internet, 1997, S. 203).
Es ist
zwar technisch möglich, den Zugriff auf ein Internet-Angebot eines Providers für
(die Mehrheit der) Benutzer aus einem bestimmten Land ganz zu sperren. Dazu wird
die Adressnummer des Benutzerrechners verwendet (Rosenthal, a.a.O., S. 211). Die
Klägerin verlangt aber die Verpflichtung sämtlicher Provider im Hoheitsgebiet
der Republik Österreich, die beklagtische Web-Sites für alle österreichische
Internet-Benutzer zu sperren. Eine solche Massnahme wäre indessen nicht verhältnismässig
(vgl. Frank/Sträuli/Messmer, a.a.O., N. 1a zu § 306 ZPO ZH), zumal damit nicht
verhindert werden könnte, dass österreichische Internet-Benutzer sich über
einen Rechner im Ausland auf die beklagtischen Web-Sites schalten lassen, was über
spezielle Internet-Dienste für solche Zwecke relativ einfach möglich ist (vgl.
Rosenthal, a.a.O., S. 211). So kann etwa ein Provider in Österreich sein
Internet-Angebot auch auf einem Web-Server auf den Cayman-Inseln «off-shore»
zur Verfügung stellen. Der geographische Standort des Computers für den
Abrufer ist daher nicht relevant; er muss lediglich die richtige Adresse
eintippen und wird sodann verbunden (Rosenthal, Das auf unerlaubte Handlungen im
Internet anwendbare Recht am Beispiel des Schweizer IPR, in AJP 11/97, S. 1341).
Kommt hinzu, dass jederzeit neue österreichische Provider auf den Markt treten
können und ihrerseits eine Sperre veranlassen müssten.
Noch
weniger entspräche es dem Grundsatz der Verhältnismässigkeit, wenn in jedem
österreichischen Haushalt mit Internetanschluss eine Sperre für die Web-Sites
des Beklagten installiert würde, zumal die Anzahl solcher Haushalte ständig
zunimmt. Solche Sperren eignen sich dagegen für Unternehmen, die verhindern
wollen, dass ihre Mitarbeiter bestimmte, zum Beispiel gefährliche Daten aus dem
Internet abrufen können (Rosenthal, Projekt Internet, S. 7).
b)
Nach dem Gesagten könnte das Verbot, jegliche Werbung, auch jene über
Internet, auf dem Hoheitsgebiet der Republik Österreich mit verhältnismässigem
Aufwand nur durchgesetzt werden, wenn dem Beklagten weltweit verboten würde, für
seine Produkte im Internet zu werben.
Aufgrund
der Anerkennung im Sinne von Art. 26 ff. LugÜ können einem Urteil im Inland
nicht mehr Wirkungen als im Urteilsstaate beigelegt werden. Das Urteil des
Vollstreckungsrichters kann somit keinesfalls weitergehen als das zu
vollstreckende Urteil selber.
Das
Versäumungsurteil des Landesgerichts Feldkirch hält zwar nicht ausdrücklich
fest, dass seine Wirkungen auf das Hoheitsgebiet von Österreich zu beschränken
sind. Doch kann aus diesem Urteil eine auf Österreich beschränkte Wirkung
abgeleitet werden, denn einerseits beruht das Urteil lediglich auf nationalem österreichischem
Recht; offenbar wurde das österreichische Arzneimittelgesetz und UWG verletzt,
womit aber noch lange nicht feststeht, dass der Beklagte auch gegen Rechtsnormen
anderer Länder verstösst, wenn er dort für seine Arzneimittel wirbt, diese
bereithält, abgibt oder vertreibt. Andererseits ist in der Urteilserkenntnis
die Rede vom «Bundesministerium für Gesundheit und Konsumentenschutz», vom
Verbot, die fraglichen Arzneimittel «für die Abgabe im Inland bereitzuhalten»
und von der Veröffentlichung des Urteils «in einer Gesamtausgabe der
Tageszeitung Neue Kronen-Zeitung» (vgl. Dispositiv-Ziffer 1.1, 1.3 und 2.),
woraus sich ebenfalls die auf Österreich beschränkte Wirkung ergibt. Darüber
hinaus ist ein inländisches Gericht nicht befugt, den Wirkungsbereich eines
Verbots über seine Grenzen hinaus festzulegen, da jeder Staat über die selbständige,
höchste Staatsgewalt verfügt, die sich insbesondere auch in der Justiz
manifestiert (vgl. Häfelin/Haller, Schweizerisches Bundesstaatsrecht, 1988, Rz.
158). Deshalb ist es unzulässig, dem Beklagten weltweit zu verbieten, für
seine Produkte im Internet zu werben.
c) Ob
insbesondere der Internetvertrieb von ... nach materiellem schweizerischem Recht
zulässig ist oder nicht, ist vorliegend ohne Belang und kann deshalb offen
bleiben. Denn in diesem Verfahren ist lediglich die Vollstreckung des Versäumungsurteils
des Landesgerichts Feldkirch vom 20. Januar 1998 zu prüfen und anzuordnen. Die
materielle Prüfung dieses Urteils nach schweizerischem oder österreichischem
Recht bildet dagegen nicht Gegenstand dieses Verfahrens.
d)
Nach Dispositiv-Ziffer 1 der angefochtenen Verfügung wird dem Beklagten
jegliche Werbung im Hoheitsgebiet der Republik Österreich verboten. Es trifft
deshalb zu, dass der vom Vorderrichter in Dispositiv-Ziffer 2 des gleichen
Entscheides verfügte Befehl, wonach der Beklagte bei der Werbung im Internet für
die fraglichen Arzneimittel den Hinweis anzubringen habe, dass im Hoheitsgebiet
der Republik Österreich diese Produkte nicht erhältlich seien, mit dem vorerwähnten
absolut formulierten Verbot nicht genau korreliert. Doch lässt sich dieser
Umstand unter Beachtung des Souveränitätsgrundsatzes mit einer verhältnismässigen
Anordnung nicht beheben, weshalb die Formulierung in Dispositiv-Ziffer 2 der
angefochtenen Verfügung als einzig sachgerechte Lösung zu betrachten ist.
(Beschluss
vom 7.6.1999; KG 367/98 RK 1).
Zivilprozessrecht
– Rechtsbehelf bei superprovisorischer Verfügung ist nur die Einsprache.
Aus
den Erwägungen:
Der
Rekurs richtet sich gegen die Verfügung des Einzelrichters vom 28. Januar 1999,
mit welcher dieser die am 21. Januar 1999 superprovisorisch verfügten
Anordnungen vollumfänglich und mit sofortiger Wirkung aufgehoben hat. Er hielt
– nach Anhörung des Beklagten – die Glaubhaftmachung der klägerischerseits
geltend gemachten Ansprüche nicht für gegeben, weshalb sich eine
Aufrechterhaltung der am 21. Januar 1999 verfügten Massnahmen nicht mehr
rechtfertigen lasse. Der Vorderrichter hält in Dispositiv-Ziffer 3 fest, dass
gegen diesen Entscheid kein ordentliches Rechtsmittel gegeben sei.
Die Klägerin
hält demgegenüber dafür, es sei das Rechtsmittel des Rekurses nach § 204 ZPO
zulässig. Das für arbeitsrechtliche Streitigkeiten vorgesehene beschleunigte
Verfahren richte sich nach den Vorschriften des ordentlichen Verfahrens (§ 188
ZPO). Für die vorsorglichen Massnahmen gelte somit § 99 ZPO in Verbindung mit
§ 176 ZPO. Bei den fraglichen Verfügungen handle es sich um Erledigungsverfügungen,
womit gegen die angefochtene Verfügung der Rekurs nach § 204 ZPO, allenfalls
nach § 203 Ziff. 1 und Ziff. 4 ZPO gegeben sei.
Wie
die Klägerin richtig festhält, richten sich im ordentlichen Verfahren die
vorsorglichen Massnahmen nach § 99 ZPO. Vorgängig zum Entscheid über die
provisorische Massnahme kann sofort und ohne Anhörung der Gegenpartei eine vorläufige
Anordnung ergehen, welche gemeinhin als superprovisorische Verfügung bezeichnet
wird. Das Institut der superprovisorischen Verfügung ist für das schwyzer
Prozessrecht in § 79 GO geregelt. Im Gegensatz zum Zürcher Prozessrecht, das
in § 110 Abs. 2 ZPO ZH eine
Bestimmung über superprovisorische Massnahmen enthält, hat der Gesetzgeber in
§ 99 ZPO darauf verzichtet, eine entsprechende Regelung aufzunehmen, offenbar
in der Meinung, § 79 GO räume dem
Richter die Möglichkeit zum Erlass vorläufiger Verfügungen bereits ein (EGV-SZ
1985, Nr. 38, E. 3c).
Nach
§ 79 Abs. 1 GO trifft der Gerichtspräsident in dringlichen Fällen
vorsorgliche Massnahmen. Absatz 2, der fast wörtlich mit § 110 Abs. 2 ZPO ZH
übereinstimmt, ordnet an, mit Erlass der vorsorglichen Massnahme setze der Präsident
den Beteiligten eine Frist von höchstens 10 Tagen zur Einsprache an das Gericht
an, unter der Androhung, dass es im Säumnisfall bei der vorläufigen Anordnung
sein Bewenden habe. Die Rechtsfolge der Einsprache gegen eine superprovisorische
Massnahme besteht grundsätzlich darin, dass der einstweilige Massnahmeentscheid
dahinfällt und der Richter das Verfahren, das in einen definitiven
Massnahmeentscheid mündet, einzuschlagen hat (EGV-SZ 1985, Nr. 38, E. 3c).
Einziges
Rechtsmittel gegen eine ohne Anhörung der Gegenpartei verfügte
superprovisorische Massnahme ist die Einsprache (so auch für das Zürcher
Recht, Frank/Sträuli/Messmer, Kommentar zur zürcherischen Zivilprozessordnung,
3. Aufl., N. 73 zu § 110 ZPO ZH). Geht eine Einsprache ein, so bleibt die
Massnahme bestehen, bis der Richter über die Aufrechterhaltung der Massnahme
entschieden hat. Hiezu hat er grundsätzlich – bei entsprechendem Antrag –
das Verfahren weiterzuführen, welches zu einem definitiven Entscheid über die
vorsorgliche Massnahme führt. Gegen den definitiven Massnahmeentscheid ist in
der Folge der Rekurs gegeben (§ 203 Ziff. 4 ZPO).
Wie
auch das Obergericht des Kantons Zürich ausführt, sind der Erlass oder die
Verweigerung von superprovisorischen Anordnungen durch den Einzelrichter weder
mittels Rekurs noch mittels Nichtigkeitsbeschwerde anfechtbar (vgl. ZR 87/1988,
Nr. 93). Auch der von einer superprovisorischen Anordnung belastete
Gesuchsgegner hat nur die Einsprache und nicht auch die Nichtigkeitsbeschwerde
zur Verfügung. Dies gilt nach Zürcher Praxis sowohl in Fällen, wo die
Einsprache den Eintritt der Rechtskraft einer Anordnung hindert, als auch dort,
wo die Anordnung trotz Einsprache in Kraft bleiben soll. Es wäre sachlich nicht
gerechtfertigt – so das Zürcher Obergericht weiter –, dem Gesuchsteller,
der mit dem Antrag auf Erlass superprovisorischer Massnahmen nicht durchdringt,
dagegen die Nichtigkeitsbeschwerde zur Verfügung zu stellen, dem vom Erlass
einer solchen Anordnung betroffenen Gesuchsgegner das gleiche Rechtsmittel aber
zu verweigern (ZR 87/1988, Nr. 93). Diese Ausführungen überzeugen und erweisen
sich auch für die schwyzerische ZPO als angemessen. Die Ansicht, wonach die
Ablehnung einer vorläufigen Anordnung in weiter Auslegung von § 203 Ziff. 4
ZPO ebenfalls rekursfähig sein soll, vermag nicht zu überzeugen (vgl. Martin
Ziegler, in SJZ 86/1990, S. 323). Anders verhält es sich hingegen, wenn mit der
Ablehnung der Anordnung von superprovisorischen Massnahmen gleichzeitig auch die
vorsorglichen Massnahmen abgewiesen werden; diesfalls ist der die vorsorglichen
Massnahmen ablehnende Entscheid rekursfähig. Überdies ist anzufügen, dass
vorsorgliche Massnahmen nach verbreiteter Auffassung der Rechtskraft nicht fähig
sind (Stephen V. Berti, Die vorsorglichen Massnahmen im Zivil-, Verwaltungs- und
Strafverfahren, ZSR 1997, S. 229 mit Verweis), was zur Folge hat, dass ein
Gesuch – unter Berücksichtigung der zulässigen Noven – erneuert werden
kann (Stephen V. Berti, a.a.O., S. 230; Guldener, Zivilprozessrecht, 3. Aufl.,
S. 585).
Zusammenfassend
ist daher festzuhalten, dass gegen den Erlass oder die Verweigerung der
Anordnung von superprovisorischen Anordnungen – mit Ausnahme der Einsprache
beim erkennenden Richter – kein Rechtsmittel, d.h. weder Rekurs noch
Nichtigkeitsbeschwerde, gegeben ist. Mit Rekurs anfechtbar ist indessen ein
Entscheid über die Verweigerung oder Gewährung von vorsorglichen Massnahmen.
(Beschluss
vom 13.4.1999; KG 72/99 RK 1).
Strafrecht
– Eine landwirtschaftlich genutzte Wiese ist Kulturland und darf nach
kantonalem Recht nicht von Hunden betreten werden.
Aus
den Erwägungen:
2.
Gegenstand der Nichtigkeitsbeschwerde ist nurmehr der Vorfall vom 1. Mai 1998.
Aufgrund dieses Vorfalles hat der Einzelrichter die Angeklagte wegen
Nichtbefolgens der Anleinepflicht (§ 2 Abs. 1 GHH) sowie wegen Nichtbeachtens
des Verbotes, einen Hund landwirtschaftliche Kulturen betreten zu lassen (§ 3
Abs. 2 GHH) schuldig erkannt. In den Erwägungen hat er festgehalten, dass die
drei verschiedenen Zeugenaussagen, wonach die Angeklagte ihren Hund nicht an der
Leine geführt habe und dass dieser Hund zusammen mit dem Hund eines Buben im
Wiesland herumgesprungen sei, glaubwürdig seien. Die Beschwerdeführerin macht
geltend, dass sich die Verletzung der Anleinepflicht nicht halten lasse, wenn
sie ihren Hund auf dem Wiesland links und rechts des Weges laufen lassen durfte.
Deshalb ist zunächst zu prüfen, ob die Beschwerdeführerin ihren Hund auf das
Wiesland laufen lassen durfte.
3. Es
ist untersagt, Hunde landwirtschaftliche Kulturen und fremdes, nicht öffentlich
zugängliches Eigentum ohne Einwilligung des Berechtigten betreten zu lassen (§
3 Abs. 2 GHH). Die Verteidigung meint, es sei nicht verboten, Hunde
beaufsichtigt auf öffentlich zugänglichem Wiesland laufen zu lassen. Wiesland
sei keine landwirtschaftliche Kultur. Die Staatsanwaltschaft hält dagegen, dass
Wiesland eine landwirtschaftliche Kultur sei, da das Gras als Nahrungsmittel für
das Vieh gesät, gedüngt und geerntet, mithin also eigens kultiviert werde.
a)
Eine Definition des Begriffs landwirtschaftliche Kultur lässt sich dem
kantonalen Recht und soweit ersichtlich auch dem Bundesrecht nicht entnehmen.
Der Begriff wird im kantonalen Recht noch im Zusammenhang mit der
Wildschadensverhütung verwendet (z.B. § 44 der kantonalen Jagd- und
Wildschutzverordnung).
Im
Raumplanungsrecht wird mit dem Begriff Kulturland die landwirtschaftliche Nutzfläche
bezeichnet. Dazu gehören das Wies- und Ackerland, die Obst-, Rebbau- und
Gartenbauflächen sowie die alpwirtschaftlichen Nutzflächen. Nicht dazu gehören
bestockte Flächen, also Wald (Begriffe zur Raumplanung, VLP-Schrift Nr. 67,
Bern 1996, S. 81). Nach Art.9 der landwirtschaftlichen Begriffsverordnung (SR
910.91) gilt als landwirtschaftliche Nutzfläche die pflanzenbaulich nutzbare Fläche
eines Betriebes. Alpweiden werden in jener Bestimmung ausgenommen, da separate Sömmerungsbeiträge
ausbezahlt werden. Dies ändert jedoch nichts daran, dass auch Alpweiden als
landwirtschaftliche Nutzfläche im Sinne des raumplanungsrechtlichen
Kulturlandbegriffs und damit auch als landwirtschaftliches Grundstück im Sinne
des bäuerlichen Bodenrechts gelten (Hofer, BGBB-Kommentar, Brugg 1995, Art. 6,
Rz 7f.).
Der
Begriff Kultur, soweit ist der Beschwerdeführerin zuzustimmen, ist enger
aufzufassen als die Begriffe Kulturland und landwirtschaftliche Nutzfläche.
Kultur, verstanden als «Bebauung», bezeichnet den Zustand einer Bodenfläche
und nicht deren mögliche Nutzbarkeit. Der Begriff umfasst gerade die natürlich
gewachsene, wenn auch landwirtschaftlich nutzbare Vegetation nicht. Eine
landwirtschaftliche Kultur setzt voraus, dass der Boden von Menschenhand in
einem gewissen Umfang kultiviert ist, was etwa beim Anlegen eines Ackers ohne
weiteres zu bejahen, bei einer Alpweide dagegen nicht der Fall ist. Bei Wiesland
würde sich deshalb die Frage stellen, wie naturnah die Wiese ist, also ob es
sich um eine Kunst- oder um eine Naturwiese handelt. Vorliegend kann diese Frage
aber offen gelassen werden.
b) Aus
den Materialien zum kantonalen Hundegesetz geht hervor, dass das Postulat,
aufgrund dessen das Hundegesetz abgeändert wurde, die unhaltbaren Zustände der
Verunreinigung von öffentlichen und privaten Plätzen und Wegen, Wiesen und Äckern
sowie Kinderspielplätzen bekämpfen wollte (RRB Nr. 1916 v. 30.11.1982).
Kantonsrat Steiner, Wilen, stellte in der Eintretensdebatte fest, dass die
Vorlage bezwecke, die Verschmutzung der Strassen, Wege sowie der
landwirtschaftlichen Kulturen einzuschränken (Verhandlungsprotokoll zur Sitzung
vom 23. Juni 1983, S. 1878). Der zuständige Regierungsrat Kürzi hielt fest,
dass das Gesetz auf dem Postulat basiere (ebd. S. 1879). Die vom Regierungsrat
vorgeschlagene Fassung von § 3 Abs. 2 GHH bezüglich des Verbots, Hunde
landwirtschaftliche Kulturen betreten zu lassen, gab weder in der vorbereitenden
Kommission noch im Kantonsrat Anlass zu Diskussionen und wurde unverändert
geltendes Recht. Mehr zu reden gab dagegen die Bestimmung von § 2 Abs. 2 GHH
betreffend die Pflicht zur Beseitigung von Hundekot. Die vorbereitende
Kommission wollte diese Pflicht auf Örtlichkeiten beschränken, welche gemäss
der Strassengesetzgebung als innerorts gelten. Im Kantonsrat wurde an dieser
Beschränkung nicht festgehalten, die Pflicht zur Beseitigung von Hundekot wurde
vielmehr auch auf (nicht öffentliche) Wege ausgedehnt, die durch intensiv
genutztes landwirtschaftliches Gebiet führen. Aus den Materialien geht nicht
ausdrücklich hervor, ob die Pflicht zur Kotbeseitigung bewusst nur auf die
Wegstrecken beschränkt wurde, weil man davon ausging, dass sich das Problem von
Kotverschmutzungen auf dem landwirtschaftlich intensiv genutzten Boden nicht
stellt, da Hunde gemäss § 3 Abs. 2 GHH landwirtschaftliche Kulturen schon gar
nicht betreten dürfen. Davon ist aber auszugehen, da sich aus den Materialien für
das Betretungsverbot keine andere Begründung ergibt, als dass damit der
Verschmutzung von landwirtschaftlichen Kulturen durch Hundekot entgegengewirkt
werden soll. Es soll so vermieden werden, dass, was allgemein bekannt ist, das
Vieh durch mit Hundekot verschmutztes Futter (geschnittenes Gras, Heu) geschädigt
werden könnte. Die gesetzgeberische Absicht, die Landwirtschaft vor Schäden
durch Hundekot zu schützen, würde vereitelt, wenn Wiesland nicht unter den
Begriff landwirtschaftliche Kulturen fiele, zumal im Kanton Schwyz vorwiegend
Milchwirtschaft und nicht Ackerbau betrieben wird.
c) Aus
all diesen Gründen ergibt sich, dass mit dem Begriff landwirtschaftliche
Kulturen in § 3 Abs. 2 GHH auch Wiesland gemeint ist. Nicht von Bedeutung ist
nach dem Willen des Gesetzgebers, ob es sich dabei um eine naturnahe Wiese oder
um eine Kunstwiese handelt. Vorausgesetzt ist vielmehr, dass das Gras
geschnitten und zur Fütterung des Viehs verwendet wird. Unbestrittenermassen
wird das Wiesland, um das es im vorliegenden Fall geht, gemäht und wird zur
Gewinnung von Viehfutter verwendet. Es handelt sich deshalb um eine
landwirtschaftliche Kultur im Sinne von § 3 Abs. 2 GHH, welche man von Hunden
nicht betreten lassen darf.
4.
Inwiefern diese Interpretation des in § 3 Abs. 2 GHH statuierten
Betretungsverbotes mit dem Bundesrecht vereinbar ist, muss im vorliegenden
Nichtigkeitsbeschwerdeverfahren nur in Hinblick auf die geltend gemachten
tierschützerischen Belange geprüft werden.
a)
Laut Art. 31 Abs. 1 der Tierschutzverordnung des Bundes (TSchV) müssen Hunde,
die in Räumen gehalten werden, sich täglich entsprechend ihrem Bedürfnis
bewegen können. Wenn möglich sollen sie Auslauf im Freien haben. Hunde, die
angebunden gehalten werden, müssen sich in einem Bereich von wenigstens 20 m2
bewegen können (Art. 31 Abs. 2 TSchV).
b)
Abgesehen davon, dass das Bundesrecht den Auslauf von Hunden im Freien nicht
zwingend vorsieht, trifft es entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin
nicht zu, dass Hunde im Kanton Schwyz nirgends laufen gelassen werden können.
Es ist Sache des Hundehalters dafür zu sorgen, dass ein Hund im Freien
auslaufen kann, sei dies auf für den Auslauf von Hunden zur Verfügung
gestelltem privaten Gelände oder etwa in kulturunfähigen, nicht bestockten
Gebieten. Solchen Auslaufmöglichkeiten steht das Wiesland umfassende
Betretungsverbot von § 3 Abs. 2 GHH nicht entgegen, weshalb es nicht nur mit
den Tierschutzbestimmungen des Bundesrechts vereinbar, sondern auch verhältnismässig
ist.
(Beschluss
vom 5.5.1999; KG 62/99 RK 2).
Strafrecht
– Keine echte Idealkonkurrenz zwischen Art. 188 StGB einerseits und Art.
189 bzw. Art. 190 StGB andererseits.
Aus
den Erwägungen:
Die
Staatsanwaltschaft ist der Auffassung, dass zwischen Art. 188 StGB einerseits
und Art. 189 und 190 StGB andererseits Idealkonkurrenz anzunehmen sei. In der
Lehre und Rechtsprechung wird zwischen Art. 187 StGB und den sexuellen Nötigungsdelikten
von Art. 189 und 190 StGB wegen der Verschiedenheit der geschützten Rechtsgüter
echte Konkurrenz angenommen (etwa Trechsel, a.a.O., Art. 187, Rz. 22; Jenny,
a.a.O., Art. 187, Rz. 44; Maier, AJP 1997, S. 865 u. 868f.; Wiprächtiger, ZStR
1999, S. 151). Aufgrund der Gesetzessystematik – Art. 188 StGB gehört wie
Art. 187 StGB zum ersten Abschnitt der strafbaren Handlungen gegen die
Sittlichkeit – könnte man mit dem Staatsanwalt annehmen, dass Art. 188 StGB
wie Art. 187 StGB die ungestörte sexuelle Entwicklung Unmündiger und damit ein
anderes Rechtsgut als die Bestimmungen des zweiten Abschnittes (Art. 189–194
StGB), welche Angriffe auf die sexuelle Freiheit und Ehre zum Gegenstand haben,
schützen, und deshalb zu diesen auch in echter Konkurrenz stünden. Trotz
dieser gesetzlichen Systematik steht aber bei der Strafbestimmung von Art. 188
StGB der Schutz der sexuellen Selbstbestimmung des Jugendlichen im Vordergrund (Trechsel,
a.a.O., Art. 188, Rz. 1 mit Hinweisen) und die Lehre geht davon aus, dass in der
Begehung einer sexuellen Nötigung oder Vergewaltigung eine schwerere Verletzung
der sexuellen Selbstbestimmung liege als in der Ausnützung des Abhängigkeitsverhältnisses,
sodass Art. 188 StGB insoweit zurücktreten müsse (vgl. Jenny, a.a.O., Art.
188, Rz. 20; Trechsel, a.a.O., Art. 188, Rz. 15; Rehberg/Schmid, Strafrecht III,
6. Aufl., Zürich 1994, S. 387f.; Stratenwerth, Schweiz. Strafrecht, BT I, 5.
Aufl., Bern 1995, § 7, Rz. 34). Dem Schutz der ungestörten Entwicklung des
Kindes bis es die notwendige Reife erreicht hat, die es zur verantwortlichen
Einwilligung in sexuelle Handlungen befähigt, hat der Gesetzgeber mit der
Festsetzung des Schutzalters von 16 Jahren in Art. 187 StGB Rechnung getragen (BBl
1985 II 1065). Art. 188 StGB will dagegen der Tatsache Rechnung tragen, dass es
dem noch unmündigen Opfer von über 16 Jahren in einem Abhängigkeitsverhältnis
erschwert ist, einen Abwehrwillen zu bilden, was nach der bundesgerichtlichen
Rechtsprechung, wie schon erwähnt, aber auch bei der Anwendung von Art. 189 und
Art. 190 StGB zu berücksichtigen ist, da bei einem Erwachsenen-Kind-Gefälle
geringere Anforderungen an das Nötigungselement zu stellen sind. Die
Schwierigkeit, in einem Abhängigkeitsverhältnis einen Abwehrwillen zu bilden
und geltend zu machen, betrifft ein Element der sexuellen Selbstbestimmung bzw.
Freiheit und nicht ein Moment der ungestörten sexuellen Entwicklung. Letztere
ist mit dem Erreichen des Schutzalters als abgeschlossen anzusehen. Das Merkmal
der Minderjährigkeit schlägt sich denn auch nicht in der Strafandrohung
nieder, da das Ausnützen der Abhängigkeit nach Art. 188 StBG gleichermassen
mit Gefängnis bedroht ist wie das Ausnützen einer Notlage (Art. 193 StGB) oder
sexuelle Handlungen mit Anstaltsinsassen (Art. 192 StGB; so Trechsel, a.a.O.,
Art. 188, Rz. 1). Aus all diesen Gründen besteht zwischen Art. 188 StGB und
Art. 189 bzw. Art. 190 StGB entgegen der Auffassung der Staatsanwaltschaft sowie
der Vorinstanz keine echte Idealkonkurrenz, sodass der Schuldspruch der
mehrfachen sexuellen Handlung mit Abhängigen aufzuheben ist.
(Urteil
vom 31.8.1999; KG 279/97 SK).
Strafprozessrecht
– Fristenlauf; Auftrag des Empfängers an die Poststelle, für ihn
bestimmte Sendungen zu lagern.
Aus
den Erwägungen:
2.
Trotz des klaren Wortlauts von § 146 Abs. 2 StPO, gemäss welcher Bestimmung in
der Eingabe zu erklären ist, welche Abänderungen des angefochtenen Entscheides
und welche Beweisergänzungen im Berufungsverfahren verlangt werden, und obwohl
in der schwyzerischen Strafprozessordnung nicht vorgesehen, ist es bislang
Praxis des Kantonsgerichtes, bei Fehlen von Berufungsanträgen dem Berufungserklärenden
eine kurze Nachfrist zur Nachbesserung anzusetzen, unter der Androhung von Säumnisfolgen.
Diese Nachfristansetzung erfolgt denn auch – im Gegensatz zur Nachfrist gemäss
§ 208 Abs. 2 ZPO (EGV-SZ 1994, Nr. 30, S. 30f.) – unabhängig davon, ob der
Appellant anwaltschaftlich vertreten ist oder nicht.
a) Da
es die Verteidigerin in ihrer Berufungserklärung vom 18. Dezember 1998
unterlassen hatte, gleichzeitig die Abänderungsanträge zu stellen, wurde ihr
gemäss kantonsgerichtlicher Praxis eine nicht erstreckbare Nachbesserungsfrist
angesetzt, unter der Androhung, dass im Unterlassungsfall auf die Berufung nicht
eingetreten werde.
Entscheidend
ist vorliegend demnach einzig die Frage, ob innerhalb der angesetzten, nicht
erstreckbaren Nachfrist bis zum 8. Januar 1999 seitens der Berufungserklärenden
rechtsgenügliche Anträge gestellt wurden.
b)
Nachdem das Kantonsgericht Schwyz von der Poststelle B. am 22. Dezember 1998
dahingehend orientiert worden war, dass der bei der Poststelle Schwyz am
21.12.1998 aufgegebene und an die Verteidigerin adressierte eingeschriebene
Brief nicht habe zugestellt werden können und dieser aufgrund eines Auftrages
der Empfängerin vielleicht noch längere Zeit, höchstens 2 Monate, lagere,
konnte auf eine Wiederholung der Zustellung im Sinne von § 115 Abs. 2 GO
verzichtet werden, zumal mit einer neuerlichen – praxisgemäss umgehenden –
Zustellung die bis zum 8. Januar 1999 angesetzte Nachfrist keine Änderung
erfahren hätte. Kommt hinzu, dass für die Vorsitzende der Strafkammer keine
Veranlassung bestanden hat, bloss aufgrund der erwähnten Mitteilung, die einmal
mit Schreiben vom 21.12.1998 richterlich angesetzte und nicht erstreckbare
Nachfrist zu widerrufen und eine neue Nachfrist anzusetzen, geschweige denn
Nachforschungen bei der Post bezüglich des genauen Rückkehrdatums der Empfängerin
zu tätigen.
c) Die
Verteidigerin wendet ein, dass sie aufgrund einer mündlich erlangten Auskunft
über den notwendigen Inhalt der Berufung und deren Verbindlichkeit nicht mit
einer Nachbesserungsfrist, die in ihre Ferienabwesenheit gefallen sei, habe
rechnen müssen.
aa)
Dieser Argumentation kann das Kantonsgericht nicht beipflichten. Mit der
Berufungserklärung entstand ein Prozessrechtsverhältnis, weshalb die Parteien
dafür zu sorgen haben, dass ihnen Entscheide oder prozessleitende Verfügungen,
welche das Verfahren betreffen, zugestellt werden können. Es wäre Sache der
Verteidigerin gewesen, während ihrer Ferienabwesenheit die notwendigen
Vorkehrungen zu treffen und sei es bloss mit einem entsprechenden Hinweis in der
Berufungserklärung vom Dezember 1998. Solche Vorkehrungen hat sie zweifelsohne
nicht getroffen. Diese Unterlassung erscheint umso unverständlicher, als die
Verteidigerin laut ihrem Briefkopf offensichtlich in einer Bürogemeinschaft tätig
ist, so- dass eine Ferienvertretung gewährleistet werden könnte. Dass solche
Vorkehrungen – und sei es auch nur die Entgegennahme und Sichtung eingehender
Anwaltskorrespondenz durch den Büropartner oder die Büropartnerin – in ihrem
Arbeitsumfeld weder möglich noch zumutbar sind, hat die Verteidigerin nicht
geltend gemacht.
bb)
Nachdem sie persönlich für den Angeklagten die Berufung erklärt hatte, musste
die Vertreterin mit Zustellungen seitens des Kantonsgerichtes rechnen. Relevant
ist nicht, ob die Verteidigerin mit einer Nachbesserungsfrist, wie der
vorliegenden, zu rechnen hatte, sondern, dass sie aufgrund des von ihr mit der
Berufungserklärung begründeten Prozessrechtsverhältnisses generell mit
fristauslösenden Zustellungen von Seiten der Berufungsinstanz rechnen musste.
d) Die
Verteidigerin weist ferner darauf hin, dass ihre Sekretärin nicht den Weisungen
entsprechend den Auftragszettel bezüglich Rückbehalt der Post ausgefüllt
habe. Einerseits habe sie ein falsches Datum eingesetzt und andererseits
ebenfalls fälschlicherweise den Vermerk angekreuzt, dass die Dauer der
Abwesenheit Dritten nicht mitgeteilt werden dürfe. Wie ihre Weisung an die
Sekretärin genau gelautet hatte, bleibt von der Verteidigerin in ihrer
Stellungnahme indessen unerwähnt.
aa)
Die Frage nach dem Verschulden einer Hilfsperson und damit einer möglichen
Exkulpation des Vertreters stellt sich nur, sofern die Übertragung der
betreffenden Tätigkeit durch den Anwalt auf die Hilfsperson überhaupt zulässig
ist (ZR 84/1985, Nr. 136, E. 3c). War die Delegation grundsätzlich zulässig, wäre
die Frage des Verschuldens der Hilfsperson und einer möglichen Exkulpation der
Verteidigung zu prüfen. Diese Prüfung kann vorliegend aus nachfolgenden Gründen
unterbleiben.
bb)
Wie der von der Verteidigerin ins Recht gelegten Beilage «Auftrag Post zurückbehalten»
zu entnehmen ist, war der Auftrag erteilt worden, die eingehende Post ab dem 21.
Dezember 1998 bis zum 15. Januar 1999 zurückzubehalten und die Abwesenheit
Dritten nicht mitzuteilen. Die Verteidigerin nahm ihre Post zwar nicht erst ab
dem 15. Januar 1999 wieder entgegen, sondern bereits am 11. Januar 1999. Dennoch
ändert dieser Umstand nichts daran, dass die kantonsgerichtliche Nachfrist
bereits seit dem 9. Januar 1999 unbenutzt verstrichen war. Kommt hinzu, dass die
Post dem Kantonsgericht die Abwesenheit der Adressatin mitgeteilt hatte,
indessen weder das Kantonsgericht dazu gehalten war, Nachforschungen bezüglich
des genauen Rückkehrdatums der Verteidigerin anzustellen, noch die Post dazu
verpflichtet war, über die Standardmitteilung hinaus weitergehende
Informationen mitzuteilen. Selbst wenn sich also die Verteidigerin exkulpieren könnte,
würde dies an der verspäteten Nachfrist nichts ändern, nachdem die nicht
erstreckbare Frist am 8. Januar 1999 ablief. Der Einwand der Verteidigung ist
somit nicht zu hören.
3. Die
Verordnung (1) vom 1. September 1967 zum Postverkehrsgesetz, welche in Art. 169
Abs. 1 Bst. d und e eine Abholfrist von sieben Tagen vorsah, wurde auf den 1.
Januar 1998 durch die Postverordnung vom 29. Oktober 1997 (VPG; SR 738.01) abgelöst.
Diese neue Postverordnung enthält indessen keine Bestimmung über allfällige
Abhol- oder Aufbewahrungsfristen. Dagegen sieht die schweizerische Post in ihren
Allgemeinen Geschäftsbedingungen «Postdienstleistungen» vor, dass Sendungen
als zugestellt gelten, wenn sie der Empfängerin oder dem Empfänger übergeben
oder in den Brief- oder Ablagekasten oder ins Postfach gelegt oder an einem
andern dafür bestimmten Ort zugestellt worden sind (Ziff. 4.1 AGB). Weiter ist
laut Ziff. 4.5 Bst. a und b der Allgemeinen Geschäftsbedingungen vorgesehen,
dass die Post eine Abholungseinladung hinterlegt, wenn die Sendungen persönlich
auszuhändigen sind, jedoch niemand anzutreffen ist, und die Inhaberin oder der
Inhaber einer Abholungseinladung während einer Frist von sieben Tagen zum Bezug
der darauf vermerkten Sendung berechtigt ist. Die gesetzliche Grundlage für
diese Allgemeinen Geschäftsbedingungen findet sich in Art. 11 des Postgesetzes
vom 30. April 1997 (PG; SR 783.00).
a) Im
Entscheid vom 2. Dezember 1998 in der Beschwerdesache X. gegen die
Fremdenpolizei der Stadt Thun und die Polizei- und Militärdirektion des Kantons
Bern kam das Verwaltungsgericht des Kantons Bern zum Schluss, dass wegen der
Rechtssicherheit und des Bedürfnisses nach klaren Fristenregelungen sowie gestützt
auf die zitierten neuen Bestimmungen der Allgemeinen Geschäftsbedingungen der
Post es angezeigt erscheine, die bisherige Praxis auch unter dem neuem Recht
weiterzuführen. Eine nicht abgeholte Sendung gelte somit auch weiterhin am
siebten Tage nach Hinterlegung der Abholungseinladung als zugestellt. Dieser
Argumentation ist beizupflichten.
b) Da
die Verteidigerin das Schreiben der Vizepräsidentin vom 21.12.1998, welches bei
der Poststelle B. am 22. Dezember 1998 eingegangen ist, innert Frist nicht
entgegengenommen hat, gilt diese Postsendung als am letzten Tag der siebentägigen
Abholfrist, nämlich am 28. Dezember 1998, als zugestellt. Daran vermag auch ihr
Auftrag an die Post in Zusammenhang mit ihrer Ferienabwesenheit nichts zu ändern
(vgl. act. 6; BGE 123 III 492, Pr 76 (1987), Nr. 125).
(Beschluss
vom 8.6.1999; KG 523/98 SK).
Strafprozessrecht
– Die speziellen Haftgründe Fluchtgefahr und Fortsetzungsgefahr.
Aus
den Erwägungen:
Die
Untersuchungshaft darf nur angeordnet oder aufrechterhalten werden, wenn und
solange neben dem vorliegend aufgrund der Geständnisse des Angeschuldigten
gegebenen allgemeinen Haftgrundes des dringenden Tatverdachts auch ein
spezieller Haftgrund vorliegt. Die Untersuchungsrichterin beruft sich auf die
speziellen Haftgründe der Fluchtgefahr sowie der Fortsetzungsgefahr.
a)
Fluchtgefahr kann «insbesondere dann angenommen werden, wenn eine
Zuchthausstrafe oder Verwahrung in Aussicht steht» (§ 26 Abs. 1 lit.
a StPO). Fluchtgefahr ist gegeben, wenn die
Gefahr besteht, der Angeschuldigte könnte sich der Strafverfolgung oder der zu
erwartenden Strafe entziehen, beispielsweise durch heimlichen Ortswechsel, durch
Absetzen ins Ausland oder durch Verbergen des Aufenthaltsortes. Es genügt nicht
jede noch so entfernte Gefahr, sondern es müssen Gründe vorliegen, welche ein
solches Verhalten als wahrscheinlich erscheinen lassen (vgl. dazu Hauser/Schweri,
Schweizerisches Strafprozessrechts, 3. A., S. 272; Niklaus Schmid,
Strafprozessrecht, 2. A., Zürich 1993, N 700ff.; Donatsch/Schmid, Kommentar zur
Strafprozessordnung des Kts. Zürich, Rz. 26ff. zu § 58). Die lange Dauer der
zu erwartenden Freiheitsstrafe kann zwar als gewichtiges Indiz für eine
Fluchtgefahr gewertet werden; für sich alleine genügt sie jedoch nicht.
Vielmehr müssen die konkreten Umstände des betreffenden Falles, insbesondere
die gesamten Verhältnisse des Angeschuldigten, in Betracht gezogen werden (BGE
117 I a 70 mit Hinweisen).
Die
konkreten Umstände sprechen vorliegend gegen die Annahme von Fluchtgefahr. Der
Beschwerdeführer hat zwar laut seinen Angaben einen Onkel in Lusaka/Afrika und
Verwandte und Bekannte in Jugoslawien sowie in der Slowakei. Der
Lebensmittelpunkt des Beschwerdeführers befindet sich jedoch klar in der
Schweiz. Seit 1990 lebt der heute knapp 20-jährige Angeschuldigte in der
Schweiz. Bis zu seiner Inhaftierung wohnte er bei seinen Eltern in Z. oder bei
einer Freundin in X. Es erscheint glaubhaft, dass er zu seinen hier lebenden
Geschwistern ein enges Verhältnis hat. Er besitzt zudem die
Niederlassungsbewilligung C. Die Gefahr, dass er im Falle einer Flucht seine
Aufenthaltsbewilligung verlieren könnte, wird er kaum auf sich nehmen.
Entscheidend ist sodann, dass der Beschwerdeführer im Herbst 1998 nach der
erfolgten Ausschreibung nicht die Gelegenheit zur Flucht ergriffen, sondern sich
den Behörden freiwillig gestellt hat. Dieser Umstand ist ein starkes, gegen
Fluchtgefahr sprechendes Indiz (Donatsch/Schmid, a.a.O., Rz. 34). Seit 12.
Januar 1999 – und damit seit mehr als drei Monaten – befindet sich A. in der
Strafanstalt Wauwilermoos. Bekanntlich ist eine Flucht aus dieser offen geführten
Strafanstalt ohne besondere Anstrengung möglich. Der Beschwerdeführer hat
diese «Fluchtchance» nicht ausgenützt und damit den Tatbeweis dafür
erbracht, dass für ihn eine Flucht ins Ausland oder ein Untertauchen nicht im
Vordergrund steht. Schliesslich ist darauf hinzuweisen, dass aufgrund der
Aktenlage und der vorliegenden Geständnisse des Beschwerdeführers ohne
weiteres ein Abwesenheitsverfahren durchgeführt werden könnte, weshalb eine
weitere Inhaftierung unter dem Aspekt der Fluchtgefahr nicht erforderlich
erscheint.
b) Die
Untersuchungsrichterin stützt sich im Weiteren auf den speziellen Haftgrund der
Fortsetzungsgefahr, welcher «insbesondere dann anzunehmen ist, wenn aufgrund
bestimmter Anhaltspunkte befürchtet werden muss, der Angeschuldigte werde die
Freiheit zu neuen strafbaren Handlungen missbrauchen» (§ 26 Abs. 1 lit. c
StPO).
Bei
der Anwendung des speziellen Haftgrundes der Fortsetzungsgefahr übt das
Kantonsgericht eine gewisse Zurückhaltung, wobei je nach dem mit der Haft
verfolgten Zweck unterschieden wird. Dieser kann einerseits in der
Verfahrenssicherung liegen, indem typische Wiederholungstäter in Haft zu
belassen sind, wenn das Verfahren anders nicht abgeschlossen werden könnte.
Dieser Haftgrund steht vorliegend unbestrittenermassen nicht zur Diskussion, da
die Schlusseinvernahme erfolgt ist und die Verteidigung auf das Stellen von
Beweisergänzungsanträgen verzichtet hat. Auf der anderen Seite kann die Haft
unter dem Titel «Fortsetzungsgefahr» auch zur Sicherung der Gesellschaft vor
chronischen Wiederholungstätern gerechtfertigt sein, so, wenn durch die befürchteten
Straftaten die Sicherheit anderer gefährdet ist und diese Gefahr nur durch eine
Inhaftierung abgewendet werden kann. Trotz der weiten Formulierung von § 26
Abs. 1 lit. c StPO kann dieser Haftgrund im Lichte der verfassungsmässigen
Rechte des Angeschuldigten aber nur dann in Betracht kommen, wenn die Begehung
von Verbrechen oder Vergehen von bestimmter Schwere zu befürchten ist (siehe
dazu Niklaus Schmid, Zum Haftgrund der Wiederholungs- und Fortsetzungsgefahr in
der neueren schweizerischen Strafprozessentwicklung, in: SJZ 1987, S. 228). Die
Untersuchungshaft ist als Ausnahmemassnahme anzusehen, die nur angewendet werden
darf, wenn sie unbedingt nötig ist. Entsprechend restriktiv sind deshalb die
einzelnen Haftgründe und im Besonderen der Haftgrund der Fortsetzungsgefahr, da
es hier um eine Präventionsmassnahme geht, auszulegen. Eine zu large Auslegung
des Haftgrundes der Fortsetzungsgefahr ist mit den geltenden
Rechtsstaatsprinzipien, namentlich dem verfassungsmässigen Recht der persönlichen
Freiheit nicht vereinbar (KG 396/92 GP, Verfügung vom 17.11.1992; KG 348/95 GP,
Verfügung vom 15.9.1995).
Bei
der Prüfung der Frage, ob genügend Gründe zur Annahme bestehen, dass der
Angeschuldigte weitere Verbrechen oder Vergehen (von einer gewissen Schwere)
begehen werde, ist auch nach Auffassung des Bundesgerichts ein strenger Massstab
anzulegen, da dem Haftgrund der Fortsetzungsgefahr wesensgemäss eine gewisse
Gefahr des Missbrauchs inne wohnt (BGE 105 Ia 31; siehe zum Ganzen auch Martin
Schubarth, Die Rechte des Beschuldigten im Untersuchungsverfahren, insbesondere
bei Untersuchungshaft, S. 102ff.).
(Verfügung
vom 25.3.1999; KG 141/99 GP).
Strafprozessrecht
– Darf die Strafverfolgungsbehörde ein Rechtsgutachten einholen?
Aus
den Erwägungen:
1. Der
Beschwerdeführer macht zusammenfassend geltend, es sei unzulässig, zur
Beurteilung von Rechtsfragen einen Gutachter beizuziehen; dies verstosse gegen
den Grundsatz iura novit curia. Die Frage der Rechtmässigkeit einer FFE stelle
eine reine Rechtsfrage dar, die mit normalem juristischem Sachverstand beurteilt
werden könne. Es handle sich dabei nicht um schwierige Vorfragen aus einem
rechtlichen Spezialgebiet. Weiter wird das Vorgehen der Bestellung des
Gutachters gerügt und insbesondere die Verletzung des rechtlichen Gehörs
geltend gemacht. Infolge der Verletzung von iura novit curia und des rechtlichen
Gehörs wird die vollständige Entfernung des Gutachtens aus den
Untersuchungsakten verlangt. Nachfolgend ist deshalb erstens die Zulässigkeit
der Begutachtung (unten E. 2 und dann E. 4), zweitens das Verfahren der
Bestellung des Gutachters (E. 3) und drittens der weitere Verbleib des
Gutachtens in den Akten (E. 4) zu beurteilen.
2. Die
Staatsanwaltschaft hat den vorliegenden Gutachterauftrag als Ausnahme vom
Grundsatz iura novit curia im Wesentlichen mit der Begründung als zulässig
erachtet, dass in den letzten Jahren das Rechtsgebiet der FFE durch die Strafbehörden
des Kantons Schwyz nie behandelt hätte werden müssen, weshalb es nicht abwegig
sei, von einem Rechtsgebiet zu sprechen, welches (mindestens) für Strafrechtler
als Spezialgebiet zu bezeichnen sei. Die Möglichkeit, ausnahmsweise vom
Grundsatz iura novit curia abzuweichen, wird im Wesentlichen auf eine neuere
Lehrmeinung abgestützt, wonach – zumindest de lege ferenda – die
Aufrechterhaltung der Fiktion von der Allwissenheit der Justizorgane
hinsichtlich des schweizerischen Rechts zu hinterfragen sei (vgl. Donatsch,
Kommentar zur StPO-ZH, 1997, § 109, Rz. 24).
a) Das
schwyzerische Strafprozessrecht enthält keine ausdrückliche Regelung
betreffend das Einholen eines Rechtsgutachtens. Der Beizug eines Sachverständigen
ist gemäss § 45 Abs. 1 StPO ausdrücklich nur zur Aufklärung des
Sachverhaltes vorgesehen. Die Zulässigkeit von Rechtsgutachten im Allgemeinen
ist in der Doktrin kontrovers (ausser Donatsch, a.a.O., vgl. dazu etwa Georg Müller,
Der Jurist als Experte, SJZ 1979, S. 174, bejahend mit Hinweisen auf die
ablehnende Auffassung von Max Imboden; bejahend ebenfalls Bänziger/Stolz/Kobler,
Kommentar zur StPO-AR, 2. Aufl., Herisau 1992, Art. 86, Rz. 3; ablehnend weil
iura novit curia: Schmid, Strafprozessrecht, 3. Aufl., Zürich 1997, § 41, Rz.
662 sowie Hauser/Schweri, Schweiz. Strafprozessrecht, 3. Aufl., Basel 1997, §
64, Rz. 3; ablehnend offenbar aus gesetzessystematischen Gründen Spirig, Zum
psychiatrischen Gutachten, ZSR 1990 I, S. 418). Das Bundesgericht hält dafür,
dass die Beweiswürdigung und die Beantwortung der sich stellenden Rechtsfragen
in jedem Fall Sache des Richters bleiben muss (BGE 118 Ia 146 mit Hinweisen).
Der
Bericht eines Sachverständigen zu Rechtsfragen ist jedenfalls kein
Beweismittel, das Gegenstand der freien Beweiswürdigung durch den Richter sein
könnte, wie dies die zuständige Untersuchungsrichterin in ihrer Vernehmlassung
an die Staatsanwaltschaft vermeint.
b) Zunächst
ist es zweckmässig, auf die kontroverse Grundsatzfrage teilweise einzugehen, nämlich
insoweit, ob der Beizug von Rechtsgutachten durch die Untersuchungs- und
Anklagebehörden zulässig ist, ein Aspekt, der, soweit ersichtlich, bisher in
der Doktrin kaum diskutiert wurde.
aa)
Der Grundsatz iura novit curia ist vor allem in dem von der Dispositions- und
Verhandlungsmaxime beherrschten Zivilprozess von Bedeutung (vgl. Meier, Iura
novit curia, Diss. Zürich 1975, S. 3). Die Parteien tragen im Zivilprozess die
Verantwortung dafür, dem Richter den Sachverhalt darzulegen. Die
Rechtsanwendung ist dann aber Sache des Richters. Die Abgrenzung von Rechts- und
Tatfragen ist daher im Zivilprozess von ungleich grösserer Bedeutung als im
Strafprozessrecht, wo die Rechtsanwendung und die Feststellung des Sachverhaltes
grundsätzlich von Amtes wegen zu erfolgen haben. Im Strafprozess steht für die
Begrenzung des Streitgegenstandes das Anklage- und das Immutibilitätsprinzip im
Vordergrund. Es ist Sache der Untersuchungs- und Anklagebehörden, den
Sachverhalt zu bestimmen und zum Prozessthema zu machen, an welchen der Richter
bei der Rechtsanwendung dann grundsätzlich gebunden ist (§ 96 Abs. 1 StPO).
Die Anklage bezeichnet denn auch die strafbare Handlung nach ihren tatsächlichen
und gesetzlichen Merkmalen und die wesentlichen Ergebnisse der Untersuchung (§
74 lit. b StPO). Konkret bedeutet dies, dass die Unrechtmässigkeit der
Festnahme oder Gefangenhaltung in Art. 183 Ziff. 1 StGB bis und mit der
Anklageerhebung von den Strafverfolgungsbehörden bezüglich ihrer Merkmale zu
umschreiben, nicht aber zu beurteilen ist. Die Untersuchungs- und Anklagebehörden
haben deshalb die Unrechtmässigkeit bzw. Rechtswidrigkeit eines Tatbestandes,
vorliegend der Freiheitsberaubung, nicht nachzuweisen, sondern allein die tatsächlichen
Umstände zu beschreiben, welche eine unrechtmässige Freiheitsberaubung
nahelegen. Zur Erfüllung dieser Aufgabe benötigen sie allgemein jedoch keine
Rechtsgutachten. Daran ändert auch nichts, dass die Anklagebehörden bei der
Frage nach einer allfälligen Einstellung des Untersuchungsverfahrens
hypothetisch erwägen müssen, ob mit einer Verurteilung zu rechnen ist oder
nicht. In Zweifelsfällen beweismässiger und vor allem rechtlicher Art soll
Anklage erhoben werden. Der Grundsatz in dubio pro reo spielt bei Rechtsfragen
nicht (Schmid, a.a.O., § 50, Rz. 797 u. 303). Zweifel in rechtlicher Hinsicht,
vorliegend an der Rechtmässigkeit der Freiheitsberaubung bzw. der angeordneten
FFE, müssen daher im Untersuchungs- und Anklagestadium gar nicht beseitigt
werden. Im Gegenteil: wenn diese Frage rechtlich schwierig zu beantworten ist,
darf sie allenfalls nicht mit einem Rechtsgutachten erledigt werden, sondern
muss dem Richter vorgelegt werden.
bb)
Das Einholen eines Gutachtens ist eine behördliche bzw. amtliche
Prozesshandlung. Voraussetzung für die Vornahme von Prozesshandlungen ist, dass
sie im Gesetz geregelt und abschliessend aufgezählt sein müssen (numerus
clausus der Prozesshandlungen, vgl. Hauser/Schweri, a.a.O., § 44, Rz. 1;
Schmid, a.a.O., § 35, Rz. 543, wo die Beweiserhebung als Ausnahme erwähnt
wird). Wie bereits erwähnt, ist das Einholen von Gutachten in der
schwyzerischen Strafprozessordnung auf die Abklärung des Sachverhaltes
eingeschränkt (§ 45 Abs. 1 StPO). Das Einholen von Rechtsgutachten ist nicht
vorgesehen und daher den Untersuchungs- und Anklagebehörden, die für die
Ermittlung des Prozessthemas in tatsächlicher Hinsicht zuständig sind, die
Beurteilung von Rechtsfragen aber grundsätzlich der richterlichen Beurteilung
überlassen müssen, verwehrt.
c)
Zusammenfassend ist festzuhalten, dass die Untersuchungs- und Anklagebehörden
somit keine Rechtsgutachten beiziehen dürfen.
3. Der
Beschwerdeführer rügt, dass das Gutachten entgegen üblichen Abläufen in
einem Rekordtempo durchgepeitscht wurde, um derart die erhobene Beschwerde zu
torpedieren und einen fait accompli zu schaffen. Sein an das Verhöramt
gerichtetes Gesuch vom 9. November 1998 um Erstreckung und Neuansetzung der
Frist zum Vorbringen von Ausstandsgründen und zur Eingabe von Ergänzungsfragen
sei unbeantwortet geblieben, womit offensichtlich elementarste Gehörsansprüche
verletzt worden seien.
Auf
die Rügen des Beschwerdeführers braucht nur kurz eingegangen zu werden, da das
Einholen des Rechtsgutachtens wie gezeigt unzulässig war. Dagegen, dass eine
Begutachtung möglichst rasch durchgeführt wird, ist nichts einzuwenden. Die
Staatsanwaltschaft hat der Beschwerde vom 9. November 1998 keine aufschiebende
Wirkung erteilt, weshalb das Verhöramt auf die Eingabe des Beschwerdeführers
vom 9. November 1998 hin, den Gutachtensauftrag nicht sistieren musste. Im Übrigen
hat der Beschwerdeführer in dieser Eingabe nur vorsorglich für den Fall der
Beschwerdeabweisung um die Abnahme bzw. Erstreckung und Neuansetzung der Frist
zum Vorbringen von Ausstandsgründen und zur Eingabe von Ergänzungsfragen
ersucht. Inwiefern deshalb der Umstand, dass das Verhöramt seine Eingabe nicht
beantwortet hat, seinen Anspruch auf rechtliches Gehör verletzen soll, ist
nicht ersichtlich, zumal er die Abweisung der Beschwerde durch die
Staatsanwaltschaft an das Kantonsgericht weitergezogen hat. Abgesehen davon, ist
das Rechtsgutachten aus nachfolgenden Erwägungen aus dem Recht zu weisen.
4. Der
Beschwerdeführer verlangt schliesslich, dass das Gutachten von Dr. S. aus den
Akten entfernt werde, weil nur so sichergestellt werden könne, dass im Falle
einer Anklageerhebung sich das Gericht unvoreingenommen mit dem Tatbestand des
Art. 183 StGB auseinandersetzen könne. Neben der Verletzung von iura novit
curia weist der Beschwerdeführer dabei noch auf Art. 6 EMRK hin, welcher ihm
einen Anspruch auf Beurteilung durch ein unabhängiges und unparteiisches
Gericht einräume. Damit stellt sich nochmals die Frage nach der Zulässigkeit
des Rechtsgutachtens.
a) Die
Gutachterfragen Nr. 1–3 wurden von der Staatsanwaltschaft zutreffend als reine
Rechtsfragen angesehen. Versteht man die Frage Nr. 4 so, dass nicht einfach nach
den faktischen Möglichkeiten, sondern nach den rechtlich zulässigen Möglichkeiten
gefragt wird, so handelt es sich ebenfalls um eine Rechtsfrage. Fragen Nr. 5 und
6 sind dagegen Sachverhaltsfragen.
b) Ob
es sich bei der allgemeinen Frage nach der Rechtmässigkeit der FFE um eine
eigentliche Vorfrage handelt, die sich nicht direkt nach den Vorschriften des
Strafgesetzbuches beurteilen lässt (zur rechtlichen Natur der Bestimmungen der
FFE vgl. EGV-SZ 1997, Nr. 33), ist nicht entscheidend. Die Beurteilung der
Rechtswidrigkeit einer Handlung ist an sich eine eigentliche Materie des
Strafrechts, auch wenn sich die Rechtmässigkeit aus anderen Gesetzen ergeben
kann (Art. 32 StGB). Mögen auch die Bestimmungen über die FFE den
schwyzerischen Strafbehörden – wie dies die Staatsanwaltschaft ausführt –
praktisch nicht vertraut sein, so führt der Verteidiger zu Recht aus, dass das
Gebiet der FFE in der Literatur ausreichend erschlossen ist, sodass die
Strafjustizbehörden in der Lage sind, sich den nötigen Sachverstand selber zu
verschaffen (vgl. u.a. zur Literatur neben zahlreichen Publikationen in
Zeitschriften: Spirig, Kommentar über die FFE, Art. 397a–f ZGB, Zürich 1995;
Suhr Brunner, FFE und Suchterkrankungen, insbes. Drogensucht, Zürich 1994;
Caviezel, Die materiellen Voraussetzungen der FFE, Stans 1988). Es sind im
konkreten Fall deshalb keine besonderen Schwierigkeiten ersichtlich, welchen nur
mit Hilfe eines Experten begegnet werden könnte. Der Umstand, dass die FFE bei
Drogensucht heikel bzw. umstritten ist, weil damit ein schwerwiegender Eingriff
in die persönliche Freiheit des Betroffenen verbunden ist, heisst nicht, dass
im Nachhinein die Klärung der Rechtmässigkeit des konkreten Vorgehens auch
komplex ist und des Beizugs eines Rechtsexperten bedarf. Abgesehen davon, sind
gerade die Strafverfolgungsbehörden mit der grundrechtlichen Problematik von
Freiheitsentzügen vertraut (Untersuchungshaft) und, soweit der materielle
Einweisungsgrund fraglich ist (Art. 397a Abs. 1 ZGB, vorliegend andere
Suchterkrankungen), bedürfte es eines Gutachtens in tatsächlicher
(medizinischer, psychiatrischer) und nicht rechtlicher Hinsicht. Heikel sind
vielmehr die typisch strafrechtlichen Fragen, etwa die Fragen danach, was die
Angeschuldigten gewusst und gewollt haben. Diese Fragen stossen bei der
Freiheitsberaubung noch auf zusätzliche Schwierigkeiten, da in der Doktrin
nicht gänzlich geklärt ist, ob die Unrechtmässigkeit Tatbestandselement ist
und damit auch vom Vorsatz umfasst werden muss (so Egli, Freiheitsberaubung,
Entführung und Geiselnahme, Grüsch 1986, S. 51f.) oder blosser Hinweis zur
Beachtung der Rechtfertigungsgründe sein soll (so Stratenwerth, Schweiz.
Strafrecht, BT I, 5. Aufl., Bern 1995, § 5, Rz. 30). Die Strafjustizbehörden
sind deshalb gehalten, die Beurteilung der Rechtmässigkeit der fraglichen
Handlungen selber vorzunehmen. Aus diesen Gründen lässt sich eine Abweichung
vom Grundsatz iura novit curia im Sinne der von der Staatsanwaltschaft ins Feld
geführten Auffassung von Donatsch im konkreten Fall überhaupt nicht
rechtfertigen.
c)
Dieses Ergebnis ist im Übrigen mit der von der Staatsanwaltschaft in der
angefochtenen Verfügung zitierten Auffassung von Donatsch auch insofern nicht
unvereinbar, weil sich dieser Autor offenbar auch nicht sicher ist, ob das
Einholen eines Rechtsgutachtens ohne gesetzliche Grundlage erlaubt sei und
deshalb den Grundsatz iura novit curia bzw. die damit verbundene Fiktion von der
Allwissenheit der Justizorgane hinsichtlich des schweizerischen Rechts nur «zumindest
de lege ferenda» nicht als eine Regel betrachtet, von der es keine Ausnahmen
geben könne. Eine solche gesetzliche Grundlage gibt es aber, wie gesagt, nicht.
d)
Ergibt sich aufgrund der bisherigen Erwägungen, dass es den Untersuchungs- und
Anklagebehörden grundsätzlich nicht zusteht, ein Rechtsgutachten einzuholen
(vgl. E. 2), und darüber hinaus im konkreten Fall überhaupt kein
Rechtsgutachten beigezogen werden darf, braucht auf die vom Beschwerdeführer
aufgeworfene Frage der EMRK-Konformität nicht weiter eingegangen zu werden. Auf
Folgendes sei jedoch noch hingewiesen. Georg Müller scheint neben der erhofften
Steigerung der Qualität der Rechtsprechung eher einen ‹Waffenausgleich›
zugunsten der Justizorgane im Auge zu haben, wenn er das strikte Verbot für die
Justiz, Rechtsexperten beizuziehen, umso weniger begründet hält, als die
Parteien private Rechtsgutachten unbeschränkt in den Prozess einbringen könnten
und diese, der juristischen Literatur gleichgestellt, zur Meinungsbildung des
Gerichts beitragen würden, da dieses nicht darum herumkomme, sich damit
auseinanderzusetzen (Georg Müller, a.a.O., S. 174 mit Hinweisen auf die
bundesgerichtliche Rechtsprechung; vgl. auch Donatsch, a.a.O., § 109, Rz. 13).
Es stellt sich deshalb die Frage, ob es der Anklagebehörde nicht ebenso wie
einer Partei zuzugestehen ist, die Anklage mit Hilfe eines Rechtsgutachtens vor
Gericht zu vertreten. Dies liesse sich insofern begründen, dass zwar die
Anklageerhebung sowie die Vertretung der Anklage vor Gericht amtliche
Prozesshandlungen sind, der Inhalt des Plädoyers des Anklägers aber, mit
welchem er seine Position vor Gericht auch in rechtlicher Hinsicht argumentativ
auseinandersetzt, durch den numerus clausus der Prozesshandlungen nicht
betroffen sein kann. Es soll deshalb hier nicht kategorisch ausgeschlossen
werden, dass der öffentliche Ankläger in schwierigen und/oder speziellen
Rechtsfragen sowie unter gewissen Umständen (so, wenn er sich etwa einem
mehrfach und fachprominent vertretenen Angeklagten gegenübergestellt weiss)
versucht, seinen Standpunkt mit einem Rechtsgutachten zu untermauern und deshalb
dem Gericht den Antrag stellt, ein solches Gutachten einzuholen. In solchen Fällen
– wozu der vorliegende nicht zu zählen ist – hat das Gericht darüber zu
entscheiden, ob das beantragte Rechtsgutachten zugelassen werden darf oder
nicht. Die Kosten eines derartigen Gutachtens wären jedoch vom Staat zu tragen,
da die mangelnde Rechtskenntnis der Justizorgane bzw. die Komplexität der
staatlichen Gesetzgebung nicht dem Angeschuldigten zur Last gelegt werden dürfte
(Donatsch, a.a.O., § 109, Rz. 24 in fine).
5. Das
Gutachten von Dr. S ist aus all diesen Gründen aus den Akten zu entfernen. Da für
die Sachverhaltsfragen Nr. 5 und 6 kaum Dr. S. als Gutachter bestellt worden wäre
und sich nur mit der Entfernung des ganzen Gutachtens sicherstellen lässt, dass
die Antworten auf die Rechtsfragen für das weitere Verfahren ausgeklammert
bleiben, ist das ganze Gutachten aus dem Recht zu weisen.
In
Gutheissung der Beschwerde ist in Aufhebung der angefochtenen Verfügung die
Unzulässigkeit des Gutachterauftrages festzustellen und das Verhöramt
anzuweisen, das Gutachten aus den Akten zu entfernen und Dr. S. zu retournieren.
Die Kosten des Gutachtens gehen zulasten des Verhöramtes.
(Beschluss
vom 29.1.1999; KG 540/98 RK 2).
Strafprozessrecht
– Keine Entschädigung, wenn das Ermittlungsverfahren durch Nichteröffnungsverfügung
beendet wird; Abgrenzung der beiden Verfahren.
Aus
den Erwägungen:
1. Die
Vorinstanzen haben einen Entschädigungsanspruch des Beschwerdeführers wegen
fehlender gesetzlicher Grundlage verneint. Sie argumentierten, dass die
schwyzerische Strafprozessordnung nur dann einen Rechtsanspruch auf Entschädigung
statuiere, wenn ein Beschuldigter freigesprochen oder das Verfahren gegen ihn
eingestellt worden sei. Im vorliegenden Fall sei keine Strafuntersuchung gegen
den Beschwerdeführer eröffnet worden, womit ein Entschädigungsanspruch gestützt
auf § 54 in Verb. mit § 52 StPO nicht bestehe. Vorliegend seien zwar einige
Erhebungen (in einer gewissen Zeitspanne) notwendig gewesen, dies entspreche
aber entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers nicht materiellen
Untersuchungshandlungen, und solche Erhebungen würden auch vom Gesetzgeber
systematisch von den Untersuchungshandlungen getrennt (§ 59 StPO). Im Stadium
solcher Erhebungen gehe es lediglich darum abzuklären, ob überhaupt eine
strafbare Handlung vorliege oder nicht. Der Angeschuldigte müsse sich
dementsprechend auch noch nicht gegen einen bestimmten Vorwurf verteidigen. Eine
sinngemässe Anwendung von §§ 52ff. StPO für den Fall der Nicheröffnung sei
im Gesetz nicht geregelt und deshalb auch nicht haltbar.
Diesen
Erörterungen stellt der Beschwerdeführer in seiner Eingabe ans Kantonsgericht
zusammengefasst was folgt entgegen:
Richtig
sei zwar, dass im vorliegenden Fall der Untersuchungsrichter formell lediglich
eine Ermittlung im Sinne von § 59 Abs. 2 StPO geführt habe, materiell habe er
aber offenkundig Untersuchungshandlungen im Sinne von § 61 StPO vorgenommen. Hätte
er nur ersteres getan, wäre dem Beschwerdeführer der geltend gemachte Aufwand
gar nicht entstanden. ... Bei dieser Abklärung könne es nicht darum gegangen
sein, lediglich abzuklären, ob überhaupt eine strafbare Handlung vorliege oder
nicht. Hier sei es darum gegangen, den Sachverhalt festzustellen und die
Beweismittel zu sammeln, die zur Überführung oder Entlastung des Beschwerdeführers
erforderlich seien (§ 61 Abs. 1 StPO). Wäre es dem Untersuchungsricher nur
darum gegangen, die Feststellungen zu treffen, die ihn schlussendlich zur
Nichteröffnungsentscheidung bewegt hätten – nämlich Feststellungen, die er
bei erster Durchsicht der Strafanzeige hätte treffen können – so hätte er
auch nicht via Kantonspolizei, Dienst Wirtschaftsdelikte, den Beschwerdeführer
mit einer ganzen Reihe von Fragen belasten müssen. Hier sei es doch ganz klar
darum gegangen, den Sachverhalt im Sinne von § 61 StPO festzustellen, mithin
materielle Untersuchungshandlungen vorzunehmen. In der Beschwerdeschrift wird
sodann auch auf das zeitliche Moment hingewiesen: der Beschwerdeführer sei von
April 1997 bis Dezember 1998 – folglich über mehr als eineinhalb Jahre –
dem Vorwurf des Wuchers ausgesetzt gewesen. Die Behauptung der
Staatsanwaltschaft, der Beschwerdeführer hätte sich gar nicht gegen einen
konkreten Vorwurf zur Wehr setzen müssen, wirke für den Beschwerdeführer
nachgerade sarkastisch. Entscheidend sei die Frage, ob ein bestimmter
Angeschuldigter sich gegen einen bestimmten Vorwurf einer strafbaren Handlung zu
verteidigen habe oder nicht. Wenn dem so sei, sei materiell eine Untersuchung im
Gang, auch wenn dies formal nach Prozessordnung eine andere Bezeichnung gefunden
habe. Im Ergebnis bedeute vorliegend die Verweigerung einer Entschädigung eine
Bestrafung ohne Verurteilung.
2. a)
Die schwyzerische Strafprozessordnung kennt die sog. eingliedrige Untersuchung
ohne scharfe Trennung zwischen Untersuch einerseits und Ermittlung, welche
ebenso polizeilich wie auch untersuchungsrichterlich erfolgen kann, anderseits.
Eine exakte Trennung zwischen Ermittlungs- und Untersuchungsverfahren kann sich
als schwierig erweisen. Den Untersuchungsorganen ist dabei ein gewisser
Ermessensspielraum einzuräumen. Immerhin hat sich für die Abgrenzung des
Ermittlungsverfahrens vom Untersuchungsverfahren kantonal (EGV 1983, S. 93f.)
und landesweit (Cloetta, Nichtanhandnahme und Einstellung der Strafuntersuchung
in der Schweiz, 1984, S. 48) eine wegleitende Praxis herausgebildet, wonach im
Ermittlungsverfahren bei ausgeschlossenen oder eingeschränkten
Parteimitwirkungsmöglichkeiten in einem einfachen Verfahren meist polizeilich,
gegebenenfalls aber auch untersuchungsrichterlich, abgeklärt werden soll, ob
Anhaltspunkte für ein Strafverfahren gegeben sind; weitergehende Erhebungen und
Beweisabnahmen, welche den objektiven und subjektiven Tatbestand, die Person des
Täters, die Rechtswidrigkeit, die Schuldfrage sowie die formellen
Voraussetzungen des Strafverfahrens betreffen, gehen über das
Ermittlungsstadium hinaus und sind dem Untersuchungsverfahren zuzurechnen, in
welchem die Parteirechte auf Akteneinsicht, Beweisantragsstellung und Teilnahme
an Untersuchungshandlungen grundsätzlich gewährleistet sind (Verfügung des
a.o. Staatsanwaltes vom 5.2.1998; zum Ganzen auch: Hauser/Schweri,
Schweizerisches Strafprozessrecht, 4. A., N. 33ff. zu § 75).
b) Für
die Abklärung, ob Anhaltspunkte für ein Strafverfahren gegeben sind, sind in
der Regel gewisse Erhebungen nötig. Das Gesetz spricht denn auch davon, dass
bei Zweifel über das Vorliegen einer strafbaren Handlung «die nötigen
Erhebungen» vorzunehmen sind und dann der Untersuchungsrichter über die Eröffnung
der Untersuchung entscheidet (§ 59 Abs. 2 StPO). Im Unterschied zur
Untersuchung beschränkt sich dieses erste Stadium eher auf eine vorläufige,
sammelnde Tätigkeit, bei der es insbesondere darum geht, den äusseren Hergang
eines Vorganges zu ermitteln. Das Untersuchungsverfahren anderseits dient vor
allem dazu, durch Prozesshandlungen verschiedenster Art den Sachverhalt in
rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht so abzuklären, dass gestützt darauf
Anklage erhoben oder das Verfahren eingestellt werden kann (Cloetta, a.a.O., S.
16; Hauser/Schweri, N. 33 zu § 75; N. 2 zu § 76). Die Abgrenzung ist im
Einzelfall – wie angetönt – nicht leicht, und den Strafverfolgungsbehörden
ist deshalb ein gewisser Spielraum einzuräumen.
c) Die
Eröffnung der Strafuntersuchung wird in der Praxis der Schwyzer
Strafuntersuchungsbehörden nicht formell verfügt. Diese Praxis birgt die
Gefahr in sich, dass nach erfolgten Erhebungen ein Verfahren formell durch
Nichteröffnung abgeschlossen wird, obwohl materielle Untersuchungshandlungen
vorgenommen worden waren. Für die Frage der Entschädigung darf deshalb nicht
die formelle Bezeichnung des Verfahrensabschlusses massgeblich sein, wie der
Beschwerdeführer an sich zu Recht einwendet. Zu prüfen ist in einem konkreten
Fall vielmehr, ob das Verfahren in materiellem Sinne noch im Stadium der
Ermittlungen stand oder bereits so weit fortgeschritten war, dass es nur mittels
Einstellungsverfügung hätte erledigt werden dürfen. Ist letzteres der Fall,
so besteht nach § 54 Abs. 3 in Verb. mit § 52 StPO ein Anspruch des zu Unrecht
Verfolgten auf Entschädigung für ungerechtfertigte Nachteile. Im anderen Fall
fehlt es an einer gesetzlichen Grundlage für die Zusprechung einer Entschädigung;
einem Anspruch übrigens, der sich aus dem kantonalen öffentlichen Recht
herleitet (BGE 108 Ia 13; Hauser/Schweri, a.a.O., N. 1ff. zu § 109; und
umfassend siehe Donatsch/Schmid, Kommentar zur Strafprozessordnung des Kts. Zürich,
N. 1ff. zu § 43). Ein Beanzeigter hat somit keinen Anspruch auf eine Entschädigung
für mögliche Nachteile, wenn das Verfahren im Ermittlungsstadium blieb und
tatsächlich (materiell) keine eigentlichen strafprozessualen Massnahmen
erfolgten. Hierfür mangelt es an einer gesetzlichen Grundlage im kantonalen
Recht, und es steht auch dem Richter nicht zu, die Regelung von §§ 52ff. StPO
analog auf den Fall der Nichteröffnung der Strafuntersuchung auszudehnen.
Vorbehalten bleibt ein allfälliger Anspruch eines Inhaftierten für
ungesetzliche Haft aus dem verfassungsmässigen Recht der persönlichen Freiheit
bzw. Art. 5 Ziff. 5 EMRK (z.B. Polizeihaft nach § 29a StPO; siehe auch Praxis
1998, Nr. 78).
d)
Diese einschränkende Entschädigungsregelung ergibt sich aus dem Grundsatz,
dass jede Person bis zu einem gewissen Grad das Risiko einer ungerechtfertigt
gegen sie geführten Strafverfolgung als sog. «Sonderopfer» selbst zu tragen
hat (Donatsch/Schmid, a.a.O., N. 8 zu § 43). Das Bundesgericht umschrieb diesen
Grundsatz in einem das Verwaltungsstrafverfahren des Bundes betreffenden Entschädigungsentscheid
wie folgt (BGE 107 IV 157):
Eine
Entschädigungspflicht im Sinne von Art. 99 Abs. 1 VStrR besteht nicht schon für
jeden geringfügigen Nachteil. Auch in einem Rechtsstaat hat der Bürger grundsätzlich
das durch die Notwendigkeit der Verbrechensbekämpfung bedingte Risiko einer
gegen ihn geführten materiell ungerechtfertigten Strafverfolgung bis zu einem
gewissen Grad auf sich zu nehmen. Die Entschädigungspflicht im Sinne der
genannten Bestimmung setzt daher wie diejenige nach Art. 122 Abs. 1 BStP eine
gewisse objektive Schwere der Untersuchungshandlung und einen dadurch bedingten
erheblichen Nachteil voraus (BGE 84 IV 46/47). Dieser ist vom Ansprecher zu
substanzieren und zu beweisen (Entscheid der AK vom 14.4.1981 i. S. Sch. c.
Bundesanwaltschaft).
Diese
Maxime kommt auch in der Praxis zu kantonalen Entschädigungsregelungen zum
Ausdruck. So sind beispielsweise nach der Zürcher Regelung nur die wesentlichen
Kosten und Umtriebe vom Staat zu entschädigen (§ 43 StPO-ZH). Darüber ist im
Einzelfall nach billigem Ermessen zu entscheiden, wobei die objektive Schwere
des Eingriffs und die hervorgerufenen Nachteile zu beachten sind. So wurden etwa
als unerhebliche Kosten das einmalige Verhör und das Erscheinen aufgrund einer
fakultativen Vorladung bezeichnet (Donatsch/Schmid, a.a.O., N. 8 zu § 43 mit
Hinweisen; Hauser/Schweri, a.a.O., N. 5 und 8 zu § 109; Schmid,
Strafprozessrecht, 3. A., N. 1220, erwähnt, dass der Bürger beispielsweise
einzelne Einvernahmen in Kauf zu nehmen hat).
e)
Daraus ergibt sich, dass entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers nicht
der blosse Umstand entschädigungsbegründend sein kann, dass eine bestimmte
Person einem konkreten Vorwurf strafbaren Verhaltens ausgesetzt ist. Dies auch
dann nicht, wenn diese Ermittlungstätigkeit der staatlichen Untersuchungsorgane
für den Betroffenen gewisse Nachteile – seien es solche immaterieller oder
materieller Natur – mit sich bringen. Die Untersuchungsbehörde oder die
Polizei hat die an sie gerichteten Strafanzeigen zu prüfen, und im Rahmen von
solchen ersten Ermittlungen sind vom Bürger gewisse Umtriebe zu akzeptieren,
ohne dass er hierfür den Staat finanziell zur Rechenschaft ziehen kann.
f) Zu
beachten ist schliesslich, dass im Rahmen des Ermittlungsverfahrens der
Angezeigte noch nicht strafprozessualen Zwangsmassnahmen ausgesetzt ist (wie
Untersuchungshaft, Beschlagnahme, Durchsuchung oder Überwachung). Auch dieser
Umstand spricht dafür, für das eigentliche Ermittlungsverfahren eine Entschädigungspflicht
auszuschliessen.
3. Die
Rekurskammer ist mit der Staatsanwaltschaft der Auffassung, dass die Erhebungen
im vorliegenden Fall nicht derart weit gediehen sind, dass von materiellen
Untersuchungshandlungen die Rede sein kann. Zu beachten ist insbesondere, dass
keine eigentlichen strafprozessualen Untersuchungshandlungen im Sinne von §§
23ff. StPO, welche den Beschwerdeführer betroffen hätten, veranlasst wurden.
Der Fall blieb mit der Anfrage der Polizei vom 7. April 1998 auf der Ebene der
Ermittlungstätigkeit. Den Akten lässt sich entnehmen, dass sich der
Beschwerdeführer wiederholt aus eigenem Antrieb bei der Untersuchungsbehörde
meldete (gemäss Leistungsblatt Dr. M: Schreiben vom 27.10.1997, 23.9.1998,
16.11.1998 und 27.11.1998; Telefonate an Verhöramt Schwyz vom 18.11.1998,
24.11.1998 und 10.12.1998). Dass sich der Beschwerdeführer nach Kenntnis der
Strafanzeige sozusagen präventiv im Verfahren äusserte, ist unter den
konkreten Umständen zwar verständlich. Dieses Vorgehen kann aber nicht dazu führen,
dass der Beanzeigte für die entsprechenden Bemühungen vom Staat entschädigt
werden muss.
(Beschluss
vom 4.10.1999; KG 293/99 RK 2).
Strafprozessrecht
– Die Eröffnung einer Strafuntersuchung bedarf keiner formellen Verfügung
und ist daher nicht beschwerdefähig.
Aus
den Erwägungen:
Im
Gegensatz zur Untersuchungsrichterin kommt der Staatsanwalt zum Schluss, dass
hinsichtlich der Ausstellung des Arbeitszeugnisses eine Strafuntersuchung wegen
Urkundenfälschung zu eröffnen sei. Zu prüfen ist vorab die Frage, ob die Eröffnung
einer Untersuchung einen formellen Akt darstellt, gegen den die angeschuldigte
Person bei den Aufsichtsbehörden ein ordentliches Beschwerdeverfahren führen
kann (§ 140 StPO).
Im
Gegensatz zur Nichteröffnung einer Strafuntersuchung bedarf die Eröffnung
keiner formellen Verfügung. § 59 Abs. 1 und 2 StPO halten fest, dass der
Untersuchungsrichter – evtl. nach nötigen Erhebungen – die Untersuchung eröffnet,
wenn die Voraussetzungen der Strafverfolgung gegeben sind. Die Eröffnung des
Strafverfahrens ist – im Unterschied zur Nichteröffnung – weder zu begründen
noch den Parteien mitzuteilen. In der Regel wird die Untersuchung konkludent eröffnet.
Der Untersuchungsrichter nimmt die Untersuchung von sich aus, auf Antrag oder
Anzeige hin faktisch an die Hand; einer formellen Verfügung bedarf es nicht.
Hauser/Schweri, Schweizerisches Strafprozessrecht, 4. A., § 76, N. 6, halten
fest, dass auch dort, wo der Untersuchungsbeamte die Eröffnung förmlich festhält,
diesem Akt keine konstitutive Wirkung zukomme, da die Eröffnung auch konkludent
erfolgen könne (siehe auch N. Schmid, Strafprozessrecht, 3. A., Rz. 780 und
785). Gleich muss es sich verhalten, wenn der Staatsanwalt aufsichtsrechtlich
die Eröffnung der Untersuchung gegen den Willen des Untersuchungsrichters
anordnet. Die Eröffnung wird auch nicht beschwerdefähig, wenn sie im Rahmen
eines von einer geschädigten Partei gegen die verfügte Nichteröffnung
veranlassten Beschwerdeverfahrens durch die Staatsanwaltschaft angeordnet wird.
Der Staatsanwalt handelt dann im Rahmen seiner Aufsichtsgewalt – wie er etwa
auch im Rahmen einer Amtsvisitation gegen die Auffassung des
Untersuchungsrichters die Eröffnung einer Strafuntersuchung veranlassen könnte.
In der Sache handelt es sich somit um ein aufsichtsrechtliches Eingreifen oder,
wie es Schmid unter Rz. 995, Anm. 83 bezeichnet, um einen behördeninternen
Vorgang, wogegen keine Rekursmöglichkeit besteht. Dass die Anordnung im Rahmen
eines Beschwerdeverfahrens und damit gegen aussen wirksam wird, macht sie nicht
anfechtbar. Es bleibt in der Sache ein Akt der Aufsichtsgewalt der
Staatsanwaltschaft, die an Stelle des Untersuchungsrichters handelt, der die
Untersuchung formlos und ohne Mitteilung an die Parteien hätte eröffnen müssen.
Hinzuweisen
ist allerdings darauf, dass das Kantonsgericht im Rahmen seiner Aufsichtsgewalt
befugt wäre, eine staatsanwaltliche Anordnung auf Eröffnung der Untersuchung
von Amtes wegen aufzuheben, wenn die Strafbarkeit klar nicht gegeben wäre oder
es an einer Prozessvoraussetzung fehlen würde. Dies ist vorliegend nicht der
Fall. Insbesondere ist der in der Beschwerde erhobene, aber nicht weiter begründete
Einwand der Verjährung nicht stichhaltig, nachdem für Urkundenfälschung als
eine mit Zuchthaus bedrohte Tat die zehnjährige Verfolgungsverjährung gilt.
Die
Anordnung des Staatsanwaltes auf Eröffnung der Strafuntersuchung ist demgemäss
nicht beschwerdefähig. Insoweit ist auf die Beschwerde nicht einzutreten.
(Beschluss
vom 1.7.1999; KG 264/99 RK 2).
Schuldbetreibungs-
und Konkursrecht
– Nur die Behörde, welche verfügt hat, ist Beschwerdegegner im Verfahren
nach Art. 17 SchKG.
Aus
den Erwägungen:
Die
Vorinstanz hat neben dem Betreibungsamt S. den Schuldner als Beschwerdegegner
aufgeführt. Die Beschwerde richtete sich nur gegen das Betreibungsamt als verfügende
Instanz. Nur gegen diese im Vollstreckungsverfahren verfügende Instanz kann
sich denn auch die Beschwerde nach Art. 17 SchKG richten. Beschwerdegegner ist
immer das Vollstreckungsorgan, das die angefochtene Verfügung getroffen hat
oder von dem sie erwartet wird (Amonn/Gasser, Grundriss des Schuldbetreibungs-
und Konkursrechts, 6. A., § 6, Rz. 29; Cometta, SchKG-Kommentar, N. 46f. zu
Art. 17). Die Gegenpartei des Betreibungsverfahrens hat allenfalls das Recht auf
Anhörung, ist aber nicht, wie in einem zivilrechtlichen Rechtsmittelverfahren,
auch Gegenpartei des Beschwerdeverfahrens.
Freilich
ist sie in der Regel befugt, einen gegen ihre Interessen zuwiderlaufenden
Entscheid an die nächst höhere Aufsichtsinstanz weiterzuziehen. Daraus ergibt
sich dann aber ein neues Verfahren mit neuem Streitgegenstand (Fritzsche/Walder,
Schuldbetreibung und Konkurs nach schweizerischem Recht, Bd. I, § 8, Rz. 17).
Die untere Aufsichtsbehörde hat demgemäss den Schuldner zu Unrecht als
weiteren Beschwerdegegner aufgeführt. An der Sache vorbei geht insbesondere die
Feststellung in der Entscheidbegründung, wonach «die betreibungsrechtliche
Beschwerde gegen den Beschwerdegegner Ziff. 2 wegen fehlender Passivlegitimation
abzuweisen» sei (Erw. 2). Die Sachlegitimation betrifft die Frage der
materiellrechtlichen Voraussetzung eines Klageanspruchs in einem Zivilverfahren.
Diese Fragestellung hat im SchKG-Beschwerdeverfahren nichts zu suchen. Im
Beschwerdeverfahren geht es allein um die Prüfung der Rechtmässigkeit und
Angemessenheit der Verfahrenstätigkeit der SchKG-Vollstreckungsorgane. Daraus
ergibt sich, dass Dispositiv-Ziffer 1 von Amtes wegen und ersatzlos aufzuheben
ist.
(Beschluss
vom 26.3.1999; KG 44/99 RK 2).
Schuldbetreibungs-
und Konkursrecht
– Bankenkonkurs.
Aus
den Erwägungen:
Das
Konkursverfahren über Banken findet seine Grundlage in Art. 36 des
Bundesgesetzes über Banken und Sparkassen (SR 952.0, BankG). In dieser
Bestimmung und in den materiellen Normen Art. 37a und b BankG finden sich
Abweichungen des Bankenkonkursrechts vom gemeinen Zwangsliquidationsrecht. Von
der in Art. 36 Abs. 5 BankG eingeräumten Befugnis, für das Konkursverfahren
weitere Vorschriften zu erlassen, hat das Bundesgericht (im Gegensatz zum
Nachlassverfahren für Banken) bis anhin keinen Gebrauch gemacht. In Art. 53 der
Vollziehungsverordnung des Bundesrates zum Bundesgesetz über die Banken und
Sparkassen (SR 952.821) wird das Beschwerdeverfahren u.a. gegen Entscheide des
Konkursgerichts geregelt.
Nach
Art. 36 Abs. 4 haben die Kantonsregierungen als Konkursgericht eine einzige
kantonale Instanz zu bestimmen. Hierzu bestimmt wurde gemäss
Regierungsratsbeschluss betreffend den Vollzug des Bundesgesetzes über die
Banken und Sparkassen das Kantonsgericht (nGS-310; § 1 lit. b). Streitigkeiten,
welche gemäss Bundesrecht von einer einzigen kantonalen Instanz zu beurteilen
sind, werden vom Präsidenten einer Kammer zugewiesen (§ 28 Abs. 4 GO). Die
Zuweisung erfolgt an die 2. Rekurskammer, die im Übrigen auch Rekurse und
Nichtigkeitsbeschwerden in SchKG-Sachen behandelt und als Nachlassgericht und
obere SchKG-Aufsichtsbehörde amtet.
Ohne
vorgängige Betreibung eröffnet der Konkursrichter auf Überschuldungsanzeige
hin über eine Aktiengesellschaft den Konkurs (Art. 192 SchKG, Art. 725a Abs. 1
OR). Formelle Voraussetzung einer Konkurseröffnung gemäss Art. 725a OR ist
eine rechtsgültig unterzeichnete Anzeige der Überschuldung an den Richter. Die
Anzeigepflicht der Liquidatorin regelt Art. 743 Abs. 2 OR. Sie hat, sobald sie
eine Überschuldung feststellt, den Richter zu benachrichtigen; und dieser hat
die Eröffnung des Konkurses auszusprechen. Die Anzeige liegt mit Gesuch der
Liquidatorin vor.
Art.
743 Abs. 2 OR verlangt im Unterschied zu Art. 725 Abs. 2 OR keine Prüfung der
wegen Überschuldungsverdachts erstellten Zwischenabrechnung durch die
aktienrechtliche Revisionsstelle. Ausgangspunkt der vorliegenden Überschuldungsprüfung
durch das Konkursgericht bildet demnach die von der Liquidatorin erstellte
Zwischenbilanz, die im Gesuch dargelegten Wertberichtigungen sowie der
vorgelegte Status.
Ein
Konkursaufschub durch den Richter im Liquidationsfall analog Art. 725a Abs. 1 OR
ist ausgeschlossen, da nicht mehr über die Fortführung einer Unternehmung zu
befinden ist, sondern lediglich noch darüber, welches Liquidationsverfahren –
die ordentliche Liquidation nach Obligationenrecht oder das Konkursverfahren –
durchzuführen ist. Der Konkursaufschub darf nicht gewährt werden, um eine
Liquidation ohne Konkursverfahren zu ermöglichen (BGE 101 III 106; ZR 94/1995
Nr. 60; Honsell/Vogt/Watter, Kommentar zum Schweizerischen Privatrecht, N. 4 zu
Art. 725a OR und N. 11, 14 zu Art. 743 OR; Böckli, Schweizer Aktienrecht, 2.
A., N. 1679a). Dem in der Verhandlung gestellten Eventualantrag – die Eröffnung
des Konkurses sei aufzuschieben – ist damit zum vornherein der Boden entzogen.
Die Bank X. kann infolge Auflösung keine Banktätigkeit mehr ausüben und
befindet sich in Liquidation. Die Sanierungsfrage stellt sich damit nicht.
Materielle
Voraussetzung für eine Konkurseröffnung ist das Vorliegen einer tatsächlichen
Überschuldung der Gesellschaft. Eine Überschuldung liegt dann vor, wenn gemäss
Zwischenbilanz die Aktiven das Fremdkapital nicht mehr decken. Für die
richterliche Beurteilung der Vermögenslage, welche im summarischen Verfahren zu
erfolgen hat, kann auch bilanzmässig nicht quantifizierbaren Elementen (z.B.
Zustand der Buchhaltung, Vorliegen einer Strafanzeige, Revisionsunterlagen)
massgebliche Bedeutung zukommen (Honsell, a.a.O., N. 3 zu Art. 725a OR).
Bei
der Überschuldungsprüfung der Finanzlage einer Aktiengesellschaft hat sich der
Richter von den massgeblichen Buchführungs- und Bewertungsvorschriften leiten
zu lassen. Er kann nicht auf Angaben abstellen, welche die finanzielle Lage der
Gesellschaft in einem zu rosigen Licht erscheinen lassen. Abzustellen ist nur
auf Aktiven und Passiven, die ordnungsgemäss bewertet sind (Böckli, a.a.O., N.
1682 und 1684b). Hierzu gehört das bei der Rechnungslegung zu beachtende
Vorsichtsprinzip (Art. 662a Abs. 2 Ziff.
3 OR) und die in Art. 669 enthaltenen Pflichten zu Wertkorrekturen. Danach müssen
Abschreibungen, Wertberichtigungen und Rückstellungen vorgenommen werden,
soweit sie nach allgemein anerkannten kaufmännischen Grundsätzen notwendig
sind. Rückstellungen sind insbesondere zu bilden, um ungewisse Verpflichtungen
und drohende Verluste aus schwebenden Geschäften zu decken. Aktiven sind im
Wert zu berichtigen, respektive es ist ein entsprechendes Delkredere
einzusetzen, wenn der Bestand oder die Vollstreckung von Forderungen ungewiss
ist. Es handelt sich um diejenigen Korrekturen, die erforderlich sind, um eine
korrekte und dem Vorsichtsprinzip Rechnung tragende Darstellung der finanziellen
Lage der Gesellschaft sicherzustellen (KG 214/98 RK 2, Beschluss vom 17.7.1998
i.S. L.A.V. AG, E. 3 f; Forstmoser/Meier-Hayoz/Nobel, Schweizerisches
Aktienrecht, 1996, § 50, N. 230ff., 292; zum Ganzen auch: Böckli, a.a.O., N.
1054ff., Honsell, a.a.O., N. 1ff. zu Art. 669 OR; Käfig, Berner Kommentar, N.
424ff. zu Art. 959 OR).
(Beschluss
vom 18.3.1999; KG 23/99 RK 2).
Schuldbetreibungs-
und Konkursrecht
– Art. 265a Abs. 1 SchKG: Wird der Entscheid nur aufgrund von kantonalem
Verfahrensrecht gefällt, so sind die kantonalen Rechtsmittel zulässig.
Aus
den Erwägungen:
1. B.
wurde mit Zahlungsbefehl vom ... betrieben. Er erhob am 18. August 1999
Rechtsvorschlag mit der Begründung: Kein neues Vermögen. Das Betreibungsamt
legte diesen Rechtsvorschlag im Sinne von Art. 265a SchKG dem Einzelrichter zum
Entscheid vor. Der Einzelrichter lud am 20. August 1999 die Parteien zur
Hauptverhandlung auf 30. August 1999, 16.00 Uhr vor. Dem Schuldner drohte der
Einzelrichter für den Fall des unentschuldigten Fernbleibens an, dass auf seine
Klage nicht eingetreten werde (§ 168 ZPO) und der Rechtsvorschlag nicht
bewilligt werde. Mit Verfügung vom 31. August 1999 trat der Einzelrichter
infolge Säumnis des Schuldners auf das Begehren um Bewilligung des
Rechtsvorschlages nicht ein. In den Erwägungen führt er aus, dass auf den in
der Einrede implizierten Antrag auf Bewilligung des Rechtsvorschlages
androhungsgemäss nicht eingetreten werde, da der säumige Schuldner nicht
besser gestellt werden soll als derjenige, der die Einrede des mangelnden Vermögens
gar nicht erst erhebt.
2. Mit
Eingabe vom 9. September 1999 ersucht B. das Kantonsgericht um Aufhebung der
Verfügung des Einzelrichters vom 31. August 1999.
3. Gemäss
Art. 265a Abs. 1 SchKG legt das Betreibungsamt den Rechtsvorschlag des
Schuldners mit der Begründung, er sei nicht zu neuem Vermögen gekommen, dem
Richter des Betreibungsortes vor (Einzelrichter gemäss § 12 Abs. 1 Ziff. 12
EVzSchKG). Dieser hört die Parteien an und entscheidet endgültig. Der Richter
bewilligt den Rechtsvorschlag, wenn der Schuldner seine Einkommens- und Vermögensverhältnisse
darlegt und glaubhaft macht, dass er nicht zu neuem Vermögen gekommen ist (Abs.
2). Bewilligt der Richter den Rechtsvorschlag nicht, so stellt er den Umfang des
neuen Vermögens fest (Abs. 3 Satz 1). Der Schuldner und der Gläubiger können
innert 20 Tagen nach der Eröffnung des Entscheides über den Rechtsvorschlag
auf dem ordentlichen Prozessweg beim Richter des Betreibungsortes Klage auf
Bestreitung oder Feststellung des neuen Vermögens einreichen. Der Prozess wird
im beschleunigten Verfahren durchgeführt (Abs. 4).
a) In
der Botschaft über die Änderung des Bundesgesetzes über Schuldbetreibung und
Konkurs vom 8. Mai 1991 wird zu dieser neuen Vorschrift ausgeführt, dass der
Entscheid des Richters gemäss Abs. 1 der Bestimmung endgültig sei; kantonale
Rechtsmittel – ordentliche oder ausserordentliche – seien mithin
ausgeschlossen. Der Rechtsschutz der Parteien erleide dadurch keine Einbusse;
denn wer mit dem Bewilligungsentscheid nicht einverstanden sei, könne gemäss
Abs. 4 Klage erheben. Der Streitgegenstand sei derselbe (BBl 1991 III, S. 159).
Das Kantonsgericht hat sich in Übereinstimmung mit der überwiegenden
Lehrmeinung (so Amonn/Gasser, Grundriss des Schuldbetreibungs- und
Konkursrechts, Bern 1997, § 48, Rz. 43; Gasser, Nachlassverfahren,
Insolvenzerklärung und Feststellung des neuen Vermögens, in: ZBJV 1996, S. 19;
Gut/Rajower/Sonnenmoser, Rechtsvorschlag mangels neuen Vermögens, in: AJP 5/98
535; Huber, in SchKG-Kommentar, Bd. III, Basel 1998, Art. 265a, Rz. 31;
kritisch: Brönnimann, Neuerungen bei ausgewählten Klagen des SchKG, in : ZSR
1996, Bd. I, S. 230) dieser Auffassung angeschlossen (KG 304/97 RK 2 v.
15.10.1997, 178/99 RK 2 v. 14.6.1999). Im eben erstzitierten Fall aus dem Jahre
1997 hat das Kantonsgericht allerdings einen Nichteintretensentscheid des
Vorderrichters als nichtig aufgehoben, weil er die Schuldnerin in jenem
Verfahren nicht vorschriftsgemäss angehört hat. Bezüglich der Frage der Endgültigkeit
eines Entscheides nach Art. 265a Abs. 1 SchKG wurde jedoch nicht zwischen einem
Entscheid in der Sache – also der Bewilligung oder Nichtbewilligung des mit
fehlendem Vermögen begründeten Rechtsvorschlages – und einem
Nichteintretensentscheid aus prozessualen Gründen unterschieden. Auf diese
Frage ist nunmehr einzugehen.
b)
Wenn Art. 265a Abs. 1 SchKG von der Endgültigkeit des Entscheides des
Einzelrichters spricht, kann diese Endgültigkeit nur der Entscheid in der
Sache, d.h. die Nichtbewilligung (Abs. 3) oder die Bewilligung (Abs. 2) des mit
fehlendem neuen Vermögen begründeten Rechtsvorschlages betreffen. Es wird in
der Lehre aber die Auffassung vertreten, dass es zulässig ist, den Schuldner
unter der Androhung vorzuladen, dass bei unentschuldigtem Ausbleiben an der
Verhandlung auf seinen Antrag auf Bewilligung des Rechtsvorschlags nicht
eingetreten werde, was zur Folge hat, dass der Rechtsvorschlag als nicht erhoben
gilt (vgl. Jaeger/Walder/Kull/Kottmann, SchKG II, 4. Auflage, Zürich 1999, Art.
265a, Rz. 4 ohne weitere Begründung). Anders als bei der Bewilligung des
Rechtsvorschlages in der Wechselbetreibung ist das summarische Verfahren nach
Art. 265a Abs. 1–3 SchKG ein dem ordentlichen, beschleunigten Verfahren
vorgelagertes Bewilligungsverfahren, das neben prozessökonomischen Anliegen
vorab den Gläubiger besser dokumentieren soll (BBl 1991 III, S. 159). Damit
dieser Zweck des summarischen Bewilligungsverfahrens erreicht werden kann und um
die vom Gesetz verlangte Feststellung des Umfanges des neuen Vermögens im Falle
einer Nichtbewilligung des Rechtsvorschlages überhaupt treffen zu können, muss
dem Schuldner für den Fall der Säumnis das Nichteintreten mit der Wirkung,
dass die Einrede nicht als erhoben gilt, angedroht werden können. Weil sich nämlich
die Parteirollenverteilung aufgrund des Entscheides im summarischen Verfahren
nicht auf die Behauptungs- und die Beweislast im beschleunigten Verfahren
auswirkt (Gut/Rajower/Sonnenmoser, a.a.O., S. 537; Brönnimann, a.a.O., S. 231,
Huber, a.a.O., Art. 265a, Rz. 41; Gasser, a.a.O., S. 19), bringt dem
beweisbelasteten Gläubiger auch eine Nichtbewilligung des Rechtsvorschlages des
Schuldners mit einer bloss fiktiven und nicht effektiven Feststellung des neuen
Vermögens im Umfang der betriebenen Forderung nichts. Die Behauptungs- und
Beweislast im beschleunigten Verfahren gemäss Art. 265a Abs. 4 SchKG
umzukehren, würde dem Schuldner dagegen die verpönte Beweislast für negative
Tatsachen aufdrängen. Dem gesetzgeberischen Willen, den Gläubiger
besserzustellen (BBl 1991 III, S. 158) wird ausserdem auch besser entsprochen,
wenn dieser aufgrund der Säumnis des Schuldners im summarischen
Bewilligungsverfahren, die Einrede des fehlenden neuen Vermögens vom Tisch hat.
Aus diesen Gründen muss ein Nichteintretensentscheid mit der Folge, dass der
Schuldner in der laufenden Betreibung die Einrede des fehlenden neuen Vermögens
verwirkt, zulässig sein. Die Verwirkung der Einrede beseitigt hingegen den
Rechtsvorschlag insoweit nicht, als er gegen den Bestand der betriebenen
Forderung bzw. gegen deren Vollstreckbarkeit gerichtet ist.
c)
Wird das Bewilligungsverfahren aber nicht durch einen Entscheid in der Sache,
sondern gestützt auf das anwendbare kantonale Verfahrensrecht mit einem
Nichteintretensentscheid erledigt, findet die kantonale Rechtsmittelordnung
uneingeschränkt Anwendung. Der Einzelrichter ist vorliegend auf die Einrede
infolge Säumnisses des Schuldners gestützt auf § 168 ZPO nicht eingetreten.
Diesen Entscheid fällte der Einzelrichter mithin in Anwendung von kantonalem
Verfahrensrecht, welches gestützt auf Art. 25 Abs. 2 lit. d SchKG i.V.m. § 18
EVzSchKG Anwendung findet. Das Bewilligungsverfahren ist summarischer Natur,
weshalb vorliegend, da die betriebene Forderung Fr. 3000.– übersteigt, Rekurs
nach § 204 Abs. 1 ZPO zulässig ist.
(Beschluss
vom 7.12.1999; KG 425/99 RK 2).
Beurkundung
und Beglaubigung
– Die «Fernbeglaubigung» einer Unterschrift ist unzulässig.
Aus
dem Sachverhalt:
Die
Beschwerdeführerin teilte dem Kantonsgericht als Aufsichtsbehörde über die
Rechtsanwälte und Urkundspersonen mit, es habe sich im Laufe eines Verfahrens
gezeigt, dass der Beschwerdegegner eine Beglaubigung bezüglich einer
Unterschrift von M. K. getätigt habe, ohne dass diese in seiner persönlichen
Anwesenheit die Unterschrift abgegeben oder anerkannt haben soll.
Aus
den Erwägungen:
2. Die
Beschwerdeführerin rügt, dass der Beschwerdegegner eine
Unterschriftsbeglaubigung vorgenommen habe, ohne dass die Unterzeichnende die
Unterschrift in dessen Gegenwart vollzogen oder aber in dessen Gegenwart als
echt anerkannt habe.
a)
Vorab ist festzustellen, dass vorliegend keine Falschbeurkundung im Sinne von
Art. 317 StGB durch den Beschwerdegegner zur Diskussion steht. Der
Beschwerdegegner hat nur bescheinigt, dass Frau M. K. die vorstehende
Unterschrift (nämlich die unter dem Text «Bestätigung und Ermächtigung»)
als ihre Unterschrift anerkenne, was sie unbestrittenermassen vor der
Beglaubigung auch getan hat (act. 2). Gerügt seitens der Beschwerdeführerin
wird einzig das Vorgehen des Beschwerdegegners, nämlich, dass er die
Beglaubigung bloss aufgrund einer telefonischen Bestätigung hin vorgenommen und
somit vorschriftswidrig gehandelt habe.
b)
Zwar besagt die notarielle Unterschriftsbeglaubigung, dass die Person X. die
Urheberin der vorliegenden Unterschrift und der unterzeichnete Text dieser
zuzuordnen sei, doch wird der Text selber nicht zur öffentlichen Urkunde. Die
Urkundsperson hat weder kontrolliert noch bestätigt sie, dass der betreffende
Text dem wirklichen Wissen und Willen der unterzeichnenden Person entspricht.
Die Urkundsperson braucht sich um diesen Text, seine Vernünftigkeit,
Widerspruchsfreiheit, Vollständigkeit usw. nicht im Einzelnen zu kümmern. Die
Zuordnung des Textes zum Autor der Unterschrift ist die einzige Tatsache, welche
die beglaubigende Urkundsperson bestätigt (Christian Brückner, Schweizerisches
Beurkundungsrecht, Rz. 3245 zu § 115). Die Urkundsperson kann indessen nur als
richtig beurkunden, was sie selbst festgestellt hat. Dementsprechend kann sie
nur beglaubigen, dass eine Unterschrift von einer bestimmten, namentlich
genannten Person stamme, wenn sie sich persönlich davon überzeugt hat, dass
die Person, welche die Unterschrift vor ihr vollzogen oder als echt anerkannt
hat, mit der im Beglaubigungsvermerk bezeichneten Person identisch ist (ZG-GVP
1985/86, S. 111).
Es
stellt sich somit die Frage, ob der Beschwerdegegner mit der bloss telefonischen
Nachfrage die Formvorschriften der VO über die Beglaubigung und Beurkundung
verletzt hat.
c) §
13 der VO über die Beurkundung und Beglaubigung vom 28. Juni 1979 (nGS II-176;
nachfolgend VO genannt) besagt, dass eine Unterschrift oder ein Handzeichen nur
beglaubigt werden darf, wenn die Unterschrift oder das Handzeichen in Gegenwart
der Urkundsperson vollzogen oder von der betreffenden Person als echt anerkannt
wird.
Der
Formulierung von § 13 der VO ist nicht eindeutig zu entnehmen, ob sich die
Voraussetzung «in Gegenwart der Urkundsperson» auch zwingend auf den zweiten
Teil des Satzes bezieht, nämlich für den Fall, dass die Unterschrift bereits
vollzogen ist und nur noch von der betreffenden Person als echt anerkannt werden
muss. Auch ist die Möglichkeit der sogenannten Fernbeglaubigung in der VO nicht
explizit verboten. Dennoch kann diese Form der Beglaubigung einer Unterschrift
in Berücksichtigung der übrigen Bestimmungen der VO nicht als zulässig
erachtet werden.
aa)
Anzumerken ist, dass den Materialien bezüglich des Instituts der sogenannten
Fernbeglaubigung nichts zu entnehmen ist; auch in Zusammenhang mit den §§ 5
und 13 der VO ist diesbezüglich nichts Ausdrückliches festgehalten worden.
bb)
Ein Gesetz bzw. ein Gesetzesartikel muss in erster Linie aus sich selbst heraus,
d.h. nach Wortlaut, Sinn und Zweck und den ihm zugrunde liegenden Wertungen
ausgelegt werden. Es darf namentlich nicht blindlings auf ein einzelnes Wort
abgestellt werden. Der wahre Sinn der Vorschrift wird vielmehr erst erkennbar,
wenn ihr Wortlaut in seiner Gesamtheit in Betracht gezogen wird und auch die
weiteren massgebenden Auslegungsgesichtspunkte im Auge behalten werden (BGE 123
III 95).
Die
Verordnung über die Beurkundung und Beglaubigung vom 28. Juni 1979 gliedert
sich in fünf Abschnitte. Der zweite Abschnitt enthält einige für die
Beurkundung und Beglaubigung wesentliche allgemeine Bestimmungen, der vierte
Abschnitt ist im Speziellen der Beglaubigung gewidmet. So hält unter dem Titel
allgemeine Bestimmungen § 3 der VO ausdrücklich fest, dass die Urkundsperson
sich über die Identität sowie die Urteils- und Handlungsfähigkeit der vor ihr
erscheinenden Person zu vergewissern hat. Dass sich dieser Absatz nicht bloss
auf die Beurkundungen bezieht, wird in Absatz 2 deutlich, der vorsieht, dass bei
Zweifel von der Beurkundung oder Beglaubigung einstweilen abzusehen sei. Aber
auch § 7 der VO macht deutlich, dass eine Beglaubigung wohl nur in Anwesenheit
der beteiligten Person durchzuführen ist. Gemäss dieser Vorschrift hat die
Urkundsperson ein Register zu führen, aus dem die von ihr vorgenommenen
Beurkundungen und Beglaubigungen, der daran beteiligten Personen und das Datum
ersichtlich sind. Wenn also aufgrund des blossen Wortlautes von § 13 der VO die
Zulässigkeit der Fernbeglaubigung noch in Betracht zu ziehen wäre, so wird
diese Form der Beglaubigung durch die allgemeinen Bestimmungen bereits wieder
eingeschränkt resp. verunmöglicht. Die herrschende Lehrmeinung erachtet denn
auch die Form der Beglaubigung unter Abwesenden nur dann als zulässig, wenn
diese vom kantonalen Gesetzgeber nicht ausdrücklich verboten oder eingeschränkt
werde (vgl. Brückner, a.a.O., Rz. 3243 zu § 115 mit Hinweisen; vgl. Kurt
Sidler, Kurzkommentar zum luzernischen Beurkundungsgesetz, § 42). Da dies nach
dem Gesagten für das schwyzerische Beglaubigungswesen gerade zutrifft, ist
entgegen der Meinung des Beschwerdegegners die Fernbeglaubigung nicht zulässig.
d)
Aber selbst wenn die Fernbeglaubigung grundsätzlich als zulässig zu erachten wäre,
hätte sie in concreto gar nicht zur Anwendung gelangen dürfen. Wenn sich der
Beschwerdegegner nun für den vorliegenden Fall auf die Lehrmeinung von Peter
Ruf beruft, so übersieht er, dass Ruf die telefonische Anerkennung zwar als zulässig
erachtet, dies aber nur, wenn dem Notar der Unterzeichner persönlich so gut
bekannt ist, dass keine Zweifel über die Identität des telefonischen Gesprächspartners
besteht (Peter Ruf, Notariatsrecht, 1995, Rz. 1521 zu § 37). Aber auch der vom
Beschwerdegegner im Weiteren angerufene Kommentator Christian Brückner spricht
in Zusammenhang mit der sogenannten Fernbeglaubigung von den der Urkundsperson
«persönlich bekannten Personen» und sieht als zusätzliche Voraussetzung für
die Beglaubigung unter Abwesenden, dass die Urkundsperson die zu beglaubigende
Unterschrift bereits kennt oder dass sie ein zuverlässiges Muster zum Vergleich
zur Hand hat (Brückner, a.a.O., Rz. 3308 zu § 116, vgl. auch Rz. 3314ff. zu §
116). Bei der Fernbeglaubigung genügt also nicht bloss eine telefonische Bestätigung,
sondern es versteht sich von selbst, dass die Identität des telefonischen Gesprächspartners
mitbekannt ist. Wenn nun aber ein Unbekannter von der Urkundsperson die
Unterschriftsbeglaubigung verlangt, besteht ein echtes Fälschungsrisiko und
damit ein echter Kontrollbedarf bezüglich Unterschriftenechtheit und Identität
des Unterzeichners (Brückner, a.a.O., Rz. 3310f. zu § 116). Bei
Erst-Beglaubigungen, d.h., wenn die Urkundsperson die Unterschrift eines ihm
Unbekannten zu beglaubigen hat, ist die blosse Protokollnahme der
Anerkennungserklärung des Erschienenen ungenügend. Eine sorgfältige Identitätskontrolle
des Unterzeichners, d.h. die Würdigung des vorgelegten Ausweispapiers nach
Inhalt, Rechtsnatur, Alter und äusserem Zustand, ein Vergleich des Passfotos
mit dem Aussehen der erschienenen Person und eine angemessene Kontrolle der
anderen Merkmalsbeschreibungen und Personalangaben ist in einem solchen Fall
geboten (Brückner, a.a.O., Rz. 3313 zu § 116).
aa)
Der Beschwerdegegner behauptet nicht, M. K. persönlich gekannt und sie deshalb
auch am Telefon an ihrer Stimme erkannt zu haben. Auch macht er nicht geltend,
ihre Unterschrift gekannt resp. anhand eines ihm im Original vorgelegenen
Ausweispapiers verglichen zu haben. Aufgrund der Aussagen von A. und M. K. sowie
der Stellungnahme des Beschwerdegegners ist vielmehr davon auszugehen, dass sich
die Parteien (mit Ausnahme von A. und M. K.) nicht persönlich gekannt haben,
geschweige denn, dass der Beschwerdegegner die Unterschrift von M. K. einer
eingehenden Kontrolle unterzogen hätte. Daran vermag auch der Umstand nichts zu
ändern, dass der Beschwerdegegner selber die besagte «Bestätigung und Ermächtigung»
vom 12. Dezember 1996 anhand des Fahrzeugausweises von M. K. aufgesetzt hatte,
zumal der Fahrzeugausweis weder mit der Unterschrift von M. K. versehen ist noch
dem Beschwerdegegner im Original vorgelegen war. Dass es sich tatsächlich um
die Unterschrift von M. K. gehandelt hat, ändert genauso wenig daran.
Gemäss
§ 3 der VO hat sich die Urkundsperson unter anderem über die Identität der
vor ihr erschienenen Person zu vergewissern. Nachdem der Beschwerdegegner M. K.
weder persönlich gekannt noch Identitätsabklärungen vorgenommen hatte, hat er
gegen die ihm als Urkundsperson gemäss den §§ 3ff. der VO auferlegten Prüfungs-
bzw. Sorgfaltspflichten verstossen.
(Beschluss
vom 21.12.1999; KG 183/99 RK 1).
Anmerkung: Der Kantonsrat hat am 24. Mai 2000 einer Totalrevision der Verordnung über die Beurkundung und Beglaubigung zugestimmt. § 19 derselben hält ausdrücklich fest, dass eine Unterschrift oder ein Handzeichen nur beglaubigt werden darf, wenn in Gegenwart der Beglaubigungsperson die Unterschrift oder das Handzeichen vollzogen oder von der betreffenden Person als echt anerkannt wird. Nach dem Bericht des Regierungsrates zur Vorlage an den Kantonsrat sollte damit verdeutlicht werden, dass Fernbeglaubigungen nicht zulässig sind.