EGV-SZ 1996

[Entscheide Nr. 29, 30, 31, 32, 33, 34, 35, 36, 37] 

 

II. Zivil- und Strafgerichte

29

Zivilrecht

- Einsichtsrecht in Belege des Grundbuches.

Aus den Erwägungen:

1. Nach revidiertem Art. 970 ZGB (in Kraft seit 1. Januar 1994) ist jedermann berechtigt, darüber Auskunft zu erhalten, wer als Eigentümer eines Grundstücks im Grundbuch eingetragen ist (Abs. 1). Ein weitergehendes Einsichtsrecht ins Grundbuch kommt aber nur demjenigen zu, der ein Interesse glaubhaft macht (Abs. 2).

Welche Art von Interessen zur Einsichtnahme berechtigen, ist dem Art. 970 Abs. 2 ZGB nicht zu entnehmen. Da der Wortlaut dieser Bestimmung im Revisionsverfahren im Grundsatz unverändert geblieben ist, und eine Erweiterung der unter dem alten Recht geschützten Interessen für eine erfolgreiche Einsichtnahme ins Grundbuch nicht bezweckt wurde (BBl. 1988 III, S. 1085), kann auf die Lehre und Rechtsprechung zu aArt. 970 Abs. 2 ZGB zurückgegriffen werden. Danach genügt die Glaubhaftmachung eines rechtlichen oder tatsächlichen Interesses, um Einsicht in das Grundbuch zu erlangen. Ein rechtliches Interesse an der Einsichtnahme ins Grundbuch setzt eine Beziehung des Antragstellers zum Grundstück voraus, wobei sich diese aus einem dinglichen Recht oder aus einem Rechtsgrund, ein solches zu erwerben, ergibt (Deschenaux, SPR V/3.1., 1988, S. 163). Ein geltend gemachtes tatsächliches Interesse muss dagegen mit Blick auf die Aufgabe des Grundbuches und auf die Ziele, die der Antragsteller verfolgt, schutzwürdig sein. Das tatsächliche Interesse kann wirtschaftlicher, wissenschaftlicher und anderer Natur sein (Deschenaux, a.a.O., S. 165ff.).

In der Literatur ist umstritten, ob die Beschaffung von Unterlagen für die Vorbereitung eines bevorstehenden Prozesses ein Einsichtsrecht rechtfertigt. Die ältere Literatur bejaht dies vorbehaltlos (Homberger, Zürcher Kommentar, 1938, Art. 970 N 7 mit Nachweisen; Bemerkungen der Redaktion ZBGR zum „Schah-Fall" - ZBGR 1982, S. 291). In neuerer Zeit wird diese Sicht der Dinge in Frage gestellt. Es wird argumentiert, nur in jenen Fällen sei ein vorprozessuales Einsichtsrecht zu gewähren, in denen es um einen Prozess bezüglich eines dinglichen Rechts an einem Grundstück gehe, und der Gesuchsteller ein rechtliches Interesse glaubhaft mache. Könne der Gesuchsteller dagegen nur ein tatsächliches Interesse glaubhaft machen, so gehe es nicht an, dass ihm Unterlagen, insbesondere Fotokopien von Belegen, ausgehändigt werden, wenn dies einzig und allein für die Vorbereitung eines Prozesses im Zusammenhang mit einem Grundstück verlangt werde. Würde man anders entscheiden, so könnte über das Institut des Grundbuchs das nach materiellem Privatrecht grundsätzlich nicht bestehende ausserprozessuale Editionsrecht umgangen werden. Nur wo im materiellen Recht ausnahmsweise eine Grundlage für eine solche Editionspflicht bestehe (wie z.B. Art. 170 ZGB; Art. 400 Abs. 1 OR), könnten ohne weiteres Unterlagen für einen zukünftigen Prozess angefordert werden (Bänziger-Compagnoni, Die Öffentlichkeit des Grundbuches - de lege lata - rechtsvergleichend - de lege ferenda, Zürich 1993; S. 88f. mit weiteren Nachweisen; s.a. Deschenaux, a.a.O., S. 166 FN 32).

Im vorliegenden Fall macht die Beschwerdeführerin kein rechtliches Interesse an der Einsichtnahme geltend. Sie behauptet nicht, im Besitze eines dinglichen Rechts am Grundstück zu sein oder aufgrund eines Rechtstitels befugt zu sein, die Einräumung eines dinglichen Rechts am Grundstück zu verlangen. Sie macht ein rein tatsächliches Interesse geltend. Sie will vom Grundbuchverwalter eine Kopie des Kaufvertrages erhalten, um die Tatbestandselemente für einen zukünftigen Prozess (Paulianische Anfechtungsklage) zusammenzutragen. Sie behauptet nicht, Gläubigerin der neuen Grundeigentümerin zu sein. Ob dieses Interesse tatsächlich Schutz verdient, kann aber im vorliegenden Fall dahingestellt bleiben, da die Beschwerde, wie noch ausgeführt werden wird, ohnehin abgewiesen werden muss.

2. Art. 970 Abs. 2 ZGB regelt das Einsichtsrecht ins Grundbuch. Das Grundbuch besteht aus dem Hauptbuch und den das Hauptbuch ergänzenden Plänen, Liegenschaftsverzeichnissen, Belegen, Liegenschaftsbeschreibungen und dem Tagebuch (Art. 942 Abs. 2 ZGB). Der Beschwerdeführer will Einsicht in den Kaufvertrag, der einen Beleg darstellt.

Nach der Rechtsprechung des Kantonsgerichts sind Belege für Dritte nur insoweit zugänglich, als ein berechtigtes, mit dem Zweck des Grundbuchs in Beziehung stehendes Interesse vorhanden ist. Das Grundbuch ist Publizitätsmittel dinglicher Rechte an Grundstücken. Deshalb können Belege nur eingesehen werden, wenn diese zur Kenntnis des dinglichen Rechtsbestandes etwas beitragen. Sofern die Belege rein schuldrechtliche Bestimmungen beinhalten und somit nur zwischen den Parteien Wirkung entfalten, können am Vertragsabschluss nicht beteiligte Dritte sie nicht konsultieren. Die Zweckbestimmung des Grundbuchs spricht gegen die Einsichtnahme Dritter in Vertragsbestimmungen, die nicht der näheren Umschreibung eines dinglichen oder vorgemerkten Rechts dienen. Zu solchen Vertragsbestimmungen, die grundsätzlich nicht eingesehen werden können, sind beispielsweise der Kaufpreis oder sonstige Gegenleistungen zu zählen (KG 113/83 RK 1, Beschluss vom 19. Juli 1983 i.S. A. B. und H. S. gegen Grundbuchamt Goldau; so auch BGE 112 II 427; Deschenaux, a.a.O., S. 170; vgl. auch: ZBGR 1982, S. 289; ZBGR 1960, S. 122; SJZ 1985, S. 96; ZBGR 1991, Nr. 3; Der Bernische Notar, 1994, S. 319f.; ZBGR 1995, S. 49ff.). An dieser Rechtsprechung ist trotz der Revision festzuhalten, zumal der Kanton Schwyz von Art. 970a Abs. 3 ZGB, welcher die Veröffentlichung weiterer Angaben zulässt, keinen Gebrauch gemacht hat.

Der Beschwerdeführer will in den Kaufvertrag Einsicht nehmen, um Kenntnis vom Kaufpreis zu erhalten. Nach dem Gesagten ist ihm dies nicht zu gestatten. Deshalb ist die Beschwerde abzuweisen. Der Beschwerdeführer hat die Möglichkeit, die Kenntnis obligatorischer Bestimmungen eines im Grundbuch eingetragenen Vertrages auf dem ordentlichen Prozessweg mittels entsprechender Beweisanträge zu erlangen.

(Beschluss vom 4.6.1996; KG 145/96 RK 1).

 

30

Zivilrecht

- Berücksichtigung von Art. 22 FZG im Scheidungsverfahren; Frage der Rechtskraft der Scheidung, wenn erst über den Scheidungsanspruch eines Ehegatten entschieden ist.

Aus den Erwägungen:

Die Klägerin macht neu im Berufungsverfahren gestützt auf Art. 22 des Freizügigkeitsgesetzes (FZG) Ansprüche auf Übertragung eines Teils der Austrittsleistung aus der Vorsorgeeinrichtung des Beklagten geltend. Nach Art. 22 FZG, in Kraft per 1. Januar 1995, kann das Gericht bei Ehescheidung bestimmen, dass ein Teil der Austrittsleistung, die ein Ehegatte während der Dauer der Ehe erworben hat, an die Vorsorgeeinrichtung des andern übertragen und auf scheidungsrechtliche Ansprüche, welche die Vorsorge sicherstellen, angerechnet wird (Abs. 1). Ein Teil der Austrittsleistung des andern kann demjenigen Ehegatten übertragen werden, dem scheidungsrechtliche Leistungen im Sinne von Art. 151 Abs. 1 oder Art. 152 ZGB zustehen. Diese Leistungen sind als Ersatz oder nachehelicher Ausgleich geschuldet, die durch die Scheidung entstanden sind (siehe V. Bräm, Die Auswirkungen des Freizügigkeitsgesetzes vom 17.12.1993 auf scheidungsrechtliche Leistungen i.S. von Art. 151 und 152 ZGB, in: SZS 1995, S. 1ff.; R. Reusser, Die Vorsorge für die geschiedene Frau unter besonderer Berücksichtigung von Art. 22 des neuen Freizügigkeitsgesetzes, in: AJP 1994, 1510ff.). Obwohl die Gesetzesbestimmung ausdrücklich als Kann-Vorschrift ausgestaltet ist, muss der Richter laut einem neuen Grundsatzurteil des Bundesgerichtes prüfen, ob einem Ehegatten Ansprüche aus der Altersvorsorge des andern zustehen. Ist dies zu bejahen kann der Ausgleich zwar weiterhin über eine entsprechende Unterhaltsrente erfolgen. Namentlich dort aber, wo die finanziellen Verhältnisse eine Rente in genügender Höhe nicht zulassen, muss der Scheidungsrichter von der neuen Möglichkeit Gebrauch machen und einen Teil der Austrittsleistung des einen Ehegatten der Vorsorgeeinrichtung des andern übertragen lassen (Entscheid des Bundesgerichts vom 9.8.1995, zit. nach M. Felber, Bundesgerichtsentscheide 1995, S. 246; BGE 121 III 297).

Der Beklagte lässt einwenden, Art. 22 FZG gelange vorliegend nicht zur Anwendung, weil die Scheidung bereits am 19. Mai 1993 ausgesprochen worden und damit jener Zeitpunkt für die Regelung der Nebenfolgen der Ehescheidung massgebend sei. Dem ist nicht so. Gegenstand der Berufung des Beklagten bilden nicht nur die Nebenfolgen der Scheidung, sondern auch die von ihm erhobene Widerklage. Bei Klagen beider Ehegatten auf Scheidung aber tritt nach der konstanten Rechtsprechung des Bundesgerichts die Rechtskraft nicht ein, solange in der Scheidungsfrage auch nur eine der beiden Klagen noch streitig ist und insofern noch Gegenstand der Weiterziehung bildet (Bühler/Spühler, a.a.O., N 27 zu Art. 146 mit zahlreichen Hinweisen auf die bundesgerichtliche Rechtsprechung). Ist der Scheidungspunkt noch nicht in Rechtskraft erwachsen, so steht der Anwendung von Art. 22 FZG nichts im Wege. Die Klägerin hat rechtzeitig nach Inkrafttreten des neuen Gesetzes den entsprechenden Antrag vor der Berufungsverhandlung eingereicht, und der Beklagte hatte die Möglichkeit zur Stellungnahme. Auf ihren Antrag ist deshalb einzutreten.

Die Klägerin ist zeit ihrer Ehe keiner Erwerbsarbeit nachgegangen. Per Ende 1994 besitzt sie gemäss Ausführung ihres Rechtsvertreters an der Berufungsverhandlung bloss ein Freizügigkeitskapital von Fr. ... Diese Ausführung blieb seitens des Beklagten unbestritten. Im Falle einer zukünftigen Erwerbsarbeit sowie mit der zugesprochenen Unterhaltsersatzrente wird die Klägerin zwar in der Lage sein, ihre berufliche Altersvorsorge kapitalmässig etwas auszubauen. Dies wird aber nicht ausreichen, ihr nach Eintritt ins AHV-Alter neben der AHV-Rente eine angemessene Pension (2. Säule) zu sichern. Unter diesen Umständen ist es gerechtfertigt, der Klägerin in Anwendung von Art. 22 FZG einen Teil der Austrittsleistung, die der Beklagte während der Ehe erworben hat, übertragen zu lassen. Durch diese Anordnung wird andererseits das Vorsorgekapital des Beklagten geschmälert und seine zukünftigen Pensionsansprüche damit reduziert. Dem wird bei der Frage der Rentenbefristung nach Art. 151 Abs. 1 ZGB entsprechend Rechnung zu tragen sein.

(Urteil vom 18.6.1996; KG 211/93 ZK).

 

31

Zivilrecht

- Art. 208 ZGB; Übergangsrecht.

Aus den Erwägungen:

a) Der Beklagte opponiert in erster Linie der Zusprechung einer güterrechtlichen Forderung der Klägerin hinsichtlich der Liegenschaft GB Nr. ... Er macht im wesentlichen geltend, dass die Regelung der Hinzurechnung nach Art. 208 ZGB vorliegend nicht zur Anwendung gelange, da die fragliche Liegenschaft vor Inkrafttreten des neuen Eherechts per 1. Januar 1988 veräussert worden sei. Zudem könnten in die Vorschlagsberechnung nur jene Vermögenswerte einbezogen werden, welche die Ehegatten im Zeitpunkt der Auflösung des Güterstandes - bei Scheidung also der Zeitpunkt der Rechtshängigkeit - gehabt hätten: vorliegend aber sei die Veräusserung der Liegenschaft mehr als zwei Jahre vor Einreichung der Scheidungsklage erfolgt.

aa) Die Parteien unterstehen mangels Abrede eines anderen Güterstandes der Errungenschaftsbeteiligung. Die güterrechtliche Auseinandersetzung richtet sich deshalb für die ganze Dauer des früheren und des neuen ordentlichen Güterstandes nach den Vorschriften über die Errungenschaftsbeteiligung nach den Art. 204ff. ZGB (Art. 9d SchlT). Es liegt auch keine Erklärung des Beklagten im Sinne von Abs. 2 dieser Bestimmung vor, wonach vor Inkrafttreten des neuen Ehegüterrechts ein Ehepartner dem andern schriftlich bekanntgeben konnte, dass der bisherige Güterstand der Güterverbindung nach den Bestimmungen des früheren Rechts aufgelöst werden müsse.

bb) Der Umstand allein, dass der Verkauf der fraglichen Liegenschaft zeitlich vor Hängigkeit der Scheidungsklage erfolgte, und der Beklagte somit in diesem Zeitpunkt nicht mehr Eigentümer war, hindert die Anwendung von Art. 208 ZGB nicht. Im Falle einer Mehrwertbeteiligung eines Ehegatten an einem Vermögensgegenstand des andern geht seine Forderung nicht deshalb unter, nur weil der Vermögensgegenstand vor Auflösung des Güterstandes (Rechtshängigkeit der Scheidungsklage, Art. 204 Abs. 2 ZGB) veräussert wurde. Für diesen Fall bestimmt Art. 206 Abs. 2 ZGB, dass sich die Forderung nach dem bei der Veräusserung erzielten Erlös berechnet und sofort fällig wird. Resultiert kein oder, wie im vorliegenden Fall, praktisch kein Erlös (Differenz des Kaufpreises zum Verkaufspreis der Liegenschaft nur Fr. 20000.-), so stellt sich die Frage nach der Hinzurechnung nach Art. 208 ZGB. Zu prüfen bleibt, ob Art. 208 ZGB zur Anwendung gelangt, obwohl die betreffende Veräusserung vor Inkrafttreten des neuen Ehegüterrechts erfolgt war.

cc) Die Kommentatoren Hausheer/Reusser/Geiser schliessen die rückwirkende Anwendung von vor dem 1. Januar 1988 erfolgten Veräusserungen im Sinne von Art. 206 Abs. 2 und damit die Hinzurechnung nach Art. 208 ZGB aus. Zur Begründung führen sie an, dass der Grundsatz der Nichtrückwirkung nach Art. 1 Abs. 1 SchlT und das Gebot des Handelns nach Treu und Glauben der Anwendung des neuen Rechts auf Rechtsgeschäfte entgegenstehe, die unter dem alten Recht ein für alle Mal vollzogen worden seien; weder der Ehemann, der über die Errungenschaft in seinem Eigentum unentgeltlich verfügt habe, noch die Ehefrau, die aus ihrem ersparten Arbeitserwerb im Sondergut Schenkungen ausgerichtet habe, hätten wissen können und müssen, dass ohne Zustimmung des andern Ehegatten später eine güterrechtliche Aufrechnung eintreten werde; zudem könne es nicht angehen, die Ehegatten dazu zu zwingen, zur Verhinderung einer Rückwirkung des Art. 208 von Art. 9d Abs. 2 SchlT Gebrauch zu machen (a.a.O., N 47 Vorb. vor Art. 181ff., N 72 zu Art. 208). Hegnauer/Breitschmid stützen in ihrem Lehrbuch, Grundriss des Eherechts, 3. A., Rz 27.20 die Auffassung der Berner Kommentatoren. Andere Autoren, insbesondere Deschenaux/Steinauer, Le nouveau droit matrimonial, S. 576, teilen diese Ansicht offenbar nicht (siehe die weiteren im Berner Kommentar zitierten Autoren Guinand/Hausheer/Petitpierre sowie Kaufmann). Für letztere Ansicht spricht auch, dass das Bundesgericht im Zusammenhang mit der erbrechtlichen Herabsetzung von Zuwendungen, die vor Einführung des ZGB vorgenommen wurden, die neurechtliche Regelung nach Art. 527 ZGB für anwendbar erklärte (BGE 42 II 1 ff.).

dd) Gegen die Auffassung der Berner Kommentatoren spricht die klare gesetzliche Übergangsregelung nach Art. 9d Abs. 1 SchlT. Danach richtet sich die güterrechtliche Auseinandersetzung unter den Ehegatten für die ganze Dauer des früheren und des neuen ordentlichen Güterstandes nach den Vorschriften über die Errungenschaftsbeteiligung. Von diesem Grundsatz sieht das Gesetz Ausnahmen vor. So bestand die Möglichkeit eines jeden Ehegatten, vor Inkrafttreten des neuen Rechts dem andern Ehegatten schriftlich bekanntzugeben, dass der bisherige Güterstand der Güterverbindung nach den Bestimmungen des früheren Rechts aufgelöst werden müsse (Abs. 2). Die Anwendung des neuen Rechts wurde den Ehegatten somit nicht gegen ihren Willen aufgezwungen (siehe dazu Hinderling/Stark, Das Schweizerische Ehescheidungsrecht, S. 200f.). Hatte jeder Ehegatte aber die Möglichkeit, die Rückwirkung des neuen Eherechts für den Zeitraum vor 1988 zu verhindern, verzichtete er aber auf eine entsprechende Erklärung, so hat er sich für die spätere güterrechtliche Auseinandersetzung vorbehaltlos und freiwillig den neuen Regeln auch für die Zeitspanne vor 1988 unterstellt. Die Argumentation der Berner Kommentatoren auf Treu und Glauben sticht unter diesen Umständen gerade nicht. Jeder Ehegatte konnte und musste wissen, dass nach der neuen Übergangsregelung unentgeltliche Zuwendungen und Vermögensentäusserungen nach Massgabe von Art. 208 ZGB bei der späteren güterrechtlichen Auseinandersetzung zur Errungenschaft hinzugerechnet werden könnten. Er hatte die Möglichkeit, dies zu verhindern. Tat er dies nicht, kann er sich bei der güterrechtlichen Auflösung nicht auf Treu und Glauben berufen. Im Unterschied dazu bestand bei der Übergangsregelung hinsichtlich der erbrechtlichen Herabsetzung nach Art. 527 ZGB von 1912 eine analoge Möglichkeit für den Erblasser nicht (siehe Art. 16 Abs. 3 SchlT). Trotzdem hat das Bundesgericht die Einschränkung der Verfügungsfreiheit des nach 1912 verstorbenen Erblassers auch für die Zuwendungen unter Lebenden, die vor Inkrafttreten des ZGB erfolgt waren, für anwendbar erklärt (BGE 42 II 1ff.; Escher, Zürcher Kommentar, N 34 zu Art. 527 ZGB mit weiteren Hinweisen). Um so weniger besteht bei der vorliegend zu beurteilenden übergangsrechtlichen Frage des Ehegüterrechts Anlass, Art. 208 ZGB nicht anzuwenden.

ee) Vorliegend geht es nur, aber immerhin, um die Anwendung von Art. 208 ZGB im Rahmen der güterrechtlichen Auseinandersetzung, betrifft also allein das Verhältnis zwischen den Ehegatten. Eine andere Frage ist, ob die Übergangsregelung im Verhältnis zum begünstigten Dritten in gleicher Weise zu interpretieren ist, oder ob Art. 220 ZGB, welche Bestimmung dem berechtigten Ehegatten gegen den begünstigten Dritten ein befristetes Klagerecht einräumt, nur auf Zuwendungen resp. Vermögensentäusserungen zur Anwendung gelangt, die nach dem 1. Januar 1988 erfolgt sind (verneinend ebenfalls: Hausheer/Reusser/Geiser, a.a.O., N 78 zu Art. 220).

(Urteil vom 18.6.1996; KG 211/93 ZK).

 

32

Zivilprozessrecht

- Unzulässigkeit des blossen Verweises auf Rechtsschriften in einem anderen Verfahren.

Aus den Erwägungen:

Im angefochtenen Urteil wird ausgeführt, dass der Kläger im vorliegenden Verfahren keine übermässigen Immissionen durch den Verkehr geltend, jedoch sämtliche Rechtsschriften des ersten Baueinspracheprozesses zum integrierenden Bestandteil seiner Klageschrift mache. Nach § 102 Abs. 1 ZPO habe der Kläger somit die Behauptung übermässiger Immissionen nicht genügend substantiiert bzw. diesbezüglich keine Beweisanträge gestellt, weshalb diese Frage nicht zu beurteilen sei. Es trifft zu, dass der Kläger in seinen Rechtsschriften vor der Vorinstanz nicht ausdrücklich übermässige Immissionen bzw. Einwirkungen im Sinne von Art. 684 Abs. 1 ZGB rügte, sondern das zu erwartende Verkehrsaufkommen im Zusammenhang mit der Mehrbelastung der Dienstbarkeit ins Feld führte. Zu Recht hat der Einzelrichter es als unzulässig erachtet, dass der Kläger einfach auf weitere Eingaben in einem anderen - inzwischen vom Kantonsgericht von Amtes wegen aufgehobenen - Baueinspracheprozess verwiesen hat; denn es ist nicht Sache des Gerichts oder der Gegenpartei, die rechtserheblichen Tatsachen zusammenzusuchen (Sträuli/Messmer, Kommentar zur zürcherischen Zivilprozessordnung, 2. A., Zürich 1982, Rz 4 zu § 113, ZR 95, Nr. 14). Damit wird das Recht des Klägers auf Beweis nicht tangiert, weil die kantonalen Zivilprozessordnungen dieses Recht in sachlicher und zeitlicher Hinsicht regeln können (Kofmel, Das Recht auf Beweis im Zivilverfahren, Bern 1992, S. 65). Nach § 103 ZPO haben die Parteien die Anträge zur Sache, Tatsachenbehauptungen usw. spätestens mit dem letzten Vortrag bzw. der letzten Rechtsschrift vor Abschluss des Hauptverfahrens vorzubringen. Dies hat der Kläger bezüglich der Geltendmachung übermässiger Immissionen unterlassen. Hinzu kommt, dass in den Rechtsschriften vor der Erstinstanz der Hinweis auf die Eingaben im ersten Baueinspracheprozess nur allgemein gehalten und nicht im bezug auf übermässige Immission speziell erwähnt worden ist. Im Berufungsverfahren sind diesbezügliche Vorbringen als Noven unzulässig, abgesehen davon, dass es an einer klägerischen Novenbegründung fehlt (§ 198 ZPO i.V.m. § 104 Ziff. 2 bis 5 ZPO).

(Urteil vom 26.3.1996; KG 206/93 ZK).

 

33

Zivilprozessrecht

- Unzulässigkeit des blossen Verweises im Zivilverfahren auf ein Strafverfahren.

Aus den Erwägungen:

Im summarischen Verfahren über den Erlass vorsorglicher Massnahmen nach Art. 14 UWG finden andere Beurteilungskriterien als in der Strafuntersuchung bzw. für die Anklageerhebung Anwendung. Während im Strafverfahren der Sachverhalt von Amtes wegen zu ermitteln ist, stellt der Zivilrichter auf das glaubhafte Vorbringen der Parteien ab. Es genügt gerade im Verfahren betreffend den Erlass von vorsorglichen Massnahmen nicht, auf umfangreiche Eingaben und Akten eines anderen Verfahrens zu verweisen. Es ist ohnehin nicht Sache des Zivilrichters und der Gegenpartei, die rechtserheblichen Tatsachen zusammenzusuchen (Sträuli/Messmer, Kommentar zur Zürcherischen Zivilprozessordnung, Zürich 1982, Rz 4 zu § 113). Von einer Verletzung des rechtlichen Gehörs kann daher keine Rede sein, wenn der Vorderrichter die Akten bzw. Ergebnisse des parallelen Strafverfahrens nicht laufend miteinbezog.

(Beschluss vom 31.7.1996; KG 151/96 RK 1).

 

34

Strafrecht

- Ein Autolenker, der regelmässig Cannabis konsumiert, kann nicht ohne weiteres wegen grober Verkehrsregelverletzung, begangen durch Führen eines PWs unter Betäubungsmitteleinfluss, verurteilt werden.

Aus den Erwägungen:

Der Angeklagte nimmt zugegebenermassen regelmässig Cannabis und hat unmittelbar vor der fraglichen Fahrt und auch während der Fahrt Haschisch-Zigaretten geraucht. Der aktuelle Konsum von Cannabis kann die Fahrfähigkeit über einige Stunden vermindern. Anders als beim Alkoholkonsum gibt es beim Cannabiskonsum aber keinen klaren Grenzwert. In Art. 2 Abs. 2 VRV wird die Fahrunfähigkeit bei einer Blutalkoholkonzentration von mindestens 0,8‰ als unwiderlegbare gesetzliche Vermutung statuiert. Der aktuelle Cannabiskonsum kann mittels des sogenannten THC-Wertes belegt werden. Dieser ist aber bei der Beurteilung einer Verminderung der Fahrfähigkeit nicht allein ausschlaggebend. Je nach Persönlichkeitsstruktur, momentaner psychischer Verfassung, äusserer Umstände und Cannabiserfahrung können sich ganz unterschiedliche Wirkungen entfalten (vgl. P. X. Iten, Fahren unter Drogen- oder Medikamenteneinfluss, S. 100).

Auch wenn beim Cannabisrausch zahlreiche Wirkungen auftreten können, wie beispielsweise eine verlängerte Reaktionszeit, Schläfrigkeit, erhöhte Risikobereitschaft, gestörte oder verzerrte Wahrnehmung sowie Fehleinschätzung von Entfernung und Geschwindigkeit, die dem sicheren Führen eines Fahrzeuges entgegenstehen, kann die Vermutung der Verminderung der Fahrfähigkeit im Einzelfall durch Gegenindizien umgestossen werden.

Gemäss Protokoll der ärztlichen Untersuchung vom 22. Januar 1996 war der Drogeneinfluss beim Angeklagten nicht merkbar. Das Gleichgewicht schien nicht gestört, und Sprache, Stimmung, Konjunktiven und Nasenseptum waren unauffällig. Einzig eine gewisse Müdigkeit, deren Grad nicht angegeben ist, deutete auf reduzierte Fahrfähigkeit. Demgegenüber stehen wichtige Gegenindizien. Zu berücksichtigen ist, dass der Angeklagte seit Jahren Cannabis konsumiert und sich eine gewisse Gewöhnung an THC eingestellt haben könnte. Der Angeklagte fährt seit Sommer 1994 unfallfrei. Zudem scheint er - gemäss seinen glaubwürdigen Angaben - bei der Fahrprüfung unter Cannabiseinfluss gestanden zu haben, ohne dass eine Beeinträchtigung merkbar gewesen wäre. Auch spricht die Tatsache, dass ihn die Polizei nicht wegen seines Fahrstils, sondern wegen des Nichttragens der Sicherheitsgurten angehalten hatte, nicht für eine merkbare Fahrunfähigkeit. Dem Angeklagten kann unter Berücksichtigung all dieser Faktoren in Anwendung des Grundsatzes „in dubio pro reo" keine grobe Verkehrsregelverletzung nachgewiesen werden. Auch eine einfache Verkehrsregelverletzung ist im übrigen nicht dargetan.

(Urteil Einzelrichter des Bezirkes Höfe vom 11. Dezember 1996; E6 96 14).

 

35

Strafprozessrecht

- Kein kantonales Rechtsmittel gegen Sicherheitshaft nach § 97 StPO.

Aus den Erwägungen:

1. Mit der Sicherheitshaft, wie sie vom Strafgerichtspräsidenten im Nachgang zum Urteil des Kantonalen Strafgerichtes vom 14. November 1996 angeordnet wurde, befasst sich § 97 StPO. Nach dieser Bestimmung kann der Präsident bis zum Entscheid der Vollzugsbehörde Sicherheitshaft anordnen, wenn das Urteil auf eine unbedingt vollziehbare Freiheitsstrafe oder eine sichernde Massnahme lautet, und zu befürchten ist, dass sich der Verurteilte dem Strafvollzug entzieht. Nach Abs. 2 dieser Bestimmung „ist der Entscheid des Präsidenten endgültig". Es stellt sich damit die Frage nach dem Ausschluss einer Anfechtungsmöglichkeit im kantonalen Verfahren.

a) Nach dem Wortlaut der Bestimmung erscheint eine Anfechtungsmöglichkeit ausgeschlossen. Wäre der Entscheid mit einem Rechtsbehelf oder Rechtsmittel anfechtbar, so kann er nicht endgültig sein. Eine parallele Wortbildung findet sich bei der Verfahrensbestimmung über die Haftbeschwerde in § 28 Abs. 3 StPO. Hier wird der Entscheid des Kantonsgerichtspräsidenten bzw. des von ihm bezeichneten Kantonsrichters ebenfalls als endgültig bezeichnet. Der Hinweis auf die Endgültigkeit in § 28 Abs. 3 StPO erweist sich allerdings als überflüssig, da mit dem Haftbeschwerdeentscheid ohnehin der kantonale Instanzenzug ausgeschöpft ist. Ein kantonales Rechtsmittel gegen Haftbeschwerdeentscheide des Präsidenten bzw. eines Richters des Kantonsgerichtes nämlich steht nicht zur Verfügung. Auch besteht keine Möglichkeit, eine Art „Einsprache" beim Gesamtgericht oder einer einzelnen Gerichtskammer zu erheben. Denkbar ist, dass der Gesetzgeber mit § 28 Abs. 3 StPO die nach der Rechtsmittelordnung ohnehin bestehende „Endgültigkeit" des Haftbeschwerdeentscheides verdeutlichen wollte. Insofern hilft diese Bestimmung bei der Auslegung von § 97 Abs. 2 StPO nicht direkt weiter. Sie verdeutlicht aber, was der Gesetzgeber unter „endgültig" verstanden hat und was sich auch vom Wortlaut her dem Leser sofort aufdrängt: dass nämlich gegen den Entscheid im kantonalen Verfahren keine Weiterzugsmöglichkeit besteht.

b) Der Strafgerichtspräsident ist der Auffassung, dass § 97 Abs. 2 StPO nicht eine Beschwerdemöglichkeit an eine obere Gerichtsinstanz (im Sinne eines devolutiven Rechtsmittels) hindert, sondern lediglich das Fehlen einer Beurteilungsmöglichkeit durch das Gericht bedeutet. Diese Interpretation könnte etwa damit begründet werden, dass der Präsident des Gerichts nach Eingang der Anklage für das weitere Verfahren bis zur Hauptverhandlung gemäss § 78 StPO zuständig ist (etwa auch bezüglich einer Haftanordnung), mit Beginn der Hauptverhandlung jedoch das Gesamtgericht über alle Vor- oder Zwischenfragen entscheidet, (§ 83 Abs. 3, § 88 Abs. 2 und 3 StPO) und auch über vom Präsidenten abgelehnte Beweismassnahmen befinden kann (§ 81 Abs. 1, § 90 Abs. 2 StPO). „Endgültig" so ausgelegt hiesse, dass das an sich in der Sache zuständige Gericht für die Frage der Sicherheitshaft nicht angerufen werden könnte.

Diese einschränkende Interpretation kann jedoch aus folgenden Gründen nicht richtig sein. Die Anordnung der Sicherheitshaft gemäss § 97 StPO setzt voraus, dass das Gericht sein Urteil gefällt hat. Mit der Urteilsfällung aber ist die Aufgabe des in der Sache urteilenden Gerichtes beendet. Es kann nach Eröffnung des Entscheides auf sein Urteil nicht zurückkommen. Es ist generell nicht dessen Sache, allenfalls notwendige Anordnungen im Nachgang zur Urteilsfällung und zur Sicherung des weiteren Verfahrens zu treffen. Die Kompetenz zur Anordnung der Sicherheitshaft wird denn auch ausdrücklich in § 97 Abs. 1 StPO dem Präsidenten des in der Sache zuständigen Gerichtes zugewiesen. Ist dieser aber für die Sicherheitshaftanordnung allein zuständig, so kann „endgültig" nur so verstanden werden, dass eine Anfechtungsmöglichkeit im kantonalen Verfahren ausgeschlossen ist. Dazu kommt, dass nach der schwyzerischen Strafprozessordnung für Haftanordnungen nicht Gerichtskörper zuständig sind; vielmehr wird diese Kompetenz immer einer Einzelperson zugewiesen. So ist gemäss § 27 Abs. 1 StPO für die Haftanordnung neben den Untersuchungsrichtern der Staatsanwalt sowie - nach Eingang der Anklage beim Gericht - der Gerichtspräsident zuständig. § 78 Abs. 2 StPO rekapituliert nochmals die Zuständigkeit des Gerichtspräsidenten nach Eingang der Anklage. Eine Regelung dahingehend, dass nach Eröffnung der Hauptverhandlung die Kompetenz zur Inhaftierung oder Abweisung eines Haftentlassungsgesuchs beim Gerichtskörper läge, kennt die StPO nicht. Nur wenn eine solche Zuständigkeitsordnung gegeben wäre, könnte man allenfalls „endgültig" so verstehen, dass - ausnahmsweise - nach Fällung des Urteils der Präsident des Gerichtes hierfür allein zuständig, aber eine Weiterziehung an eine obere Instanz nicht ausgeschlossen ist.

c) Fehl geht die in der Beschwerdeeingabe vorgenommene Auslegung von § 97 Abs. 2 StPO. Danach soll die Anfechtung des Entscheides über die Sicherheitshaft deshalb möglich sein, weil die fragliche Bestimmung nur diejenigen Fälle erfasse, in welchen das zu einer Freiheitsstrafe verurteilende Urteil rechtskräftig sei. Dies sei insbesondere daraus zu schliessen, dass gemäss ausdrücklicher Bestimmung (Abs. 1) der Präsident bis zum Entscheid der Vollzugsbehörde die Sicherheitshaft anordnen könne. § 97 StPO bezieht sich entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers offensichtlich nicht auf rechtskräftige Strafurteile. Ist das Urteil nämlich rechtskräftig, so ist die Vollzugsbehörde zur Anordnung allenfalls ausgefällter Freiheitsstrafen zuständig (§ 159 StPO). In der Regel sofort nach Ausfällung des erstinstanzlichen Urteils wird die Frage aktuell, ob Sicherheitshaft anzuordnen ist. Es soll damit verhindert werden, dass sich der zu einer unbedingten Freiheitsstrafe Verurteilte dem Strafvollzug entzieht. Diese Massnahme bezweckt ja gerade, die Schwebezeit der laufenden Berufungsfrist zu überbrücken, bis das Urteil rechtskräftig wird, und die Vollzugsbehörde ihren Entscheid treffen kann.

d) Nicht gegen diese in § 97 Abs. 2 StPO legiferierte endgültige Entscheidkompetenz des erstinstanzlichen Gerichtspräsidenten spricht der Umstand, dass gegen die Anordnung der Untersuchungshaft und gegen die nachgesuchte Haftentlassung aus der Untersuchungshaft dem Betroffenen immer die Beschwerdemöglichkeit an den Kantonsgerichtspräsidenten offensteht (§ 28 StPO). Es ist davon auszugehen, dass der Gesetzgeber die Ausnahme von § 97 StPO ganz bewusst gesetzt hat. Zum einen ist dies aus der Systematik des Gesetzes zu schliessen. § 97 StPO findet sich unter den Bestimmungen, die das erstinstanzliche Verfahren bei Verbrechen und Vergehen regelt. Es ist nicht zu sehen, dass der Gesetzgeber deshalb die Endgültigkeit der Sicherheitshaftanordnung nur etwa für das Berufungsverfahren, das in einem anderen Abschnitt des Gesetzes geregelt ist (mit Verweis auf das Verfahren vor erster Instanz, § 148 StPO), zur Anwendung bringen wollte. Zum andern spricht auch der Wortlaut dafür: von Sicherheitshaft ist im Gesetz erst die Rede, nachdem ein Strafurteil ergangen ist, wogegen in § 78 Abs. 2 StPO der vom Gerichtspräsidenten nach Eingang der Anklage anzuordnende Freiheitsentzug ausdrücklich noch als Untersuchungshaft bezeichnet wird. Im Unterschied zur schwyzerischen StPO wird der Begriff der Sicherheitshaft in der Praxis oft bereits für die nach Eingang der Anklage anzuordnende Haft verwendet (siehe Hauser, Kurzlehrbuch des Schweizerischen Strafprozessrechts, 2. A., S. 186). Dies geschah auch im publizierten Entscheid des damaligen Kantonsgerichtspräsidenten vom 13. Oktober 1978 (EGV-SZ 1978 S. 40f.). Er hatte eine Beschwerde gegen die vom Strafgerichtspräsidenten verweigerte Haftentlassung zu beurteilen. Die Abweisung des Haftentlassungsgesuchs erging gestützt auf § 78 Abs. 2 StPO, also vor Ausfällung eines erstinstanzlichen Urteils. Bei diesen Erwägungen ging es vor allem um die Frage, ob gegen die verweigerte Haftentlassung durch einen erstinstanzlichen Gerichtspräsidenten die allgemeine Beschwerde gemäss § 140 Abs. 2 StPO oder die spezielle Haftbeschwerde nach § 28 StPO gegeben sei. Apodiktisch wurde dann festgehalten, dass „jede Verfügung über Sicherheitshaft, ergehe sie vom Präsidenten des Bezirksgerichtes oder vom Präsidenten des Kantonalen Strafgerichtes, ausschliesslich der Haftbeschwerde des § 28 StPO unterliegt". Dabei hatte man offenkundig allein die vor der Urteilsfällung anzuordnende Haft gemäss § 27 und § 78 Abs. 2 StPO vor Augen und man liess ausser acht, dass die schwyzerische StPO unter Sicherheitshaft erst die nach der Urteilsfällung angeordnete Haft versteht. Eine Auseinandersetzung mit § 97 Abs. 2 StPO fand denn auch nicht statt und es wurde in keiner Weise begründet, weshalb trotz dessen Wortlautes die Haftbeschwerde gegeben sein soll.

e) Dass der Gesetzgeber Untersuchungshaft einerseits und Sicherheitshaft nach § 97 StPO andererseits in bezug auf die Beschwerdemöglichkeit unterschiedlich behandelt, ist durchaus nachvollziehbar. Im zweiten Fall liegt ein zu einer unbedingten Freiheitsstrafe oder sichernden Massnahme verurteilender Entscheid vor, womit die Haftanordnung zwecks Sicherung des Strafvollzugs an Gewicht gewinnt. Zwischen diesen beiden Haftanordnungen unterscheidet auch Art. 5 Abs. 1 EMRK. In lit. a wird der Freiheitsentzug „nach Verurteilung durch ein zuständiges Gericht" umschrieben, lit. c handelt von der gewöhnlichen Untersuchungshaft. Nach der Rechtsprechung der EMRK-Organe endet nämlich die Untersuchungshaft mit einer erstinstanzlichen strafrechtlichen Verurteilung des Betroffenen. Die Haft danach und während des Berufungsverfahrens werten diese Organe als Strafhaft, weil der Zweck von lit. c, nämlich die Vorführung nicht nur vor den Haftrichter, sondern auch vor den Sachrichter erreicht worden sei (siehe hiezu Donatsch/Schmid, Kommentar zur Strafprozessordnung des Kantons Zürich, N 27 zu Vorb. §§ 49ff.; Villiger, Handbuch der EMRK, Rz 328 und 340). Art. 5 Abs. 4 EMRK, der eine richterliche Überprüfung der Rechtmässigkeit der Haft verlangt, ist mit der Zuständigkeit des Strafgerichtspräsidenten Genüge getan (Villiger, a.a.O., Rz 366).

Dass entgegen der üblichen kantonalen Rechtsmittelordnung keine zweite Instanz angerufen werden kann, erscheint bei der Sicherheitshaft im übrigen auch deshalb unbedenklich, da im Falle der Berufung ohnehin der Kantonsgerichtspräsident auf Antrag neu zu entscheiden hat. In der Zwischenzeit hat der Inhaftierte die Möglichkeit, beim Bundesgericht staatsrechtliche Beschwerde wegen Verletzung verfassungsmässiger Rechte zu erheben.

(Verfügung vom 22.11.1996; KG 449/96 GP).

 

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Schuldbetreibungs- und Konkursrecht

- Keine Rechtsöffnung trotz definitivem Rechtsöffnungstitel.

Aus den Erwägungen:

Der Kanton Tessin betrieb die X. AG für die Kantonssteuer pro 1992. Auf Rechtsvorschlag hin verlangt der Kanton definitive Rechtsöffnung und legt als Rechtsöffnungstitel die auf italienisch abgefasste Veranlagung ins Recht, adressiert an X. AG, Peter Y. Peter Y. war damals Verwaltungsratsmitglied der X. AG.

Im Rechtsöffnungsverfahren macht die X. AG geltend, sie hätte nie Sitz im Kanton Tessin gehabt, betreibe dort kein Geschäft und sei dort auch nicht im Handelsregister eingetragen.

Aus den eingereichten Unterlagen ergibt sich, dass die X. AG seit 1991 im Kanton Schwyz im Handelsregister eingetragen ist und hier steuerpflichtig erklärt wurde. In der schwyzerischen Steuerveranlagung - wie auch in derjenigen des Kantons Tessin - ist keine Ausscheidung vorgenommen worden. Die X. AG ist deshalb offensichtlich zu Unrecht vom Kanton Tessin veranlagt worden. Eine Doppelbesteuerung geht nicht an. Es wird deshalb nicht auf die Steuerveranlagung und deren Rechtskraftbescheinigung des Kantons Tessin abgestellt (vgl. noch Hans Fritzsche/Hans Ulrich Walder, Schuldbetreibung und Konkurs nach schweizerischem Recht, I, Zürich 1984, S. 232 FN 2).

(Verfügung Einzelrichter des Bezirkes Höfe vom 12. August 1996; E5 96 90).

 

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Schuldbetreibungs- und Konkursrecht

- Der von der Vormundschaftsbehörde genehmigte Unterhaltsvertrag nach Art. 287 Abs. 1 ZGB berechtigt zur definitiven Rechtsöffnung und nicht bloss zur provisorischen Rechtsöffnung.

Aus den Erwägungen:

In Lehre und Praxis (vgl. Blätter für Schuldbetreibung und Konkurs 1991, S. 95ff.) finden sich divergierende Meinungen darüber, ob der vormundschaftlich genehmigte Unterhaltsvertrag vollstreckbaren gerichtlichen Urteilen im Sinne von Art. 80 Abs. 2 Sch KG gleichgestellt ist oder nicht. Rein zivilrechtlich betrachtet bestehen keine Zweifel, dass die Genehmigung durch die Vormundschaftsbehörde der Genehmigung durch den Richter gleichwertig ist. Auszugehen ist davon, dass Unterhaltsverträge im Sinne von Art. 287 ZGB für das Kind erst mit der Genehmigung verbindlich werden. Es besteht sowohl bei der vormundschaftlichen Genehmigung als auch bei der richterlichen eine materielle Prüfungspflicht. Unter Beachtung der Untersuchungsmaxime sollen die Interessen des Kindes, die Klarheit der Regelung und die rechtliche Zulässigkeit gewahrt werden (vgl. P. Breitschmid, Kommentar zu Art. 287 ZGB N 14). Dies gilt sowohl wenn die Unterhaltspflicht durch periodische Leistungen zu erfüllen ist als auch wenn der Unterhaltsanspruch durch eine einmalige Abfindung erfüllt wird. Im Entwurf des Bundesrates vom 5. Juni 1974 über die Änderung des ZGB (Kindesverhältnis) - was in der Folge nicht Gesetz wurde - wurde sogar die Genehmigung durch eine Vormundschaftsbehörde insoweit höherrangig eingestuft, als bei der einmaligen Abfindung in jedem Fall die vormundschaftliche Aufsichtsbehörde hätte zustimmen müssen (vgl. Entwurf Art. 288 Abs. 2 ZGB und Botschaft des Bundesrates vom 5.6.1974 in Bundesblatt 1974, Band II, S. 63). Im Gesetz wurde dann die richterliche Genehmigung der Genehmigung durch die vormundschaftliche Aufsichtsbehörde auch bei Abfindungen gleichgestellt (Art. 288 Abs. 2 Ziff. 1 ZGB).

Im Interesse des Kindes liegt es, dass Unterhaltsverträge - mit Zustimmung der Vormundschaftsbehörde - einvernehmlich geregelt werden können, und nicht ein gerichtliches Verfahren in jedem Fall notwendig wird. Die Verweigerung der definitiven Rechtsöffnung für „nur" von der Vormundschaftsbehörde genehmigte Unterhaltsverträge liefe diesem Ziel entgegen und würde das Kind ungerechtfertigterweise durch einen unvollkommenen Vollzug benachteiligen. Mit Hegnauer (Grundriss des Kindesrechtes, 3. Auflage, Rz 23.17) ist deshalb nicht auf den strengen Wortlaut von Art. 80 Abs. 2 SchKG abzustellen, sondern, in Annahme einer echten Gesetzeslücke, ein vormundschaftlich genehmigter Unterhaltsvertrag einer gerichtlichen Schuldanerkennung im Sinne von Art. 80 Abs. 2 SchKG gleichzustellen.

Auch im internationalen Recht werden gerichtliche Unterhaltsentscheide und von Verwaltungsbehörden genehmigte Vergleiche vollstreckungsrechtlich gleich behandelt (vgl. beispielsweise Art. 2 und Art. 21 Haager Übereinkommen vom 2.10.1973 über Anerkennung und Vollstreckung von Unterhaltsentscheidungen).

(Entscheid Einzelrichter des Bezirkes Höfe vom 30. Dezember 1996; E5 96 216).