[Entscheide Nr. 31, 32, 33, 34, 35, 36, 37, 38, 39, 40]
II. Zivil- und Strafgerichte
Zivilrecht
– Gemischte Schenkung oder Kaufvertrag mit Nebenabrede. Begrenzte Dauer
obligatorischer Verpflichtungen. Kostenverteilung, wenn sich eine Partei in
guten Treuen zur Prozessführung veranlasst sah.
Aus
dem Sachverhalt:
A.
- Am 7. Mai 1960 erwarb die Gemeinde X. die an der Luzernerstrasse in X.
gelegene ‹Z.-Liegenschaft›, bestehend aus den Grundstücken Haus Hofstatt
und Garten, Garten unter der Landstrasse, Seegarten genannt, eine Schiffshütte
und ein Wohnhaus samt Umgelände beim Rölli-Bächlein. Die Verkäuferschaft
bestand aus acht Miteigentümern. Als Kaufpreis war ein Betrag von Fr.
175000.– vereinbart worden, also rund ein Drittel unter dem geschätzten
Verkehrswert von Fr. 270800.–. Die Grundstücke umfassten die Parzellen Nr.
... und ... mit einem gesamten Flächenausmass von 3949 m2. In Ziffer 8 des
Kaufvertrages vereinbarten die Parteien was folgt:
Der
Verkauf ist zweckgebunden nach Massgabe folgender Abmachungen zwischen den
Parteien:
a) die
Käuferin verpflichtet sich, die Kaufliegenschaften innert 5 Jahren für die
Errichtung eines Altersheimes der Gemeinde X. zu verwenden;
b) alle
Bezeichnungen, die an die Landammans Z. erinnern, sollen erhalten bleiben,
besonders die Bezeichnung Z.-Heim oder -Haus und die Pflästerung beim Eingang
der Liegenschaft (Z.-Wappen).
Am
12. November 1966 eröffnete die Gemeinde X. auf den Kaufliegenschaften das
Altersheim Z. Für den notwendigen Umbau des Z.-Hauses waren Kosten von
insgesamt Fr. 275000.– veranschlagt worden. Ab 1982 erwog die Gemeinde eine
Umnutzung der Liegenschaft Z. in ein Personalhaus für Angestellte des
Altersheims sowie die Benutzung eines Teils der Liegenschaft als Minigolfanlage.
Eine Einigung mit der ehemaligen Verkäuferschaft über die zukünftige Nutzung
der Liegenschaft Z. kam nicht zustande. 1986 wurde vom Verkehrsverein X., der
von der Gemeinde X. ein Baurecht von 25 Jahren eingeräumt erhielt, eine
Minigolfanlage errichtet. Spätestens ab 1988 wurde das Z.-Haus als
Asylantenunterkunft genutzt. Mit diversen Zuschriften wehrte sich der Kläger 1
gegen die Umnutzung und machte geltend, es handle sich um eine vertrags- und
auflagewidrige Zweckentfremdung. Es erfolgten langwierige Verhandlungen der
Parteien hinsichtlich einer Abänderung der Vertragsbestimmung Ziff. 8, die
erfolglos blieben.
B.
- Mit Einreichung der Weisung am 17. Oktober 1994 machten die Kläger als
damalige Verkäufer bzw. deren Rechtsnachfolger den vorliegenden Prozess beim
Bezirksgericht rechtshängig. Sie beantragten in Ziffer 1 ihres Begehrens, dass
die Beklagte zu verpflichten sei, die Auflage im besagten Kaufvertrag
einzuhalten, soweit sie sich nicht mit der Klägerschaft über eine andere
Nutzungsart vereinbare; für die Einhaltung der Auflage sei der Beklagten eine
Frist von maximal sechs Monaten seit Rechtskraft des Urteils anzusetzen. In
Ziffer 2 beantragten sie die Feststellung, dass die heutigen Nutzungen der
Liegenschaft GB Nr. ..., so im Moment als Asylantenheim sowie als
Minigolfanlage, nicht der Auflage im Kaufvertrag entspreche. Schliesslich
stellten sie in Ziffer 3 ein Eventualbegehren auf Zahlung von Schadenersatz und
Genugtuung für die Nichterfüllung der Auflage oder als Abgeltung der Auflage.
Die
Beklagte trug auf Abweisung der Klage an, soweit darauf überhaupt einzutreten
sei. An der Hauptverhandlung anerkannte die Beklagte die anfänglich bestrittene
Aktivlegitimation einzelner Kläger. Bezüglich des klägerischen Schadenersatz-
und Genugtuungsbegehrens erhob die Beklagte die Verjährungseinrede.
Aus
den Erwägungen:
1.
Beim vorliegenden Prozess geht es um die Frage, ob die Beklagte heute noch
verpflichtet werden kann, die im Jahre 1960 erworbene Liegenschaft Z. für die
Errichtung und den Betrieb eines Altersheimes der Gemeinde X. zu verwenden. Im
damaligen Kaufvertrag wurde der Verkauf als ‹zweckgebunden› bezeichnet, und
die Beklagte als Käuferin hatte sich ausdrücklich verpflichtet, «die
Kaufliegenschaften innert 5 Jahren für die Errichtung eines Altersheimes der
Gemeinde X. zu verwenden». Die Beklagte ist unbestrittenermassen nach einer
Fristerstreckung durch die Verkäuferschaft ihrer diesbezüglichen Verpflichtung
im Jahre 1966 nachgekommen und hat diese bis ca. Mitte der achtziger Jahre erfüllt.
Danach stellte sie einen Teil des Umgeländes dem Verkehrsverein X. für die
Erstellung und den Betrieb einer Minigolfanlage zur Verfügung und gewährte ihm
ein Baurecht auf 25 Jahre. Das Hauptgebäude dient seit Ende der achtziger Jahre
als Asylantenunterkunft.
Unstrittig
ist, dass die Kläger – als damalige Miteigentümer der Kaufliegenschaften
oder als deren Rechtsnachfolger – legitimiert sind, ihre behaupteten Rechte
aus dem Kaufvertrag vom 7. Mai 1960 gegen die Beklagte klageweise geltend zu
machen. Dazu gehört auch die Vertragsbestimmung gemäss Ziff. 8, da sich die
Gemeinde X. als Käuferin der Grundstücke der Verkäuferschaft gegenüber zur
Errichtung eines Altersheimes auf der Kaufliegenschaft verpflichtet hatte. Die
Aktivlegitimation der Klägerschaft ist deshalb zu bejahen.
2.
Das Bezirksgericht qualifizierte das damalige Veräusserungsgeschäft nicht als
blossen Kaufvertrag, sondern als gemischte Schenkung, nachdem die Verkäufer der
Gemeinde X. unbestrittenermassen einen Preisnachlass von rund einem Drittel des
Verkehrswertes gewährt hatten. Für den Ausgang des vorliegenden Verfahrens ist
die Frage der Qualifikation des Rechtsgeschäftes jedoch nicht von
ausschlaggebender Bedeutung. Die Frage der zeitlichen Geltung der beklagtischen
Verpflichtung stellt sich gleichermassen, ob nun das Geschäft dogmatisch als
Schenkung mit Auflage oder als eigentlicher Kaufvertrag mit der
Nebenverpflichtung, die Liegenschaft für die Errichtung (und den Betrieb) eines
Altersheimes zu verwenden, angesehen wird. Allerdings sprechen nach Auffassung
der Zivilkammer mehr Gründe dafür, das damalige Rechtsgeschäft nicht als
gemischte Schenkung, sondern trotz des Preisnachlasses als Kaufvertrag zu
qualifizieren. Zwar wurde der Kaufpreis bewusst unter dem wahren Wert des
Kaufgegenstandes angesetzt, diese Preisdifferenz sollte der Käuferin aber nicht
‹unentgeltlich› zukommen, was Voraussetzung für die Annahme einer
gemischten Schenkung wäre. Die Verpflichtung zur Errichtung des Altersheimes
war sozusagen die ‹Gegenleistung› der Preisreduktion. In diesem Sinne wurde
von Seiten der Beklagten festgehalten, dass «zufolge Verpflichtungsübernahme
zur Errichtung eines Altersheimes durch die Gemeinde X.,» (...) «s.Zt. eine
angemessene Reduktion des Kaufpreises auf Fr. 175000.–» erfolgt sei (Bericht
und Antrag der Verwaltungskommission der Landammann-Z.-Liegenschaft aus dem
Jahre 1966). Die Preisvergünstigung war in diesem Sinne ein Entgegenkommen
gegenüber der Gemeinde X., die sich im Gegenzug zur Errichtung eines
Altersheimes auf den Kaufliegenschaften verpflichtete. Insofern begründete die
Preisdifferenz zum Verkehrswert keine unentgeltliche Zuwendung, woran der
Umstand, dass die von der Käuferschaft versprochene Leistung nicht direkt den
Verkäufern zugute kam, nichts ändert (Nebenleistungspflichten können auch
zugunsten Dritter vereinbart werden: Schönle, Zürcher Kommentar, N 95 zu Art.
184 OR; zum Verhältnis Kaufvertrag/gemischte Schenkung: BGE 102 II 250, 98 II
358; Schönle, a.a.O., N 43 der Vorb. Art. 184–551 OR). Die mit Übernahme des
Grundeigentums verbundene Pflicht zur Errichtung und zum Betrieb eines
Altersheimes ist deshalb im Folgenden als rechtsgeschäftlich vereinbarte,
selbständige und einklagbare Nebenpflicht zum Kaufvertrag anzusehen (Schönle,
a.a.O., N 78 und 95 zu Art. 184 OR; Merz, Berner Kommentar, N 260ff. zu Art. 2
ZGB; Kramer, Berner Kommentar, Einleitung vor Art. 1 OR, N 88ff.).
3.
Der Vorinstanz ist darin zuzustimmen, wenn sie die Auffassung der Beklagten
verwarf, wonach die Parteien an sich nur eine allgemeine öffentliche und
soziale, gemeinnützige Zweckbindung beabsichtigt und die Errichtung eines
Altersheimes bloss beispielhaft aufgeführt hätten. Die Zweckbestimmung im
Kaufvertrag ist klar formuliert und allein aus dem Wortlaut heraus eindeutig und
unmissverständlich. Dieser Verpflichtung – Errichtung (und folgerichtig auch
Betrieb) eines Altersheimes widerspricht offensichtlich die heutige Nutzung der
Kaufliegenschaften als Asylantenunterkunft. Ob auch die Nutzung eines Teils der
Kaufliegenschaften als Minigolfanlage mit der Zweckbestimmung im Kaufvertrag zu
vereinbaren wäre, kann dahingestellt bleiben, nachdem die Bindungswirkung der
Vertragsabrede, wie im Folgenden darzulegen ist, in der Zwischenzeit
dahingefallen ist.
a)
Sinn und Zweck der Abrede beschränkte die Leistung der Beklagten nicht auf eine
einmalige, vorübergehende Leistung, sondern beinhaltete eine Dauerleistung: das
Altersheim sollte nicht nur errichtet, sondern als solches auch betrieben
werden. Eine zeitliche Beschränkung des Altersheimbetriebes sahen die Parteien
ebensowenig vor. Die von der Beklagten im Kaufvertrag übernommene Verpflichtung
ist auch von ihrem Zweck her (Betreuung älterer Menschen) auf Dauer
ausgerichtet und stellt heute noch eine wichtige soziale Aufgabe einer Gemeinde
dar.
b)
Obligatorische Verpflichtungen können nicht auf unbegrenzte Dauer vereinbart
werden. Die zeitliche Begrenztheit von Vertragspflichten ergibt sich sowohl aus
Art. 27 Abs. 2 ZGB, wonach die persönliche und wirtschaftliche
Handlungsfreiheit nicht übermässig eingeschränkt werden darf, als auch aus
Art. 2 ZGB, wonach das Beharren einer Partei auf einer übermässigen Bindung
als zweckwidrige Rechtsausübung und damit als rechtsmissbräuchlich erscheint (BGE
114 II 161 mit zahlreichen Hinweisen). Die zulässige Dauer der Bindung lässt
sich nur von Fall zu Fall entscheiden. Auch juristische Personen – und damit Körperschaften
des öffentlichen Rechts – können sich darauf berufen. Die zulässige Dauer hängt
von der Intensität der Bindung des Verpflichteten und auch vom Gegenstand der
Beschränkung ab. Die zulässige Dauer ist bei Verpflichtungen zu
wiederkehrenden Leistungen kürzer als etwa beim Verzicht, während einer
absehbaren Dauer über eine Sache zu verfügen (BGE a.a.O., S. 162; Honsell/Vogt/Geiser,
Kommentar zum schweizerischen Privatrecht, N 10ff. zu Art. 27 ZGB; zum Ganzen
auch eingehend: Bucher, Berner Kommentar, N 334ff., 503ff. zu Art. 27 ZGB).
c)
Die von der Beklagten übernommene Verpflichtung beschränkte die Käuferin in
ihrer Freiheit als Grundeigentümerin, also in ihrer Freiheit, die
Liegenschaften nach ihrem Gutdünken zu nutzen und zu verwenden. Der Beklagten
war mit Abschluss des Kaufvertrages und der nachfolgenden Übertragung des
Grundeigentums nicht nur eine Einschränkung der Nutzung überbunden
(Unterlassungspflicht), sondern ihre vertragliche Pflicht beinhaltete ebenso,
die Kaufliegenschaften in bestimmter Weise zu verwenden. Sie versprach gegenüber
der Verkäuferschaft eine Verpflichtung zu einem Tun: nämlich, die erworbenen
Liegenschaften innert einer bestimmten Zeit für die Errichtung eines
Altersheimes der Gemeinde X. zu verwenden.
aa)
Rechtsverhältnisse mit dienstbarkeits- oder grundlastrechtlichem Inhalt können
auch obligatorisch vereinbart werden (BGE 97 II 401). Durch die Grundlast wird
der jeweilige Eigentümer eines Grundstückes zu einer Leistung an einen
Berechtigten verpflichtet, für die er ausschliesslich mit einem Grundstück
haftet (Art. 782 Abs. 1 ZGB). Unter Vorbehalt der Gült und der öffentlichrechtlichen
Grundlasten kann eine Grundlast nur eine Leistung zum Inhalt haben, die sich
entweder aus der wirtschaftlichen Natur des belasteten Grundstücks ergibt, oder
die für die wirtschaftlichen Bedürfnisse eines berechtigten Grundstückes
bestimmt sind (Abs. 3). Der Schuldner kann nach dreissigjährigem Bestand der
Grundlast deren Ablösung verlangen, und zwar auch dann, wenn eine längere
Dauer oder die Unlösbarkeit verabredet worden ist (Art. 788 Abs. 1 Ziff. 2 ZGB).
bb)
Die Verpflichtung der Gemeinde X., die Kaufliegenschaften für die Errichtung
eines Altersheimes zu verwenden, stellt eine grundlastähnliche obligatorische
Verpflichtung dar. Diese Leistungsverpflichtung – Errichtung und Betrieb eines
Altersheimes – kann nur durch die bestimmungsgemässe Verwendung der
Kaufliegenschaften ermöglicht werden. (Honsell/Vogt/Geiser, a.a.O., N 10 zu
Art. 782 ZGB; Piotet, SPR V/I, S. 654). Die Gemeinde X. ist in der Nutzung der
Kaufliegenschaften nicht nur eingeschränkt, sondern zu einer positiven Leistung
verpflichtet, nämlich auf den Grundstücken ein Altersheim zu errichten und zu
betreiben. Es besteht nicht nur eine Unterlassungs- oder Duldungspflicht,
sondern die geschuldete Leistung beinhaltet – ebenso wie bei der Grundlast –
ein Tun. Dass die Leistung nicht wie bei der Grundlast einem bestimmten
Berechtigten zugute kommt, sondern einem unbestimmten Kreis von Personen, ändert
am grundlastähnlichen Inhalt der Abrede nichts. Die Leistung der Beklagten ist
mit den Grundstücken derart gekoppelt, dass sie im Falle einer gewollten
dinglichen Sicherung nur durch eine Grundlast hätte begründet werden können.
cc)
In BGE 93 II 290ff. ging es um die Lieferungspflicht einer Wasserversorgung, die
zu Unrecht nur als Dienstbarkeit und nicht als Grundlast dinglich vereinbart
worden war. Das Bundesgericht qualifizierte die Wasserlieferungspflicht der
Wasserversorgung als obligatorisches Dauerschuldverhältnis (‹das seit vierzig
und mehr Jahren besteht›) und befand, dass dessen Inhalt einer Grundlast
entspreche. Neben dem Verweis auf die zeitliche Begrenztheit von obligatorischen
Dauerverpflichtungen im Allgemeinen verwies das Bundesgericht im Speziellen
darauf, dass «die Wasserlieferungspflicht nicht einmal unbeschränkt wäre,
wenn sie durch eine Grundlast begründet worden wäre». Denn: «Eine solche hätte
vom Schuldner gemäss Art. 788 Abs. 1 Ziff. 2 ZGB nach dreissigjährigem Bestand
abgelöst werden können. Die Annahme, eine inhaltlich einer Grundlast
entsprechende obligatorische Verpflichtung könne auf eine wesentlich längere
Zeitspanne aufrecht erhalten werden, ist damit nicht zu vereinbaren (vgl. dazu
Liver, Einleitung N. 144)» (S. 301). Das Bundesgericht hielt abschliessend
fest, dass auf den Zeitpunkt der erfolgten Kündigung des Schuldners die Pflicht
zur Wasserlieferung erloschen war.
dd)
Peter Liver hat sich in der einleitenden Kommentierung zu den Dienstbarkeiten
eingehend mit obligatorischen Rechten, die inhaltlich Dienstbarkeiten oder
Grundlasten entsprechen, auseinander gesetzt (Zürcher Kommentar, Einleitung N
129ff., insb. N 142ff.). Auch Spiro befasst sich in seinem Grundlagenwerk ‹Die
Begrenzung privater Rechte durch Verjährungs-, Verwirkungs- und
Fatalfristen›, Bd. 2, insb. § 461 und 462 mit der Frage der zeitlichen
Grenzen von obligatorischen Leistungspflichten mit dinglichem Inhalt. Liver führt
zu Recht ins Feld, dass die zwingenden sachenrechtlichen Normen auch für die
Beurteilung der Verbindlichkeit rein obligatorischer Bindungen des Eigentümers
zu berücksichtigen sind, namentlich bei der Frage der Höchstdauer, für welche
sich der Eigentümer zur Einräumung obligatorischer Nutzungsrechte unter
Ausschluss der Kündigung an einer Sache gültig verpflichten könne. Die
Beurteilung dieser Frage habe in erster Linie unter dem Gesichtspunkt des
Schutzes der Persönlichkeit (Art. 27 ZGB) und des Grundsatzes von Treu und
Glauben (Art. 2 ZGB) zu erfolgen und führe im Allgemeinen zum Ergebnis, dass
die obligatorische Bindung zeitlich begrenzt sei, während die dingliche Beschränkung
des Eigentums auf unbegrenzte Zeit bestehen könne und unkündbar sei. Wenn aber
die Dauer des beschränkt dinglichen Rechtes um der öffentlichen Ordnung willen
begrenzt sei, so seien diese Vorschriften auch zu berücksichtigen bei der
Beurteilung der Höchstdauer der inhaltlich entsprechenden
obligationenrechtlichen Rechtsverhältnisse. Denn auch diese könnten tatsächlich
die genau gleich umfassende Beschränkung der Sachherrschaft des Eigentümers
zur Folge haben, welche das Sachenrecht um der öffentlichen Ordnung willen nur
für eine begrenzte Zeit zulasse. Liver erwähnt hier einmal die Nutzniessung
(auf Lebenszeit bzw. auf hundert Jahre bei juristischen Personen) sowie das
selbständige Baurecht (auf hundert Jahre). Im Zusammenhang mit der Grundlast
bzw. den obligatorischen Pflichten gleichen Inhalts führt Liver aus (N
144–146):
Enger sind
die Schranken der Zeit, für welche sich der Grundeigentümer zu einer Leistung
verpflichten kann. Wäre z.B. die Verpflichtung einer Gemeinde als Eigentümerin
eines Quellengrundstückes zur Wasserlieferung Gegenstand einer Grundlast, wäre
sie nach dreissigjährigem Bestand für den Schuldner ablösbar (Art. 788 Ziff.
2). Hat sie bloss obligatorischen Charakter, sei es, weil die Errichtung eines
dinglichen Rechtes nicht beabsichtigt war, sei es, dass das dingliche Recht
nicht zustande gekommen ist, weil die Eintragung ungerechtfertigt ist, kann ihre
Dauer unmöglich unbegrenzt sein. Einmal kann mit ihr eine übermässige Beschränkung
der persönlichen Freiheit des Verpflichteten verbunden sein. Davon abgesehen, würde
sie bei unbeschränkter Dauer einen tatsächlichen Zustand zur Folge haben,
welchen das Gesetz um der Freiheit des Grundeigentums willen verhindern will,
was es mit der Bestimmung über die Ablösbarkeit der Grundlast zum Ausdruck
gebracht hat. (....)
Die
Verpflichtung zu positiven Leistungen (Arbeitsleistung, Lieferung von Wasser,
Elektrizität) ist eine schwerere Einengung in der persönlichen Freiheit als
die Überlassung einer Sache zum Gebrauch (Vermietung), weshalb die Kündigung
nicht für so lange Zeit ausgeschlossen werden kann wie für diese. Die Ablösbarkeit
der Grundlast nach dreissigjährigem Bestand (....) dürfte daher der geeignete
Zeitpunkt sein (....).
ee)
Den Überlegungen von Spiro und Liver, auf letzteren auch das Bundesgericht im
oben angeführten Entscheid verweist, ist zuzustimmen. Eine Beschränkung der
zeitlichen Bindung der Beklagten ist in erster Linie im Interesse der Wahrung
der Grenze zwischen obligatorischer und dinglicher Rechtstellung zu verneinen
(siehe Bucher, a.a.O., N 366 zu Art. 27 ZGB). Gegenüber einzelnen von Liver erwähnten
Leistungspflichten (Lieferung von Wasser, Elektrizität) ist vorliegend die im
Kaufvertrag von 1960 von der Beklagten übernommene Verpflichtung noch weit
einengender. Es geht nicht nur bloss um eine Leistung der Beklagten, die sich
ohne weiteres Zutun aus der Nutzung der Kaufliegenschaften ergibt – wie etwa
die Lieferung von Bodenprodukten, Holz, Bodenschätzen usw. Das Festhalten an
der Vertragsabrede hiesse von der Beklagten die Führung eines Betriebes zu
verlangen, der in ihren Augen aufgrund der infrastrukturellen Situation und der
aktuellen Altersheimnachfrage betriebswirtschaftlich – wohl zu Recht – als
unsinnig zu bezeichnen ist.
d)
Das Kernelement des Freiheitsschutzes von Art. 27 Abs. 2 ZGB besteht darin, dass
der zu Schützende sich aus der übermässigen Bindung befreien kann. Eine ausdrückliche
Kündigung, wie sie der Gesetzgeber etwa für die Ablösung der Grundlast
legiferiert hat, ist vorliegend nicht zwingend. Der Vertragsschuldner, der sich
im Prozess zu Recht wegen Ablaufs der zeitlichen Bindung gegen die weitere
Leistungserfüllung wehrt, ist auch zu hören, wenn keine eigentliche,
empfangsbedürftige ‹Kündigung› erfolgt war (im Sinne der Einredemöglichkeit
im Prozess; siehe auch Bucher, a.a.O., N 531 zu Art. 27 ZGB). Vorliegend hat
sich die Beklagte im Prozess von allem Anfang an darauf berufen, dass sie
infolge Zeitablaufs und somit wegen fehlender zeitlicher Bindungswirkung an die
Verpflichtung im Kaufvertrag aus dem Jahre 1960 nicht mehr gebunden sei. Auch
durch ihr Verhalten ab ca. Mitte der achtziger Jahre hat die Beklagte gegenüber
der Klägerschaft klar ihre Auffassung bekundet, an die damalige Vertragsabrede
nicht mehr gebunden zu sein.
Aufgrund
der obigen Ausführungen von Liver und mit Jenny (in Kommentar Honsell/Vogt/Geiser,
N 6 zu Art. 788 ZGB) ist festzuhalten, dass die inhaltlich einer Grundlast
entsprechende obligatorische Verpflichtung nicht auf eine Zeitspanne
aufrechterhalten werden kann, die wesentlich länger als dreissig Jahre ist. Im
heutigen Zeitpunkt nach mehr als vierzig Jahren seit Abschluss des Kaufvertrages
ist jedenfalls die Verpflichtung der Beklagten, die Kaufliegenschaften für die
Errichtung (und den Betrieb) eines Altersheimes zu verwenden, erloschen. Die
Klage mit den entsprechenden Erfüllungs- und Feststellungsbegehren ist deshalb
abzuweisen.
4.
Die Kläger haben im Berufungsverfahren ihr Eventualbegehren auf Leistung von
Schadenersatz oder Genugtuung zu ihren Gunsten fallen gelassen. Mangels Antrag
ist deshalb nicht darüber zu entscheiden, ob überhaupt die Voraussetzungen für
entsprechende Forderungen gegeben wären und bejahendenfalls in welcher Höhe
Ersatz zu sprechen wäre (siehe dazu etwa: Jenny, a.a.O., N 4 zu Art. 789 ZGB
mit Hinweisen).
5.
Die Gerichtskosten werden in der Regel der unterliegenden Partei auferlegt (§
59 Abs. 2 ZPO). Von dieser Regel kann u.a. dann abgewichen werden, wenn die
unterliegende Partei sich in guten Treuen zur Prozessführung veranlasst sah
(Abs. 3). Jede Partei hat in der Regel den Gegner im gleichen Verhältnis für
aussergerichtliche Kosten und Umtriebe, einschliesslich Weisungskosten, zu
entschädigen, wie ihr Kosten auferlegt werden (§ 62 Abs. 1 ZPO).
Im
vorliegenden Fall rechtfertigt sich, die Kosten beider Instanzen den Parteien je
zur Hälfte aufzuerlegen und die Parteikosten wettzuschlagen. Die Gemeinde X.
schloss den Altersheimbetrieb bereits anfangs der achtziger Jahre und räumte im
Jahre 1986 dem Verkehrsverein X. auf den Kaufliegenschaften sogar ein Baurecht für
eine Minigolfanlage ein. Unter diesen Umständen, angesichts des klaren
Wortlautes der Vereinbarung, der die Beklagte zur Aufrechterhaltung des
Altersheimbetriebes verpflichtete, und aufgrund der Tatsache, dass das Gesetz
sich über die maximale Dauer von obligatorischen Verpflichtungen nicht klar äussert,
war die Prozessführung der Klägerschaft begründbar. Auch hat es die Beklagte
unterlassen, durch eine ausdrückliche Kündigung in klärender Weise für die
Kläger transparente Verhältnisse zu schaffen.
(Urteil
vom 12. September 2000; KG 188+189/98 ZK).
Zivilrecht
– Arbeitsvertragsrecht; Zeitpunkt der Zustellung der Kündigung.
Aus
dem Sachverhalt:
A.
- Die Klägerin arbeitete als kaufmännische Angestellte ab 3. November 1996 bei
der Beklagten. Gemäss Anstellungsvertrag waren ein monatliches Gehalt von Fr.
3600.– sowie monatliche Pauschalspesen von Fr. 400.– vereinbart. Ausserdem
hatte die Angestellte Anspruch auf ein 13. Monatsgehalt, das jeweils per Ende
Juni und Ende Dezember auszubezahlen war. Als Kündigungsfrist vereinbarten die
Parteien für das erste Jahr eine Frist von einem Monat, ab dem zweiten Jahr
eine Frist von zwei Monaten und ab dem fünften Jahr eine Frist von drei
Monaten. Die Klägerin blieb ab ca. Mitte 1997 infolge Krankheit bzw.
Spitalaufenthalt verschiedentlich von der Arbeit fern. So war sie ab 18. August
bis 31. Oktober 1997 zu 100% durch ihren Arzt krankgeschrieben.
Mit
Schreiben vom 30. Oktober 1997 kündigte die Beklagte der Klägerin das
Arbeitsverhältnis auf den 30. November 1997 und stellte sie gleichzeitig per
sofort von der Arbeit frei. Die Post avisierte der Klägerin diese
eingeschriebene Kündigungssendung mittels Abholungseinladung unter Hinweis
darauf, dass die Postsendung ab dem 31. Oktober 1997, 10.00 Uhr, bis zum 6.
November 1997 bei der Poststelle in D. abgeholt werden könne. Die Klägerin
holte dieses Schreiben am 3. November 1997 am Postschalter ihres Wohnortes D.
ab. Die Beklagte zahlte der Klägerin den Lohn sowie die Pauschalspesen bis Ende
November 1997. Offen blieb der Anteil 13. Monatslohn in der zweiten Jahreshälfte
1997.
B.
- Am 19. Februar 1998 erhob M. gegen die C. AG Klage beim Einzelrichter des
Bezirkes X. auf Bezahlung von Fr. 10333.– nebst Zins seit 1. Januar 1998. Es
wurde geltend gemacht, dass die Kündigung der Klägerin erst am 3. November
1997 zugegangen sei, deshalb ein überjähriges Arbeitsverhältnis vorliege und
die Kündigung somit ihre Wirkungen frühestens auf Ende Januar 1998 entfaltet
habe. Zudem wurde seitens der Klägerin vorgetragen, dass infolge Überjährigkeit
des Arbeitsverhältnisses die Kündigung – während der krankheitsbedingten
Abwesenheit der Klägerin ausgesprochen – in die 90-tägige Sperrfrist gemäss
Art. 336c Abs. 1 lit. b OR gefallen und deshalb ungültig sei. Die Klägerin
forderte die Bezahlung der Löhne für Dezember 1997 und Januar 1998 von je Fr.
4000.– sowie den Anteil des 13. Monatslohnes für die Zeitspanne vom 1. Juli
1997 bis und mit 31. Januar 1998 von Fr. 2333.–.
Die
Beklagte ihrerseits hielt am Standpunkt, dass die Kündigung per Ende November
1997 termingerecht ausgesprochen wurde, fest. Sie anerkannte bloss den Anspruch
der Klägerin auf den Anteil 13. Monatslohn für die Zeit von Juli bis Ende
November 1997 von Fr. 1500.–. Dem stellte sie eine Gegenforderung auf Rückzahlung
zuviel bezahlter Spesenentschädigungen für die Zeit der Abwesenheit der Klägerin
vom Arbeitsplatz gegenüber. In der Zeit der Krankheit und Freistellung von der
Arbeit seien der Klägerin keine Spesen angefallen. Für diese Zeit von
mindestens 3.75 Monaten seien deshalb auch keine Spesenentschädigungen
geschuldet und sie (die Beklagte) habe Anspruch auf Rückzahlung der irrtümlich
geleisteten Spesenzahlungen in der Höhe von Fr. 1500.– (3.75
Monate à Fr. 400.–).
Mit
Interventionserklärung vom 29. Januar 1999 machte die Arbeitslosenkasse des
Kantons L. geltend, dass sie in Anwendung von Art. 29 AVIG in die strittige
Lohnforderung eingetreten sei, da sie der Klägerin vom 1. Dezember 1997 bis 31.
Januar 1998 eine Arbeitslosenentschädigung von netto Fr. 4617.35 ausbezahlt
habe.
Mit
Urteil vom 18. Mai 1999 erkannte der Einzelrichter am Bezirksgericht X. wie
folgt:
«1.
In teilweiser Gutheissung der Klage und gestützt auf Art. 29 AVIG wird
die Beklagte verpflichtet, der Arbeitslosenkasse des Kantons L. den Betrag von
Fr. 1500.– nebst Zins zu 5% seit dem 19.1.1998 zu bezahlen.
2.
Im darüber hinausgehenden Umfang wird die Klage abgewiesen.
3.
Infolge Kostenlosigkeit des Verfahrens (Art. 343 Abs. 3 OR) werden keine
Verfahrenskosten erhoben.
4.
Die Klägerin hat die Beklagte mit Fr. 1500.– (inkl. MwSt.)
ausserrechtlich zu entschädigen (...).»
Der
Einzelrichter erachtete die Kündigung als der Klägerin am 31. Oktober 1997
zugegangen, nachdem die der Klägerin avisierte eingeschriebene Sendung auf dem
Postbüro D. am 31. Oktober 1997, morgens um 10.00 Uhr, zur Abholung bereit lag.
Infolge Unterjährigkeit des Arbeitsverhältnisses bejahte deshalb der
Einzelrichter, dass die Kündigung – in Geltung der einmonatigen Kündigungsfrist
– per Ende November 1997 ihre Wirkung entfaltet habe, und er kam zum Schluss,
dass keine Kündigung zur Unzeit vorliege, da die Klägerin erstelltermassen im
Zeitpunkt der Kündigung mehr als 30 Tage krankheitshalber der Arbeit
ferngeblieben sei. Lohnforderungen für die Monate Dezember 1997 sowie Januar
1998 wies der Einzelrichter deshalb als unbegründet ab. Sodann hielt der
Richter aufgrund des Beweisergebnisses dafür, dass mit der vereinbarten
Spesenpauschale von monatlich Fr. 400.– die der Klägerin während ihrer
Arbeitstätigkeit effektiv anfallenden Auslagen ersetzt werden sollten und es
sich nicht um einen Lohnbestandteil handeln würde. Der Einzelrichter verwarf
jedoch die Rückforderungsmöglichkeit mit der Begründung, dass von einer irrtümlichen
Auszahlung der Pauschalspesen nicht die Rede sein könne, da die Beklagte um die
krankheitsbedingten Arbeitsabwesenheiten der Klägerin gewusst habe.
Aus
den Erwägungen:
1.
In Frage steht vorab, auf welchen Zeitpunkt die Kündigung der Beklagten vom 30.
Oktober 1997 ihre Wirkung entfaltet hat und damit das Arbeitsverhältnis
beendigt wurde. Ging die Kündigung der Klägerin erst am 3. November 1997 ein,
so endigte das Arbeitsverhältnis frühestens auf Ende Januar 1998, da es am 3.
November 1997 mehr als ein Jahr gedauert hat und die Kündigungsfrist
vereinbarungsgemäss bei Überjährigkeit des Arbeitsverhältnisses zwei Monate
betrug. Zudem stellte sich dann die Frage, ob die Kündigung gestützt auf Art.
336c Abs. 1 lit. b OR zur Unzeit erfolgte und damit nichtig ist.
a)
Die Kündigung ist eine empfangsbedürftige Willenserklärung, womit sie ihre
Wirkung erst im Zeitpunkt entfaltet, da sie dem Adressaten zugeht. Der Zugang
einer Willenserklärung unter Abwesenden setzt voraus, dass die Erklärung in
den Machtbereich des Adressaten gelangte und nach der Verkehrssitte die begründete
Erwartung bestand, er werde von ihr tatsächlich Kenntnis nehmen (Rehbinder,
Berner Kommentar, N 8 zu Art. 335 OR). Erfolgt die Erklärung mittels
eingeschriebener Sendung, und wird der Adressat nicht angetroffen, so erfolgt
der Zugang nicht schon im Moment, da die Abholungseinladung beim Adressaten in
den Briefkasten gelegt wird, sondern erst im Zeitpunkt, ab dem die Sendung auf
dem Postbüro abgeholt werden kann. Nicht massgebend ist, ob der Empfänger von
der Sendung tatsächlich Kenntnis nimmt oder nicht. Die so verstandene
Empfangstheorie gilt nach überwiegender Auffassung in Rechtsprechung und Lehre
grundsätzlich bei allen privatrechtlichen Willenserklärungen (Schönenberger/Jäggi,
Zürcher Kommentar, N 43 zu Art. 9 OR; Kramer/Schmidlin, Berner Kommentar, N 87
und 88 zu Art. 1 OR, mit zahlreichen Hinweisen; Guhl/Koller/Schnyder/Druey, Das
Schweizerische Obligationenrecht, 9. A., § 13, Rz. 44, § 44, Rz. 172; Higi, Zürcher
Kommentar, N 41 Vorb. zu Art. 266-266o bezüglich Kündigung von Mietverhältnissen).
In BGE 107 II 191 = Praxis 70, Nr. 177, Erw. 2 hat das Bundesgericht in
Festhaltung dieser allgemeinen Praxis darauf hingewiesen, dass (im Falle einer
eingeschriebenen Sendung mit Abholungseinladung) die Erklärung dann als
zugegangen gilt, sobald es dem Empfänger möglich ist, sie auf dem Postbüro
entgegenzunehmen, soweit ihm zugemutet werden kann, dies sofort zu tun. Im
konkreten Fall jedoch – es ging um die Anzeige einer Mietzinserhöhung gemäss
Art. 18 BMM – hat das Bundesgericht seine Praxis, welche in Bezug auf
gerichtliche Sendungen entwickelt worden ist, angewendet. Danach gelten
Einschreibebriefe, bei denen der Adressat nicht angetroffen worden ist, erst in
jenem Zeitpunkt als zugestellt, in welchem sie auf der Post abgeholt werden, spätestens
mit Ablauf der siebentägigen Abholungsfrist gemäss Art. 169 Abs. 1 lit. d der
Verordnung (1) zum Postverkehrsgesetz vom 1.9.1967 (die ab 1.1.1998 geltende
Postverordnung, VPG, SR 738.01, enthält keine Bestimmung über Abhol- und
Aufbewahrungsfristen mehr; die den früheren Bestimmungen entsprechende Regelung
findet sich nun in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen «Postdienstleistungen»,
mit der gesetzlichen Grundlage in Art. 11 des Postgesetzes, PG; SR 783.00). Die
Abweichung begründete das Bundesgericht damit, dass die Anwendung der
Empfangstheorie zu Folgen führen würde, die mit dem vom BMM angestrebten Zweck
des Mieterschutzes unvereinbar seien, namentlich würde der Mieter, der die
Sendung nicht unverzüglich nach Zustellung der Abholungseinladung abhole bzw.
abholen könne, eines Teils der ihm eingeräumten Bedenkfrist für die
eventuelle Kündigung und die Bestreitung der Mietzinserhöhung beraubt.
b)
Die Kommentatoren zum Arbeitsvertragsrecht sind geteilter Meinung: für die
‹klassische› Empfangstheorie sprechen sich aus: Rehbinder, Berner Kommentar,
N 8 zu Art. 335; Staehelin/Vischer, Zürcher Kommentar, N 13 zu Art. 335 und
Streiff/von Kaenel, Leitfaden zum Arbeitsvertragsrecht, N 5 zu Art. 335 OR.
Dagegen sind die Kommentatoren Brunner/Bühler/Waeber (N 9 zu Art. 335) und Brühwiler
(Art. 336 OR, 1971, N III) der Auffassung, dass eine Kündigungserklärung in
jenem Zeitpunkt als empfangen gilt, wenn der Empfänger den Brief bei der Post
tatsächlich abholt, spätestens bei Ablauf der Abholungsfrist (im Folgenden:
eingeschränkte Empfangstheorie).
c)
Teilweise besteht in der kantonalen Gerichtspraxis die Tendenz, die vom
Bundesgericht im Zusammenhang mit gerichtlichen Sendungen entwickelte eingeschränkte
Empfangstheorie auch auf privatrechtliche Willenserklärungen anzuwenden (so BJM
1978, 78f.; SJZ 1988, 327 und GVP 1990, 135 gemäss Hinweis in Guhl/Koller/Schnyder/Druey,
a.a.O., § 13, Rz. 44; anders wieder FZR 1998, S. 323). Gründe der
Rechtssicherheit und der rechtsgleichen Behandlung waren für die Entscheide
dieser Gerichte ausschlaggebend. Sie rechtfertigen nach Auffassung der
Zivilkammer jedoch nicht, bei avisierten, eingeschriebenen Sendungen die
klassische Empfangstheorie zu verlassen. Dies wäre aber der Fall, wenn auf die
tatsächliche Kenntnisnahme der Erklärung (bis zum Ablauf der Abholungsfrist)
statt auf das Zugangskriterium abgestellt würde. Nach Schönenberger/Jäggi,
a.a.O., N 137 zu Art. 1 OR, besteht der Zugang nämlich darin, dass der Erklärungsträger
in den Machtbereich des Empfängers gelangt (...), so dass es nur noch vom üblichen
Verhalten des Empfängers und seiner Hilfsperson abhängt, ob der Empfänger den
Erklärungsträger wahrnimmt. Nach den üblichen Gepflogenheiten des Verkehrs
kann aber erwartet werden, dass Einschreibebriefe nach Kenntnisnahme der
Abholungseinladung auf dem Postamt umgehend abgeholt werden. Dies hat das
Bundesgericht im erwähnten Entscheid Praxis 70, Nr. 177 klar zum Ausdruck
gebracht, indem es den Zugang einer Erklärung bejahte, «sobald es dem Empfänger
möglich ist, sie auf dem Postbüro entgegenzunehmen, soweit ihm zugemutet
werden kann, dies sofort zu tun». Kramer/Schmidlin, a.a.O., N 88 zu Art. 1 OR
ist allerdings zuzustimmen, wenn sie darauf hinweisen, dass nicht unbedingt der
Augenblick, wo die Sendung erstmals auf dem Postamt abgeholt werden kann,
entscheidend ist, weil die sofortige Abholung am selben Tag nicht unbedingt
erwartet werden darf. Sie weisen zu Recht auf den Fall eines berufstätigen Empfängers
hin, der in aller Regel nicht in der Lage ist, am Tag des Zugangs der
Abholungseinladung die Sendung auf dem Postamt abzuholen.
d)
Anders verhält es sich jedoch bei nicht berufstätigen Adressaten oder solchen,
die infolge Krankheit nicht am Arbeitsplatz anwesend sind. Hier kann in der
Regel erwartet werden, dass der Empfänger die Sendung nach Eintreffen der
Abholungseinladung am ersten Tag, an dem die Sendung auf der Post bereit liegt,
abholt. Der Zugang der Erklärung wird somit bereits auf den Zeitpunkt bewirkt,
zu dem der Brief gemäss Abholungseinladung auf dem Postamt zur Abholung bereit
liegt, es sei denn, der Empfänger sei aus wichtigen Gründen verhindert
gewesen, die Sendung noch am gleichen Tag abzuholen (siehe BGE 83 III 97).
Solche Gründe vermag die Klägerin nicht darzutun. Sie war seit längerer Zeit
krankgeschrieben, womit seitens der Beklagten in guten Treuen erwartet werden
konnte, dass sie am Tag der Zustellung des Briefes zu Hause anwesend war,
zumindest aber die Möglichkeit hatte, nach Eintreffen der Abholungseinladung
noch an demselben Tag die Sendung auf der Post abzuholen. Wenn die
krankgemeldete Klägerin geltend macht, dass sie an diesem Tag um 8.00 Uhr aus
dem Haus ging und den ganzen Tag in der Stadt war, so entlastet sie das gerade
nicht.
e)
In Übereinstimmung mit der Vorinstanz ist deshalb festzustellen, dass die Kündigung
der Klägerin am 31. Oktober 1997 zuging, womit das Arbeitsverhältnis auf Ende
November 1997 beendigt wurde. Der Klägerin stehen damit für die Monate
Dezember 1997 und Januar 1998 keine Lohnansprüche zu.
2.
Die Forderung der Klägerin auf Auszahlung des 13. Monatslohnes für die Zeit
von Juli bis Ende November 1997 von brutto Fr. 1500.– ist seitens der
Beklagten anerkannt. Diese Forderung der Klägerin will die Beklagte mit einer
Gegenforderung in derselben Höhe zur Verrechnung bringen: sie fordert von der
Klägerin für 3.75 Monate ausbezahlte Pauschalspesen zurück, da diese infolge
krankheitsbedingter Abwesenheit der Klägerin sowie wegen Freistellung im Monat
November 1997 nicht geschuldet seien.
Bei
den im Arbeitsvertrag vereinbarten Pauschalspesen von Fr. 400.– handelt es
sich, nachdem die Klägerin zugestandenermassen diverse, regelmässige Botengänge
mit ihrem Privatauto für die Beklagte tätigen musste, grundsätzlich nicht um
einen Lohnbestandteil, sondern um Auslagenersatz. Den detaillierten Erwägungen
der Vorinstanz auf Seite 8 und 9 des Urteils kann beigepflichtet werden. In
Frage steht, ob eine wirksam vereinbarte Spesenpauschale auch während der
krankheitsbedingten Arbeitsverhinderung der Klägerin und deren Freistellung vom
Arbeitsplatz zu zahlen ist. Im Zweifel ist zwar die Pauschale nur bei tatsächlicher
Beschäftigung geschuldet (Rehbinder, a.a.O., N 8 zu Art. 327a OR; Streiff/Kaenel,
a.a.O., N 3 zu Art. 327a OR). Die gegenteilige Regelung – sei es ausdrücklich
oder durch konkludentes Verhalten vereinbart – ist jedoch ohne weiteres möglich,
auch wenn es sich dann rechtlich wieder um einen Lohnbestandteil handelt, sofern
die ausgerichtete Spesenpauschale über den effektiven durchschnittlichen
Auslagen liegt (Staehelin/Vischer, a.a.O., N 15 zu Art. 327a OR). Im
vorliegenden Fall hat die Beklagte der Klägerin vorbehaltlos in ihrer Zeit der
krankheitsbedingten Abwesenheit die Spesenpauschale ausbezahlt. Bemerkenswert
ist insbesondere, dass die Auszahlung auch für die Monate September und Oktober
1997 in vollem Umfang erfolgte, obwohl der Klägerin infolge ihrer
krankheitsbedingten Abwesenheit überhaupt keine Auslagen anfielen. Sogar nach
der erfolgten Kündigung zahlte die Beklagte der Klägerin für den Monat
November 1997 die Spesenpauschale aus, obgleich die Klägerin von der Arbeit
freigestellt war. Das Verhalten der Beklagten, trotz mehrmonatiger Abwesenheit
der Klägerin die Spesenpauschale ohne Vorbehalt auszubezahlen, kann nur so
gedeutet werden (und die Klägerin konnte dies auch in guten Treuen so
verstehen), dass die Pauschalspesenentschädigung vereinbarungsgemäss auch
jeweils für die Zeit der Abwesenheit (Krankheit, Ferien usw.) geschuldet ist.
Aber
selbst wenn man annehmen würde, dass der Klägerin für die Zeit der
Abwesenheit kein Anspruch auf Auszahlung der Spesenpauschale zusteht, ist sie
zur Rückzahlung der ausbezahlten Beträge nicht verpflichtet. Diesfalls würden
mangels vertraglichem Anspruch auf Auszahlung der Pauschalspesen in der Zeit der
Arbeitsverhinderung die Regeln über die ungerechtfertigte Bereicherung zum Zuge
kommen. Vorliegend kann nicht angenommen werden, dass die Beklagte die Zahlungen
irrtümlich leistete, d.h. in der Vorstellung erbrachte, dass die Schuld bestehe
(siehe Rehbinder, a.a.O., N 44 zu Art. 322 OR; Staehelin/Vischer, a.a.O., N 36
zu Art. 322 OR; BJM 1958, 318). Die Beklagte wusste, dass der Klägerin in der
Zeit der Arbeitsverhinderung keine Auslagen anfielen, die sie im Sinne einer
Pauschalspesenentschädigung zu ersetzen hätte. Die ausgerichteten Zahlungen könnten
somit mangels Irrtum über die Leistungspflicht nicht zurückverlangt werden.
3.
Der Einzelrichter hat den von der Beklagten geschuldeten Betrag von Fr. 1500.–
nicht der Klägerin, sondern gestützt auf die gesetzliche Zessionsbestimmung
von Art. 29 AVIG der Arbeitslosenkasse des Kantons L. zugesprochen. Die
Arbeitslosenkasse des Kantons L. hielt in ihrer Interventionserklärung vom 29.
Januar 1999 fest, dass sie der Klägerin für die Zeit vom 1. Dezember 1997 bis
31. Januar 1998 Arbeitslosenentschädigungen ausgerichtet habe. Die Auszahlungen
erfolgten demnach erst für die Zeit nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses
per 30. November 1997, wogegen der von der Beklagten geschuldete Betrag einen spätestens
am 30. November 1997 fälligen Lohnanteil betrifft. Ein Zessionsfall im Sinne
von Art. 29 AVIG liegt demnach nicht vor, und die Beklagte ist verpflichtet, den
Betrag von Fr. 1500.– samt Zins der Klägerin zu bezahlen.
(Urteil
vom 13. Juni 2000; KG 269/99 ZK).
Zivilrecht
– Fristlose Entlassung wegen sexueller Belästigung.
Aus
den Erwägungen:
Es
ist unbestritten und durch die Aussagen des Zeugen X. (...) erstellt, dass der
Kläger am 1.3.1999 einer 151/2-jährigen Schnupperlehrtochter an den Busen
gegriffen hat. Zu prüfen ist, ob dies einen ausreichenden Grund für eine
fristlose Entlassung darstellt.
a)
Die Voraussetzung zur fristlosen Auflösung des Arbeitsverhältnisses ist gemäss
Art. 337 Abs. 1 OR das Vorliegen eines wichtigen Grundes. Nach Abs. 2 derselben
Bestimmung liegt ein wichtiger Grund immer dann vor, wenn dem Kündigenden nach
Treu und Glauben die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nicht mehr zumutbar
ist. Unzumutbarkeit liegt vor, wenn das Vertrauensverhältnis zwischen den
Parteien endgültig zerstört ist und zwar nach objektiven wie nach subjektiven
Gesichtspunkten (Staehelin/ Vischer, Zürcher Kommentar, N 3 zu Art. 337 OR mit
Verweisen).
Eine
sexuelle Belästigung kann den Arbeitgeber berechtigen, den fehlbaren
Arbeitnehmer fristlos zu entlassen. Gemäss Art. 328 Abs. 1 OR hat der
Arbeitgeber auf die Gesundheit des Arbeitnehmers gebührend Rücksicht zu nehmen
und für die Wahrung der Sittlichkeit zu sorgen. Dazu gehört der Schutz der
sexuellen Integrität des Arbeitnehmers. Die fragliche Belästigung wird als
unerwünschte sexuelle Annäherung erlebt, erfolgt immer ohne Billigung und
unter Verletzung des geschlechtlichen Fühlens und Empfindens der Zielperson und
muss nicht unbedingt ein strafbares Verhalten im Sinne des Strafgesetzes
darstellen. Damit subjektiv der Tatbestand der sexuellen Belästigung überhaupt
erfüllt sein kann, muss sich das Opfer tatsächlich belästigt fühlen. Die
Schwere der Belästigung und deren objektive Erfüllung ist nach einem
objektiven Massstab zu beurteilen, so wie es ein durchschnittlicher Mensch
empfinden muss. Zeitpunkt und Häufigkeit spielen für das Vorliegen einer
sexuellen Belästigung keine Rolle (JAR 1999, S. 295f.). Das sexuell belästigende
Verhalten muss mit keiner Druckausübung oder Nötigung verbunden sein. Der Täter
muss weder das Ziel im Auge haben, das Arbeitsverhältnis zu vergiften oder zu
beeinträchtigen noch muss er das Ergebnis voraussehen. Allein Worte, Gesten
oder andere Verhaltensweisen genügen für sich, um den Tatbestand zu erfüllen.
Nötig ist einzig, dass es sich um einen Angriff auf die Persönlichkeit
handelt, welche einen sexuellen Inhalt oder zumindest eine sexuelle Komponente
hat. Hinsichtlich des belästigenden Charakters ist auf das
Durchschnittsempfinden weiblicher Personen abzustellen. Die subjektive
Empfindlichkeit des Opfers darf keine Rolle spielen. Sexuelle Belästigung ist
auch möglich zwischen gleichgeordneten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern (JAR
1999, S. 183f.).
b)
Der Kläger erachtet den Griff an den Busen der Schnupperlehrtochter nicht als
schwerwiegenden Eingriff in deren sexuelle Integrität. Er ist der Auffassung,
dass es sich einfach um einen einmaligen, dummen «Ausrutscher» gehandelt habe.
Es ist nicht entscheidend, wie der Kläger seine Handlungsweise taxiert, sondern
abzustellen ist auf das Durchschnittsempfinden weiblicher Personen. Gemäss den
Aussagen des Zeugen X. hat sich der Kläger von hinten der Schnupperlehrtochter
genähert und ihr an den Busen gegriffen (...). Ein solcher, nicht erwarteter
und in keiner Weise provozierter Griff wird objektiv von einer durchschnittlich
empfindenden weiblichen Person zweifellos als sexuelle Belästigung empfunden.
Dass sich die Schnupperlehrtochter tatsächlich belästigt fühlte, ist aufgrund
der Aussagen des Zeugen X. als erstellt anzusehen. Dieser erklärte nämlich,
dass die Schnupperlehrtochter erschrocken sei, sich umgedreht und dem Kläger
auf die Finger geschlagen habe (...). Unerheblich ist auch, dass es sich um
einen einmaligen Vorfall handelte, denn die Häufigkeit spielt für das
Vorliegen einer sexuellen Belästigung keine Rolle. Nach richterlicher
Auffassung ist die Handlung des Klägers eindeutig als sexuelle Belästigung zu
taxieren.
Zu
berücksichtigen ist vorliegend, dass die Handlung gegenüber einer erst 151/2-jährigen
Schnupperlehrtochter erfolgte, also gegenüber einer minderjährigen
Jugendlichen, die eines besonderen Schutzes bedurfte. Die Beklagte durfte
aufgrund der ihr obliegenden Fürsorgepflicht nach Art. 328 Abs. 1 OR eine
solche Handlung nicht einfach hinnehmen. Sie hat die Pflicht, ihre
Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter vor sexuellen Belästigungen und Verletzungen
ihrer Persönlichkeit zu schützen. Besonders schützenswert sind Jugendliche,
weil sich diese oft nicht zur Wehr setzen können oder sich nicht getrauen,
sexuelle Belästigungen oder andere Eingriffe in ihre Persönlichkeit
anzuzeigen. Die Beklagte konnte auch nicht einfach davon ausgehen, dass eine
Wiederholung ausgeschlossen ist. Gemäss den Aussagen des Zeugen X. hat sich der
Kläger für sein Verhalten bei der Schnupperlehrtochter nicht entschuldigt, und
andere hinzukommende Arbeitnehmer hätten gelacht
(...). Offenbar nahmen weder der Kläger noch die hinzugekommenen anderen
Arbeitnehmer den Vorfall ernst, und bei Tolerierung des Vorfalles durch die
Beklagte hätte es leicht zu einer Wiederholung einer solchen Handlung gegenüber
einer andern weiblichen Person im Betrieb der Beklagten kommen können. Ein «Wiederholungstäter»
hätte nämlich davon ausgehen können, dass für solche Handlungen quasi ein «Freipass»
besteht und mit keinen Sanktionen seitens der Beklagten zu rechnen ist. Ein
solches Risiko durfte die Beklagte aufgrund der ihr obliegenden Schutzpflichten
keinesfalls in Kauf nehmen. Im Wiederholungsfalle wäre die Beklagte allenfalls
wegen Verletzung ihrer Sorgfaltspflicht mit schweren Vorwürfen und
Schadenersatzforderungen konfrontiert worden. Sie hätte sich gegebenenfalls
auch noch strafbar gemacht, wenn sie gegen die sexuelle Belästigung der
Schnupperlehrtochter nichts unternommen hätte (vgl. JAR, 1999, S. 297). Die
Beklagte hat aufgrund der ihr obliegenden Fürsorgepflicht mit der Entlassung
des Klägers richtig gehandelt. Es konnte ihr nicht zugemutet werden, das
Arbeitsverhältnis mit dem Beklagten fortzusetzen, und mithin ist die fristlose
Entlassung auch nicht als unangemessene Sanktion anzusehen. Nach richterlicher
Auffassung ist die fristlose Entlassung des Klägers zu Recht erfolgt.
(Urteil
Einzelrichter Bezirk Schwyz vom 6. November 2000; EB 99/26).
Zivilrecht
– Vormerkung eines Vorkaufsrechtes; Übergangsrecht.
Aus
dem Sachverhalt:
A.
Im Mietvertrag zwischen A. und B. vom 8. Juni 1983 wurde ein Vorkaufsrecht mit
folgendem Inhalt vereinbart:
«Während der festen
Mietdauer sowie den beiden Optionsperioden, sofern der Mieter von den Optionen
Gebrauch macht, steht dem Mieter an der Gesamtliegenschaft des Vermieters ein
Vorkaufsrecht zu. Dieses Vorkaufsrecht wird auf die gesetzlich höchstzulässige
Dauer von 10 Jahren im Grundbuch eingetragen; im Übrigen gilt es als
schuldrechtliche Verbindlichkeit. Für die Vormerkung gilt das Gleiche wie bei
der Vormerkung des Mietvertrages (einseitige Anmeldung durch den Mieter,
Kostentragung).»
Die
Vormerkung des vorgenannten Mietvertrages sowie des Vorkaufsrechtes wurde im
Grundbuch am 13. Juni 1983 vollzogen.
Mit
Nachtrag I zum Mietvertrag zwischen A. und B. vom 10. August 1988 wurde der
bestehende Mietvertrag mit allen Rechten und Pflichten von der Einzelfirma B.
auf die Firma C. AG übertragen (Art. 1). Darin wurde ausdrücklich
festgehalten, dass die feste Mietdauer bis zum 31. Dezember 1999, eine Option für
zweimal weitere fünf Jahre Miete sowie das Vorkaufsrecht auf die Liegenschaft
gelte (Art. 2). Weiter wurde in Art. 3 des Nachtrags festgehalten, dass die
Rechte gemäss Art. 2 zu Gunsten des Mieters im Grundbuch eingetragen sind und
auf die neu berechtigte Fa. C. AG übertragen werden.
Nachdem
die Mieterin die erste Option zur
Verlängerung des Mietvertrages ausgeübt hatte, wurde auf Antrag der Mieterin
der «Mietvertrag z.G. C. AG fest bis 31. Dezember 2004» neu vorgemerkt. Das
Vorkaufsrecht wurde unverändert stehen gelassen.
B.
- Mit Schreiben vom 13. September 1999 teilte die Beschwerdeführerin (C. AG)
dem Grundbuchamt mit, der Anspruch auf Vormerkung des Vorkaufsrechtes bestehe
nach wie vor. Dementsprechend sei dieses Vorkaufsrecht sofort wieder im
Grundbuch vorzumerken, falls es aus irgendwelchen Gründen gelöscht werden
sollte.
Am
21. September 1999 verfügte der Grundbuchverwalter wie folgt:
«1.
Die Vormerkung Ziff. 3 ab GB-Bl. ... Grundbuch X. (Vorkaufsrecht z.G. C.
AG, für die Dauer von 10 Jahren ist im Grundbuch zu löschen.
2.
Die Vormerkung eines Vorkaufsrechtes auf GB-Bl. ... z.G. C. AG, wird
abgewiesen.
3.
Ein Anzeigetatbestand nach Art. 969 ZGB besteht hinsichtlich GB-Bl. ...
nicht.
4.
(Kosten).
5.
(Rechtsmittelbelehrung).
6.
(Zustellung).»
Mit
Eingabe vom 21. Oktober 1999 erhebt die C. AG (nachfolgend Beschwerdeführerin)
Grundbuchbeschwerde mit folgenden Anträgen:
«1.
Die angefochtene Verfügung sei aufzuheben.
2. Das
zu Gunsten der C. AG bestehende Vorkaufsrecht sei auf dem Grundbuchblatt ...
vorzumerken bzw. weiterhin dort als Vormerkung zu belassen.
3. Die
bereits bestehende Vormerkung des Vorkaufsrechts sei nicht zu löschen.
4. Es
sei festzustellen, dass in Bezug auf direkte oder indirekte Kaufsgeschäfte
betreffend das Grundstück .... eine Pflicht zur Anzeige an die C.
AG besteht.
5. Es
sei festzustellen, dass der Beschwerde aufschiebende Wirkung zukommt, bzw. es
sei der Beschwerde die aufschiebende Wirkung zu gewähren.
6. Sämtliche
Kosten seien vom Staat zu tragen, welcher die Beschwerdeführerin vollumfänglich
zu entschädigen hat.»
In
seiner Vernehmlassung vom 3. November 1999 schliesst der Grundbuchverwalter auf
Abweisung der Beschwerde.
Mit
Stellungnahme vom 30. November 1999 hielt die Beschwerdeführerin an ihren Anträgen
fest.
Mit
Schreiben vom 4. Januar 2000 teilt das Grundbuchamt der Beschwerdeführerin mit,
dass die Liegenschaft mit Vertrag vom 22. Dezember 1999 verkauft worden sei und
die Frist nach Art. 681a Abs. 2 ZGB zu laufen beginne.
Aus
den Erwägungen:
1.
Der Grundbuchbeschwerde kommt von Gesetzes wegen aufschiebende Wirkung zu, was
namentlich in Art. 24 Abs. 3 GBV für den Fall der Abweisung einer Anmeldung
ausdrücklich bestätigt wird. Davon geht auch der Grundbuchverwalter aus. Damit
wird Antrag Ziffer 5 gegenstandslos.
2.
Gemäss Art. 956 Abs. 2 ZGB können Beschwerden gegen die Amtsführung des
Grundbuchverwalters und Anstände bezüglich der eingereichten oder
einzureichenden Belege und Erklärungen bei der kantonalen Aufsichtsbehörde
erhoben werden, sofern nicht gerichtliche Anfechtung vorgesehen ist.
Konkretisiert wird die Norm in Art. 102–104b GBV.
Mit
Schreiben vom 13. September 1999 teilte die Beschwerdeführerin dem Grundbuchamt
mit, der Anspruch auf Vormerkung des Vorkaufsrechts bestehe nach wie vor.
Dementsprechend sei dieses Vorkaufsrecht sofort wieder im Grundbuch vorzumerken,
falls es aus irgendwelchen Gründen gelöscht werden sollte. Der
Grundbuchverwalter erwog, dass der Vormerkungsschutz des Vorkaufsrechts am 13.
Juni 1993 erloschen sei, noch bevor die Revision des Immobiliarsachenrechts in
Kraft getreten ist. Die Vormerkung sei daher von Amtes wegen im Grundbuch zu löschen
(Art. 976 Abs. 1 ZGB). Ein neuer Rechtsgrund für die neue Eintragung des
Vorkaufsrechts liege nicht vor, weshalb das Grundbuchamt die Löschung des
Vorkaufsrechts (Ziff. 1) sowie die Abweisung der Vormerkung des Vorkaufsrechts
verfügte (Ziff. 2). Der Grundbuchverwalter wies damit einerseits sinngemäss
Anmeldung einer Vormerkung ab, anderseits verfügte er die Löschung im Sinne
von Art. 976 ZGB. Vor diesem Hintergrund ist die Grundbuchbeschwerde im Sinne
von Art. 103 GBV gegeben. Insofern sich die Beschwerdeführerin sinngemäss
gegen die Amtsführung des Grundbuchverwalters richtet und dessen Verfügungen
anficht, die nicht in einer Abweisung einer Grundbuchanmeldung bestehen, ist die
Beschwerde als allgemeine Aufsichtsbeschwerde im Sinne von Art. 104 i.V.m. Art.
102 GBV aufzufassen (vgl. Dieter Zobl, Grundbuchrecht, Zürich 1999, Rz. 575ff.
und 582ff.; BGE 117 II 43).
3.
Die Beschwerdeführerin macht geltend, im Verhältnis zwischen Grundeigentümer
und der Vorkaufsberechtigten seien verschiedene Fragen materiellrechtlich zu klären,
die weder in die Kompetenz des Grundbuchverwalters noch in ein
grundbuchrechtliches Aufsichtsverfahren gehörten. Insoweit rügt sie ein Überschreiten
der Kognitionsbefugnis des Grundbuchverwalters.
Die
Beschwerdeführerin führt aus, die Klausel mit dem Vorkaufsrecht sei noch unter
altem Recht vereinbart worden. Damals habe die gesetzliche Höchstdauer der
Vormerkung 10 statt wie heute 25 Jahre betragen. Dafür habe das Vorkaufsrecht
– im Unterschied zur heutigen Regelung – über die Vormerkungsdauer hinaus
vereinbart werden können, allerdings nur noch mit obligatorischer Wirkung. Es
sei offenkundig, dass die Parteien ein Vorkaufsrecht vereinbaren wollten und
vereinbart hätten, das für die ganze Dauer des festen bzw. durch Optionen
abgesicherten Vertrages hätte wirksam sein sollen. Unter Berücksichtigung der
festen Mietdauer von 15 Jahren und der Optionen von zweimal fünf Jahren
entspreche diese Regelung der heutigen Maximaldauer eines Vorkaufsrechts, wie
sie in Art. 216a OR festgehalten sei. Nach Treu und Glauben müsse davon
ausgegangen werden, dass die Parteien schon damals – wäre dies möglich
gewesen – eine Vormerkung von 25 Jahren vereinbart hätten.
a)
Gemäss Art. 976 ZGB kann der Belastete die Löschung von Einträgen verlangen,
die jede rechtliche Bedeutung verloren haben; der Grundbuchverwalter kann die Löschung
auch von Amtes wegen vornehmen (Abs. 1). Entspricht der Grundbuchverwalter dem
Begehren, oder nimmt er die Löschung von Amtes wegen vor, so teilt er dies den
Beteiligten mit (Abs. 2).
Voraussetzung
einer Löschung ist, dass der Eintrag jede rechtliche Bedeutung verloren hat; es
handelt sich mithin um Einträge, die keine Grundlage mehr für einen
Rechtserwerb bilden können. Der Nachweis der Tatsache, dass der Eintrag jede
rechtliche Bedeutung verloren hat, muss sich unzweifelhaft aus dem Eintrag, den
Belegen, aus einem anderen öffentlichen Register ergeben. Die
Bedeutungslosigkeit ergibt sich aus dem Eintrag, wenn die Frist, für welche das
Recht begründet worden ist, abgelaufen ist. So kann etwa eine
Baurechtsdienstbarkeit nach Ablauf der Dauer, für welche sie errichtet worden
ist, in Anwendung von Art. 976 ZGB gelöscht werden (Jürg Schmid,
Schweizerisches Zivilgesetzbuch II, Basel 1998, N 5f. zu Art. 976 ZGB). Die
Bedeutungslosigkeit einer Vormerkung ergibt sich ebenfalls aus der Vormerkung,
wenn die Vormerkungsdauer abgelaufen ist. Nach Art. 72 Abs. 1 GBV und Art. 76
Abs. 1 GBV sind befristete Vormerkungen nach Ablauf der Vormerkungsdauer von
Amtes wegen zu löschen, als Anwendungsfall von Art. 976 ZGB (Jürg Schmid,
a.a.O., N 7 zu Art. 976 ZGB).
b)
Die besonderen Wirkungen der Vormerkung treten mit der Tatsache der Eintragung
ins Hauptbuch ein, zurückbezogen auf den Zeitpunkt der Einschreibung der
Anmeldung ins Tagebuch (Deschenaux, Sachenrecht, Schweizerisches Privatrecht,
Band V/3, II, S. 705).
Beim
Vorkaufsrecht endigte der Schutz, den die Vormerkung verschaffte, nach altem
Recht nach zehn Jahren. Dies stellte eine Verwirkungsfrist dar, die nicht verlängert,
wohl aber verkürzt werden konnte (Deschenaux, a.a.O., Band V/3, I, S. 367).
Nach
Art. 72 Abs. 1 GBV sind die Vormerkungen persönlicher Rechte von Amtes wegen zu
löschen, wenn die in der Vormerkung angegebene Zeit abgelaufen ist. Diese Löschungen
sind rein deklaratorisch (Deschenaux, a.a.O., Band V/3, I, 371; Schmid,
Schweizerisches Zivilgesetzbuch II, N 47 zu Art. 960 ZGB; Homberger, Zürcher
Kommentar, Das Sachenrecht, 2. Aufl. 1938, N 26 zu Art. 959). Dabei hat der
Grundbuchverwalter allerdings nicht nach Vormerkungen, deren Vormerkungsdauer
abgelaufen ist, zu fahnden (Jäggi, Über das vertragliche Vorkaufsrecht, ZBGR
1958, S. 65ff., S. 75).
c)
Der Grundbuchführer hat bei Eintragungen im Wesentlichen nur zu prüfen, ob die
Formerfordernisse erfüllt sind (Art. 965 Abs. 3 ZGB). Dagegen hat er sich
grundsätzlich nicht um den materiellen Bestand des vorgebrachten Rechtsgrundes
zu kümmern; ob etwa ein Willensmangel zu einer Anfechtung des Rechtstitels
Anlass geben könnte, hat der Grundbuchverwalter nicht zu beurteilen. Immerhin
hat er eine Anmeldung abzuweisen, wenn sich diese auf einen offensichtlich
nichtigen Rechtstitel stützt (BGE 124 III 343ff., 119 II 17f.).
Der
Grundbuchverwalter hat indessen von Amtes wegen tätig zu werden bei der Löschung
der Vormerkung eines persönlichen Rechts nach Ablauf der angegebenen Dauer
(Art. 72 GBV). Insoweit muss er die Grundlagen für seinen Entscheid selber
zusammentragen und prüfen, ob die für diese notwendigen gesetzlichen
Voraussetzungen erfüllt sind (Deschenaux, a.a.O., Band V/3, I, S. 483). Es
kommt ihm daher in Bezug auf einen Entstehungs- oder Untergangsgrund die volle
und unbeschränkte Prüfungsbefugnis zu (Deschenaux, a.a.O., Band V/3, I, S.
507).
d)
Das Bundesgesetz über die Teilrevision des ZGB (beschränkte dingliche Rechte)
und des Obligationenrechts (Verkauf von Grundstücken) vom 4. Oktober 1991, in
Kraft getreten am 1. Januar 1994, sieht neu in Art. 216a OR eine Dauer von 25
Jahren für Vorkaufsrechte vor. Durch die Revision wurde die Vormerkungsdauer
von 10 auf 25 Jahre verlängert. Damit stimmen nach neuem Recht die
Vormerkungsdauer sowie der Bestand des Rechts überein (Paul-Henri Steinauer, La
nouvelle réglementation du droit de préemption, ZBGR 73/1992, S. 1ff., S. 8).
Das vorgenannte Bundesgesetz enthält keine Übergangsbestimmungen, weshalb gemäss
ständiger Praxis somit grundsätzlich die hiefür vorgesehenen Bestimmungen des
Schlusstitels des ZGB massgeblich sind (BGE 121 III 100ff. mit weiteren
Nachweisen). Nach den allgemeinen intertemporalrechtlichen Grundsätzen, die für
den Bereich des Privatrechts in den Art. 1–4 SchlTZGB normiert sind, wird der
zeitliche Geltungsbereich der Gesetzesregeln vom Prinzip der Nichtrückwirkung
beherrscht. Eine eigentliche oder echte Rückwirkung liegt vor, wenn bei der
Anwendung neuen Rechts an ein Ereignis angeknüpft wird, das sich vor dessen
Inkrafttreten ereignet hat und das im Zeitpunkt des Inkrafttretens der neuen
Norm abgeschlossen ist; sie ist verfassungsrechtlich nur ausnahmsweise zulässig.
Demgegenüber wird bei der unechten Rückwirkung auf Verhältnisse abgestellt,
die zwar unter der Herrschaft des alten Rechts entstanden sind, beim
Inkrafttreten des neuen Rechts aber noch andauern (BGE 124 III 271 E. 4e). Art.
2 SchlTZGB kommt in casu ohnehin nicht in Betracht, da die fragliche Neuregelung
nicht um der öffentlichen Ordnung oder Sittlichkeit willen aufgestellt wurde.
Nicht zur Anwendung gelangen kann auch Art. 3 SchlTZGB, da diese Bestimmung
bezweckt, erworbene Rechte, nach Art. 3 SchlTZGB rechtsgeschäftliche
Rechtspositionen, bei Rechtsänderungen zu schützen (Markus Vischer, Kommentar
zum Schweizerischen Privatrecht, Schweizerisches Zivilgesetzbuch II, Art.
457–977 ZGB, Art. 1–61 SchlTZGB, N 3 zu Art. 3 SchlTZGB). Mit andern Worten
soll nach Art. 3 SchlTZGB das neue Recht grundsätzlich nicht in wohlerworbene
Rechte eingreifen; bei solchen erworbenen, selbständigen Rechten – um ein
solches handelt es sich beim vertraglichen Vorkaufsrecht – beurteilt sich sein
Bestand nach denjenigen Normen, welche im Zeitpunkt der Begründung gegolten
haben (BGE 116 II 66 E. 3a, 116 III 125; vgl. auch Denis Piotet, Le droit
transitoire de la loi fédérale sur le droit foncier rural et sur la révision
partielle du code civil et du code des obligations du 4 octobre 1991, in ZSR
113/1994 I, S. 125ff., S. 143f.).
In
Anwendung dieser Regeln geht die Lehre mehrheitlich davon aus, dass Art. 216a OR
nicht rückwirken könne auf die vereinbarte Dauer von persönlichen
Kaufsrechten, welche am 1. Januar 1994, dem Datum des Inkrafttretens des neuen
Rechts existierten (Denis Piotet, a.a.O., S. 143f.; Vito Roberto, Teilrevision
des Zivilgesetzbuches und des Obligationenrechts, recht 1993, S. 172ff., S. 175;
a.M. Felix Schöbi, Die Revision des Kaufs-, des Vorkaufs- und des Rückkaufsrechts,
AJP 1992, S. 567ff., S. 570f.). Das Bundesgericht hat die Frage in BGE 121 III
100ff. offen gelassen. In Anlehnung an die bundesgerichtliche Rechtsprechung zur
Frage der Rückwirkung gemäss Art. 80 URG (BGE 124 III 266) ist die Rückwirkung
neuen Rechts jedenfalls insoweit abzulehnen, als die Vormerkungsdauer von
Vorkaufsrechten vor dem Inkrafttreten neuen Rechts bereits abgelaufen war. Wie
es sich in Bezug auf Rechte verhält, deren Vormerkungsdauer per 1. Januar 1994
noch nicht abgelaufen war, ist nicht Gegenstand des vorliegenden Verfahrens.
e)
Das fragliche Vorkaufsrecht wurde im Mietvertrag vom 8. Juni 1983 begründet und
gemäss Wortlaut des Vertrages – auf die gesetzlich zulässige Höchstdauer
von 10 Jahren im Grundbuch vorgemerkt; im Übrigen galt es als schuldrechtliche
Verbindlichkeit. Der Mietvertrag wurde für eine feste Dauer vom 1. Januar 1985
bis 31. Dezember 1999 abgeschlossen. Danach war eine feste Option zugunsten des
Mieters von zweimal fünf Jahren vorgesehen. Somit bestand ein Vormerkungsschutz
von zehn Jahren, während das Vorkaufsrecht im Sinne einer schuldrechtlichen
Verbindlichkeit insgesamt für 25 Jahre vereinbart wurde.
Die
Vormerkung des Vorkaufsrechts wurde am 13. Juni 1983 beim Grundbuch angemeldet
und unter gleichem Datum eingetragen. Unter Datum des 10. August 1988 wurde der
Mietvertrag auf die Firma C. AG übertragen (Ziffer 1 des Nachtrags zum
Mietvertrag vom 10.8.1988). Unter Ziffer 2 wurde ausdrücklich festgehalten,
dass darin (Anmerkung: in der Übertragung) enthalten ist: a) die Mietdauer fest
bis zum 31. Dezember 1999, b) eine Option für zweimal weitere fünf Jahre Miete
ab 31. Dezember 1999 sowie c) das Vorkaufsrecht auf die Liegenschaft. In Ziffer
3 wird festgehalten: «Die Rechte gemäss Art. 2 zu Gunsten des Mieters sind im
Grundbuch eingetragen und werden auf die neu berechtigte Fa. C. AG übertragen.»
Aufgrund dieser Akten durfte der Grundbuchführer zu Recht schliessen, dass die
Vormerkungsdauer abgelaufen ist. Denn die Vormerkung des Vorkaufsrechts wurde am
13. Juni 1983 eingetragen (wörtlich steht im Grundbuch: «Vorkaufsrecht ..., für
die Dauer von zehn Jahren») und im Nachtrag vom August 1988 war lediglich
festgehalten worden, dass das Vorkaufsrecht weiterhin Bestandteil des übertragenen
Mietvertrags darstelle und dieses Recht bereits eingetragen worden sei. Aus dem
Wortlaut ergibt sich klar, dass die Rechte eingetragen waren und durch die
Vereinbarung vom August 1988 lediglich auf die Beschwerdeführerin übertragen
wurden, was aber an der Vormerkungsdauer nichts änderte; namentlich wurde das
Recht nicht erneut für zehn Jahre vorgemerkt. Die Beschwerdeführerin kann
daher aus diesem Nachtrag zum Mietvertrag in Bezug auf die Dauer des
Vormerkungsschutzes nichts zu ihren Gunsten ableiten.
Wesentlich
ist indessen und damit entscheidrelevant, dass im Zeitpunkt des Inkrafttretens
des neuen Rechts per 1. Januar 1994 die Vormerkungsdauer bereits abgelaufen war;
die Vormerkung hätte bereits ab 14. Juni 1993 gelöscht werden können. Die
Beschwerdeführerin übersieht, dass bei Inkrafttreten des neuen Rechts dem
Vorkaufsrecht nicht mehr realobligatorische Wirkung, sondern nur noch
obligatorische Wirkung zukam. War aber die Vormerkungsdauer von 10 Jahren noch
unter dem Regime des alten Rechts abgelaufen, durfte der Grundbuchführer die Löschung
verfügen. Damit handelte es sich so oder anders nicht mehr um eine Vormerkung,
die am 1. Januar 1994 noch Bestand gehabt hat. Eine rückwirkende Änderung der
Vormerkungsdauer infolge Rechtsänderung würde überdies in unzulässiger Weise
in die Vertragsfreiheit der Vertragsparteien eingreifen, steht es den Parteien
nach wie vor frei, auch eine kürzere Dauer des Vorkaufsrechts zu vereinbaren
oder solche Rechte gar nie vormerken zu lassen (Hess, Kommentar zum
Schweizerischen Privatrecht, Obligationenrecht I, Art. 1–529 OR, N 3 zu Art.
216a OR). Ferner steht es ihnen auch jederzeit zu, eine neue Vereinbarung zu
treffen (vgl. Denis Piotet, a.a.O., in ZSR 113 / 1994 I, S. 144).
f)
Entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin ist in den Erwägungen des
Grundbuchführers auch keine Überschreitung seiner Kognition zu erblicken,
zumal er nach dem Gesagten in Bezug auf Löschungen von Amtes wegen zur vollen
Überprüfung verpflichtet ist. In diesem Sinn war der Grundbuchverwalter
gehalten, die Frage der Vormerkungsdauer aufzuwerfen und Überlegungen zur neuen
Vormerkungsdauer von Vorkaufsrechten anzustellen. Indem er festgestellt hat,
dass die Vormerkungsdauer nach altem Recht abgelaufen war und er Art. 216a OR
insoweit keine entscheidwesentliche Bedeutung zumass, hat er seine Kognition
nicht überschritten. Dispositivziffer 1 der angefochtenen Verfügung ist
insoweit nicht zu beanstanden.
Angesichts
der dargestellten Sach- und Rechtslage ist auch Ziffer 2 der angefochtenen Verfügung,
worin der Grundbuchverwalter die Vormerkung eines Kaufsrechts abwies, nicht zu
beanstanden. Stellt sich die Beschwerdeführerin auf den Standpunkt, nach
Inkrafttreten des neuen Rechts sei das vereinbarte Vorkaufsrecht mit heute nur
mehr obligatorischer Wirkung in ein solches mit realobligatorischer Wirkung zu
konvertieren, hat sie beim vorkaufsbelasteten Eigentümer um eine entsprechende
Erklärung bzw. Vereinbarung nachzusuchen, allenfalls den Klageweg zu
beschreiten.
4.
Die Beschwerdeführerin verlangt mit Rekursantrag Ziffer 4 die Feststellung,
dass in Bezug auf direkte oder indirekte Kaufsgeschäfte betreffend das
fragliche Grundstück eine Pflicht zur Anzeige an die Beschwerdeführerin
bestehe.
Die
Anzeigepflicht gegenüber Vorkaufsberechtigten gemäss Art. 969 ZGB besteht nur,
soweit solche Rechte im Grundbuch vorgemerkt sind (vgl. Jürg Schmid, a.a.O., N
8 zu Art. 969 ZGB). Ist die Vormerkungsdauer abgelaufen und der Eintrag somit
von Amtes wegen zu löschen, entfällt auch eine Anzeigepflicht. Die Beschwerde
ist daher auch insoweit abzuweisen.
(Beschluss
vom 4. April 2000; KG 488/99 RK 1).
Zivilprozessrecht
– § 1 Abs. 2 lit. a EGzZGB; über vorsorgliche Massnahmen in Ehesachen
wird im summarischen Verfahren entschieden.
Aus
den Erwägungen:
Das
neue Scheidungsrecht ist am 1. Januar 2000 in Kraft getreten. Auf
Scheidungsprozesse, die beim Inkrafttreten des neuen Rechts rechtshängig und
von einer kantonalen Instanz zu beurteilen sind, findet gemäss Art. 7b Abs. 1
SchlTZGB das neue Scheidungsrecht Anwendung. Die Regelung des Verfahrens
betreffend die Anordnung vorsorglicher Massnahmen nach Art. 137 Abs. 2 ZGB ist
Sache des kantonalen Prozessrechts, soweit das Bundesrecht dies nicht regelt (Spühler,
Das neue Scheidungsrecht, hrsg. von der Stiftung für die juristische
Weiterbildung Zürich, S. 145f.).
a)
Die Vorinstanz hält fest, im vorsorglichen Massnahmeverfahren seien die
Bestimmungen über das summarische Verfahren analog anzuwenden. Dies habe zur
Folge, dass den Parteien an sich, wie unter altem Recht, nur eine Rechtsschrift
bzw. nur ein Vortrag zustehe. Auch trete die Säumnis schon mit erstmaligem
Verpassen einer Frist ein. Es könne kaum Meinung des Gesetzgebers gewesen sein,
dass innerhalb des beschleunigten Verfahrens, welches für das
Scheidungsverfahren gelte, ein Massnahmenverfahren durchgeführt werde, für
welches ebenfalls die Verfahrensvorschriften des beschleunigten Verfahrens zur
Anwendung gelangen sollten. Dies würde zu umständlich sein und den
Massnahmenentscheid, welcher ja rasch zu treffen sei, über Gebühr in die Länge
ziehen. Der Vorderrichter behandelte deshalb das Massnahmeverfahren
verfahrensleitend weiterhin nach den Verfahrensregeln des summarischen
Verfahrens unter eigener Prozessnummer. Hinsichtlich des Beweismasses stellt die
Vorinstanz ferner fest, es genüge weiterhin Glaubhaftmachung für die
anspruchsbegründenden, anspruchshemmenden oder anspruchsverhindernden
Tatsachenbehauptungen, weshalb sich der Massnahmerichter mit summarischen,
insbesondere sofort verfügbaren Beweisen begnügen könne.
b)
Die Klägerin rügt, der Vorderrichter habe fälschlicherweise die
Verfahrensregeln des summarischen Verfahrens angewandt. Das Verfahren sei
vielmehr nach den Regeln des beschleunigten Verfahrens durchzuführen. Die
Vorinstanz habe deshalb zu Unrecht keinen zweiten Parteivortrag angeordnet und
relevante Beweisabnahmen verweigert.
c)
§ 1 Abs. 2 lit. a EGzZGB (SRSZ 210.100) sieht vor:
«Der Einzelrichter entscheidet im
beschleunigten Verfahren über:
a) Ungültigkeits-,
Scheidungs-, Trennungs- und Abänderungsklagen sowie gemeinsame Trennungs- und
Scheidungsbegehren (Art. 106, 111 bis 117 und 129 ZGB), ferner verfahrensleitend
über vorsorgliche Massnahmen (Art. 137 Abs. 2 ZGB).»
Ob
der Einzelrichter gemäss dieser Norm Verfahren über vorsorgliche Massnahmen
gemäss Art. 137 Abs. 2 ZGB verfahrensleitend im summarischen oder im
beschleunigten Verfahren zu entscheiden hat, ist unklar. Die Verfahrensart ist
daher auf dem Weg der Gesetzesauslegung zu ermitteln. Auszugehen ist dabei vom
Wortlaut der auszulegenden Bestimmung, doch kann dieser nicht allein massgebend
sein, namentlich wenn der Text unklar ist oder verschiedene Deutungen zulässt.
Vielmehr muss nach der wahren Tragweite des Wortlauts gesucht werden, unter Berücksichtigung
der weiteren Auslegungselemente, wie namentlich Entstehungsgeschichte und Zweck
der Norm. Wichtig ist auch die Bedeutung, welche der Norm im Kontext zu anderen
Bestimmungen zukommt. Das Bundesgericht lässt sich diesbezüglich stets von
einem Methodenpluralismus leiten und stellt nur dann allein auf das
grammatikalische Element ab, wenn sich daraus zweifellos eine sachlich richtige
Lösung ergibt (BGE 125 II 179).
aa)
Die Anordnung, wonach der Einzelrichter verfahrensleitend über vorsorgliche
Massnahmen zu entscheiden hat, steht im Absatz 2 des § 1 EGzZGB, zusammen mit
den übrigen im beschleunigten Verfahren zu behandelnden Geschäften. Dies
allein führt jedoch noch nicht zur endgültigen Schlussfolgerung, der
Einzelrichter habe auch bei der Beurteilung von Massnahmen nach Art. 137 Abs. 2
ZGB nach den Vorschriften des beschleunigten Verfahrens vorzugehen. Es ist
vielmehr ebenfalls zu berücksichtigen, dass der Gesetzgeber dieses Verfahren über
vorsorgliche Massnahmen von der Aufzählung «Ungültigkeits-, Scheidungs-,
Trennungs- und Abänderungsklagen sowie gemeinsame Trennungs- und
Scheidungsbegehren (Art. 106, 111 bis 117 und 129 ZGB)» ausdrücklich mit dem
Wort «verfahrensleitend» abtrennt. Hätte der Gesetzgeber gewollt, dass die
Verfahren über vorsorgliche Massnahmen im beschleunigten Verfahren zu
beurteilen sind, wäre diese Abtrennung nicht notwendig gewesen. Dieser Umstand,
d.h. die grammatikalische Auslegung spricht demnach eher dafür, dass im
vorsorglichen Massnahmeverfahren gemäss Art. 137 Abs. 2 ZGB eben gerade nicht
analog der Ungültigkeits-, Scheidungsklage usw. im beschleunigten Verfahren
vorzugehen ist.
bb)
Das vorsorgliche Massnahmeverfahren während der Ehescheidung ist möglichst
einfach auszugestalten, und dieses ist seinem Wesen nach summarischer Natur.
Umfangreiche Beweismassnahmen und -abnahmen müssen unterbleiben. Die
Gerichtsinstanz hat in pflichtgemässem Ermessen anhand der rasch greifbaren
Beweismittel über die vorsorglichen Massnahmen zu entscheiden.
Tatsachenbehauptungen müssen zumindest glaubhaft gemacht werden (Leuenberger,
in Praxis Kommentar Scheidungsrecht, hrsg. von Ingeborg Schwenzer, Basel 2000, N
55 zu Art. 137 ZGB; Sutter/Freiburghaus, Kommentar zum neuen Scheidungsrecht, N
24 zu Art. 137 ZGB). Das Verfahren ist weiter laut Leuenberger grundsätzlich
kontradiktorisch, d.h., vor dem Erlass sind beide Parteien zu hören und sie müssen
sich zu den berücksichtigten Beweismitteln äussern können. Ohne Anhörung der
massnahmebelasteten Partei darf indes in Ausnahmefällen bei grosser
Dringlichkeit verfügt werden (Leuenberger, a.a.O., N 56 zu Art. 137 ZGB; vgl.
auch Walder, Zivilprozessrecht, 4. Aufl., Zürich 1996, § 21, S. 222., N 13;
Vogel, Grundriss des Zivilprozessrechts, 5. Aufl., 6. Kap., S. 172, N 79).
Diesen Ausführungen entsprechend würde die Durchführung des vorsorglichen
Massnahmeverfahrens im beschleunigten Verfahren dem Sinn und Zweck des damit zu
erreichenden Ziels entgegenstehen, weshalb es sich auch aus teleologischen
Gesichtspunkten ergibt, dass das Verfahren nicht im beschleunigten Verfahren
durchzuführen ist.
cc)
Die von der Klägerin eingereichten Materialien sprechen im Übrigen ebenfalls
nicht für eine Durchführung im beschleunigten Verfahren.
dd)
Zusammengefasst ergibt sich, dass gesetzlich nicht normiert wurde, ob Verfahren
über vorsorgliche Massnahmen nach Art. 137 Abs. 2 ZGB im summarischen oder im
beschleunigten Verfahren zu entscheiden sind. Vielmehr wurde seitens des
Gesetzgebers offen gelassen, wie vorzugehen ist. Damit hat der Richter die
Verfahrensart zu bestimmen (Art. 1 Abs. 2 ZGB). Dies entspricht im Übrigen dem
sonstigen vorsorglichen Massnahmenrecht, wonach der Präsident im Hauptverfahren
verfahrensleitend – dieser Begriff ist terminologisch mit dem gebräuchlicheren
Ausdruck «prozessleitend» gleichzusetzen (vgl. dazu § 203 Ziff. 4 ZPO) –
vorsorgliche Massnahmen treffen kann und diesbezüglich ebenfalls kein Verfahren
vorgeschrieben ist (§ 79 GO).
ee)
Im Kanton Zürich, an dessen ZPO sich die Schwyzer ZPO eng anlehnt, ist
unbestritten, dass im Verfahren um vorsorgliche Massnahmen die Vorschriften des
summarischen Verfahrens analog anzuwenden sind (Frank/Sträuli/Messmer,
Kommentar zur zürcherischen Zivilprozessordnung, 3. Aufl., N 66 zu § 110 ZPO
ZH). Trotzdem vertritt Walder unter Bezugnahme auf ZR 77/1978, Nr. 138 grundsätzlich
die Ansicht, die Parteien hätten auch im Verfahren betreffend vorsorgliche
Massnahmen wegen des Grundsatzes des rechtlichen Gehörs Anspruch auf je zwei
Vorträge und darauf, nach durchgeführtem Beweisverfahren zum Beweisergebnis
Stellung zu nehmen (Walder, a.a.O., § 21, S. 222, A 8). Dieser ZR 77/1978, Nr.
138, beruft sich jedoch einzig auf die von Sträuli/Messmer in ihrer 2. Aufl.
noch vertretene Auffassung, die indes in der neusten, 3. Auflage von Frank/Sträuli/Messmer
umgestossen wird. Die Autoren vertreten heute die Ansicht, den Parteien würde
sowohl im schriftlichen als auch im mündlichen Verfahren über vorsorgliche
Massnahmen nur ein Vortrag zustehen (Frank/Sträuli/Messmer, a.a.O., 3. Aufl., N
3 zu § 206 ZPO ZH).
ff)
Dem Sinn vorsorglicher Massnahmen entsprechend, wonach rasch zu entscheiden ist
und Entscheide abänderbar sind, rechtfertigt es sich, im Verfahren über
vorsorgliche Massnahmen generell und somit auch im Verfahren gemäss Art. 137
Abs. 2 ZGB die Vorschriften und Grundsätze des summarischen Verfahrens (§
165ff. ZPO), und eben gerade nicht des beschleunigten Verfahrens, analog
anzuwenden.
Nach
dem Gesagten ist daher zusammenfassend der Einwand der Klägerin zu verwerfen,
die Vorinstanz habe fälschlicherweise nicht im beschleunigten Verfahren
entschieden. Ihr Rekurs ist in diesem Punkt abzuweisen, womit auch ihr in diesem
Zusammenhang stehende Vorwurf der Verletzung des rechtlichen Gehörs ins Leere
geht (...). Dass die Vorinstanz das Verfahren unter separater Prozessnummer führte,
ändert an der Sache nichts.
(Beschluss
vom 7. Oktober 2000; KG 205/00 RK 1).
Zivilprozessrecht
– Novenrecht im Verfahren betreffend vorsorgliche Massnahmen Art. 137 ZGB.
Aus
den Erwägungen:
a)
Auf Scheidungsprozesse, die beim Inkrafttreten des neuen Rechts rechtshängig
sind, findet das neue Scheidungsrecht Anwendung (Art. 7b Abs. 1 SchlTZGB).
b)
Die Regelung des Verfahrens betreffend die Anordnung vorsorglicher Massnahmen
nach Art. 137 ZGB ist Sache des kantonalen Prozessrechts, soweit das Bundesrecht
dies nicht regelt (Thomas Sutter-Somm, Neuerungen im Scheidungsverfahren, in Vom
alten zum neuen Scheidungsrecht, hrsg. von Heinz Hausheer, S. 217ff., S. 229).
Art. 137 ZGB enthält keine Vorschrift zur Anwendbarkeit der Dispositions- oder
der Offizialmaxime über die vermögensrechtlichen Belange zwischen den
Ehegatten (Thomas Sutter/Dieter Freiburghaus, Kommentar zum neuen
Scheidungsrecht, N 19 zu Art. 137 ZGB), weshalb insoweit Raum für ergänzendes
kantonales Zivilprozessrecht besteht. Da der kantonale Gesetzgeber insoweit kein
neues Recht geschaffen hat, gelten die bisherigen Bestimmungen. Im
Massnahmeverfahren genügt sowohl für die anspruchsbegründenden,
anspruchshemmenden oder anspruchsverhindernden Tatsachenbehauptungen die
Glaubhaftmachung. Ferner ist ein entsprechender Antrag zum Erlass vorsorglicher
Massnahmen erforderlich.
c)
Art. 138 ZGB regelt das Novenrecht. Nach zutreffender Auffassung betrifft das
Novenrecht das Scheidungsverfahren und gilt somit Art. 138 ZGB nur für Noven im
Zusammenhang mit den Scheidungsgründen und den vermögensrechtlichen
Scheidungsfolgen zwischen den Ehegatten (Sutter/Freiburghaus, a.a.O., N 9 zu
Art. 138 ZGB), nicht aber im vorsorglichen Massnahmeverfahren. Diesem kommt vorläufiger
Charakter zu, und diese Massnahmen können bei Veränderung der Verhältnisse
angepasst resp. abgeändert werden (Art. 137 Abs. 2 Satz 2 i.V.m. Art. 179 ZGB).
Für das Rekursverfahren gilt daher weiterhin das Novenrecht gemäss § 210
i.V.m. § 198 und § 104 Ziff. 2–5 ZPO).
(Beschluss
vom 8. Februar 2000; KG 339/99 RK 1).
Zivilprozessrecht
– Zur Praxis der Erstreckung richterlicher Fristen.
Aus
den Erwägungen:
2.
Der Rekurrent rügt im Wesentlichen, dass die Nichtgewährung der
Fristerstreckung über den 3. Mai 1999 hinaus bis zum 7. Juni 1999 einerseits §
125 Abs. 1 GO verletze. Denn die beantragte Fristerstreckung von rund einem
Monat liege im Rahmen der Gerichtspraxis des Kantons Schwyz. Vorliegend hätte
der Vorderrichter die Frist bis 7. Juni 1999 erstrecken müssen, da der
Rekurrent zureichende Gründe, nämlich Arbeitsüberlastung und Ortsabwesenheit,
vorgebracht habe; der Richter habe hier keinen Ermessensspielraum. Anderseits
habe der Vorderrichter die Nichtgewährung der beantragten Fristerstreckung
nicht begründet. Wegen mangelnder Begründung der Nichtbewilligung der
Fristerstreckung sei das rechtliche Gehör verletzt worden.
a)
Die Erstreckung einer richterlichen Frist wird nur aus zureichenden Gründen
bewilligt (§ 125 GO). Zureichende Gründe liegen vor, wenn sie nach den Regeln
allgemeiner menschlicher Lebenserfahrung geeignet erscheinen, die rechtzeitige
Vornahme der Prozesshandlung zu hindern. Die Verlängerungsgründe sind von der
gesuchstellenden Partei glaubhaft zu machen (Hauser/Hauser, GVG, Erläuterungen
zum Gerichtsverfassungsgesetz des Kantons Zürich, 1978, S. 734). Primär ist
anzustreben, den Prozess möglichst rasch und ökonomisch zu einer gerechten
Sachentscheidung zu führen. Deshalb hat sich das Gericht lediglich in begründeten
Fällen zur Bewilligung einer Fristverlängerung zu entschliessen. Hat es aber
die Berechtigung bzw. Notwendigkeit einer nachgesuchten Fristerstreckung
erkannt, dann muss es sie bewilligen und zugleich prüfen, innerhalb welchen
Zeitraumes die fristgebundene Partei unter Anlegung eines objektiven Massstabes
in der Lage sein wird, die verlangte Prozesshandlung vorzunehmen (Hauser/Hauser,
a.a.O., S. 736; Guldener, Schweizerisches Zivilprozessrecht, 1979, S. 268).
Letztmalige Fristerstreckungen haben wirklich als letztmalig zu gelten; eine
weitere Erstreckung ist nur ganz ausnahmsweise bei Vorliegen schwerwiegender Gründe
gestattet (Hauser/Hauser, a.a.O., S. 736). Letztmals erstreckte Fristen können
verlängert werden, wenn neue Verhältnisse eingetreten sind (Hauser/Hauser,
a.a.O., S. 737). Es ist zum festen Gerichtsgebrauch geworden, bei
Fristerstreckungen den Parteien davon Kenntnis zu geben, dass weiteren Verlängerungen
nicht mehr entsprochen werde; bevor dies geschieht, darf eine Partei auf eine
weitere Erstreckung hoffen (Hauser/Hauser, a.a.O., S. 737). Wird die Erstreckung
einer Frist trotz Vorhandensein zureichender Gründe abgelehnt, so stellt dies
eine Gehörsverweigerung dar (Hauser/Hauser, a.a.O., S. 738).
b)
Gemäss Schwyzer Zivilprozessordnung und Praxis der Gerichte des Kantons Schwyz
wird die Frist zur Leistung von Kostenvorschüssen grundsätzlich nicht
erstreckt; der gesuchstellenden Partei wird lediglich eine angemessene Nachfrist
angesetzt. Erfolgt die Bezahlung innert dieser Nachfrist nicht, so wird auf die
Klage oder das Rechtsmittel nicht eingetreten (vgl. § 72 Abs. 1 ZPO und act.
5).
(Beschluss
vom 5. April
2000; KG 297/99 RK 1).
Zivilprozessrecht
– Bauhandwerkerpfandrecht. Verfahrensfragen.
Aus
dem Sachverhalt:
A.
Am 12. Juni 1997 bestellte die Firma Z. AG bei der Klägerin eine vom Beklagten
ausgesuchte Steinplatte zur Herstellung einer Küchenabdeckung. Die Küchenabdeckung
wurde von der Klägerin am 19. September 1997 im Haus des Beklagten montiert.
Die in der Folge von der Klägerin an die Bestellerin gerichteten Rechnungen für
die Steinplatte und deren Montage wurden nicht beglichen. Über die Firma Z. AG
wurde der Konkurs eröffnet.
B. Auf Begehren der Klägerin
verfügte der Einzelrichter am 16. Dezember 1997 superprovisorisch die
Eintragung des Bauhandwerkerpfandrechts auf dem Grundstück des Beklagten im
Umfang der für die Steinplatte und deren Montage fakturierten Summe von
insgesamt Fr. 6344.05 nebst Zins zu 6.5% seit 19. September 1997. Gegen diese
Verfügung erhob der Beklagte fristgerecht Einsprache, worin er die
Sachdarstellung der Klägerin bezüglich der vertraglichen Vereinbarungen mit
der Z. AG grundsätzlich anerkannte und das Datum der Montage vom 19. September
1997 bestätigte. Er machte geltend, dass er die Rechnung der Z. AG bezahlt
habe. Er erklärte sich «ohne Anerkennung einer Rechtspflicht und ohne Präjudiz
für das weitere Verfahren» bereit, einen Betrag von Fr. 6400.– als
Sicherheitsleistung auf ein Sperrkonto der Kantonalbank Schwyz einzuzahlen. Nach
erfolgter Hinterlegung der Sicherheitsleistung schrieb der Einzelrichter mit
Verfügung vom 19. Dezember 1997 das Verfahren betr. vorläufige Vormerkung
eines Bauhandwerkerpfandrechts als erledigt ab und ordnete die Löschung des
vorgemerkten Bauhandwerkerpfandrechts an. Der Klägerin setzte er Frist bis 2.
Februar 1998 an, «um beim zuständigen Vermittleramt die Forderungsklage
anzuheben», mit der Androhung, dass bei Säumnis die Sicherheit dem Beklagten
freigegeben werde. Mit Zuschrift vom 17. Februar 1998 teilte die Klägerin der
Gerichtsleitung mit, dass sie innert Frist am 26. Januar 1998 beim Vermittleramt
S. die Forderungsklage eingereicht habe. Der Zuschrift war das Protokoll des
Vermittleramtes S. vom 16. Februar 1998 beigelegt, wonach die konkursite Z. AG,
vertreten durch das Konkursamt des Kts. St. Gallen, die Forderung gemäss
Forderungseingabe vom 30. Januar 1998 anerkannte. Nachdem die Parteien einem von
der Gerichtsleitung vorbereiteten Vergleich nicht zustimmten, hielt der
Einzelrichter mit Verfügung vom 3. April 1998 fest, dass die Klägerin innert
Frist keine Klage gegen den Beklagten angehoben habe, und er ordnete die
Freigabe der Sicherheitsleistung an. Mit Eingabe vom 8. April 1998 (Poststempel:
6.4.1998) ersuchte die Klägerin um Erstreckung der mit Verfügung vom 19.
Dezember 1997 auf den 2. Februar 1998 angesetzten Frist und beantragte, dass die
Sicherstellung von Fr. 6400.– bestehen bleiben solle. Zur Begründung wurde
u.a. darauf hingewiesen, dass ihr auf Anfrage vom 26. Januar 1998 hin vom
Gerichtsschreiber am Bezirksgericht erläutert worden sei, die Klage auf
Bezahlung der offenen Rechnung sei gegen ihre Schuldnerin, die Z. AG, zu
richten. Hierauf ordnete der Einzelrichter am 9. April 1998 die Aufhebung der
Verfügung vom 3. April 1998 an und stellte die Frist zur Anhebung der Klage
beim zuständigen Vermittleramt gestützt auf § 129 GO wieder her. Innert der
bis 29. April 1998 gesetzten Frist leitete die Klägerin beim zuständigen
Vermittleramt gegen den Beklagten das Sühneverfahren ein.
C.
- Rechtzeitig innert der Weisungsfrist erhob die Klägerin gegen den Beklagten
beim Bezirksgericht «Zivilklage» mit den Rechtsbegehren:
«Betr. Bauhandwerkerpfandrecht (ZGB
837, 961, GO 79)
Die Sicherstellung, welche am 18.12.1997 bei der Kantonalbank Schwyz zwecks Löschung
der Vormerkung im Grundbuch errichtet wurde, sei bis auf weiteres weiterhin
aufrecht zu halten.
Unter Kosten- und Entschädigungsfolge zu Lasten des Beklagten.»
In
seiner Klageantwort stellte sich der beanwaltete Beklagte auf den Standpunkt,
dass die Gegenpartei mit ihren Rechtsbegehren offenbar «die Erstreckung der
Sicherheitsleistung» verlange. Das Rechtsbegehren sei falsch gestellt und die
Klage deshalb abzuweisen. Anlässlich der Referentenaudienz verzichteten die
Parteien auf Replik und Duplik.
Mit
Urteil vom 6. Juli 1999 erkannte das Bezirksgericht wie folgt:
«1. Der Pfandanspruch der Klägerin
im Umfang von Fr. 6344.05 wird definitiv festgestellt, und die vom Beklagten
geleistete Sicherstellung von Fr. 6400.– (auf Kto. Schwyzer Kantonalbank)
bleibt im Umfang von Fr. 6344.05 bestehen.
Die Sicherstellung wird dem Beklagten im Betrag von Fr. 55.95 freigegeben.»
....
D. Gegen dieses Urteil
erhebt der Beklagte am 10. August 1999 rechtzeitig Berufung beim Kantonsgericht
und beantragt, der Entscheid des Bezirksgerichtes sei aufzuheben und die Klage
sei abzuweisen, unter Kosten- und Entschädigungsfolge zu Lasten der
Gegenpartei. Der Beklagte stellt sich in der Berufungsbegründung auf den
Standpunkt, dass der Klägerin zu Unrecht die Frist für die Einleitung der
ordentlichen Klage wieder hergestellt worden sei. Mit ihrem Rechtsbegehren habe
die Klägerin zudem bloss eine Erstreckungsfrist betreffend die
Sicherheitsleistung verlangt und weder die Verifizierung ihrer angeblichen
Forderung beantragt noch ein Begehren betreffend definitivem Eintrag eines
Handwerkerpfandrechtes gestellt. Die Vorinstanz habe der Klägerin in ihrem
Urteil somit etwas zuerkannt, was sie gar nicht eingeklagt habe.
Die
Klägerin beantragt in ihrer Berufungsantwort die Abweisung der Berufung und
Bestätigung des angefochtenen Urteils.
In
Replik und Duplik halten die Parteien an ihren Anträgen und Standpunkten fest.
Aus
den Erwägungen:
1.
Die Vorinstanz hat zu Recht festgestellt, dass die Hauptfolge der gestellten
Sicherheitsleistung darin besteht, dass das Bauhandwerkerpfandrecht nicht
eingetragen werden kann bzw. ein bereits vorgemerktes oder eingetragenes
Baupfand im Grundbuch wieder gelöscht werden muss. Die Sicherheitsleistung
tritt an die Stelle der provisorischen Eintragung des gesetzlichen Pfandrechts
(Art. 839 Abs. 3 ZGB, Art. 22 Abs. 3 GBV). Die Sicherheit stellt ein Surrogat für
das Bauhandwerkerpfandrecht dar. Der Streit aber bleibt in der Sache selbst
bestehen, und zwar in demjenigen Stadium, in dem er sich vor der
Sicherheitsleistung befand. Statt der definitiven Eintragung eines gesetzlichen
Pfandrechts mit Feststellung des Betrages der pfandgesicherten Forderung hat der
Streit nun zum Gegenstand, ob und bis zu welchem Betrag die geleistete
Sicherheit schliesslich haften soll. Dem im Prozess als Kläger auftretenden
Unternehmer oder Unterakkordanten obliegt nach wie vor der Nachweis dafür, dass
ihm ein Recht zur Eintragung eines Bauhandwerkerpfandrechts zustand, dass er
alle Voraussetzungen dieses Rechtes erfüllt (Art. 837 Abs. 3 ZGB) und dass er
es innert der gesetzlichen Frist von Art. 839 ZGB geltend gemacht hat (Praxis
1984, Nr. 134; Schumacher, Das Bauhandwerkerpfandrecht, 2.A., N 906; Zobl, in
ZSR 1982 II, S. 161 in fine).
Die
Löschung des provisorisch eingetragenen Bauhandwerkerpfandrechts erfolgte am
19. Dezember 1997, nachdem der Beklagte die Sicherheit gestellt hatte. Demgemäss
war der Klägerin Frist zur Erhebung der ordentlichen Klage anzusetzen. In
Anwendung von § 182 ZPO war der Klägerin durch die Fristansetzung Gelegenheit
zu geben, Existenz und Umfang ihres Anspruches auf Pfandbestellung im
ordentlichen Verfahren feststellen zu lassen. Dieser Prozess um die definitive
Feststellung des Pfandrechts richtet sich immer gegen den Eigentümer des
Grundstücks, für das der Handwerker oder Unternehmer Arbeit oder Arbeit und
Material verwendet hat (Art. 837 Abs. 1 Ziff. 3 ZGB). Dem Unternehmer steht als
Beklagter der Grundeigentümer gegenüber, dessen Liegenschaft (ursprünglich)
mit dem Bauhandwerkerpfandrecht belastet werden sollte, an dessen Stelle aber
die Sicherheitsleitung getreten ist. Ist der Vertragspartner des Unternehmers
nicht mit dem Grundeigentümer identisch (wie vorliegend), ist er nicht
Prozesspartei. Der Prozess um definitive Feststellung des Pfandrechts ist
deshalb auch kein Forderungsprozess: Gegenstand des Prozesses sind nicht die
vertraglichen Pflichten zwischen den Werkvertragsparteien, sondern die Frage, ob
und in welchem Umfang der Grundeigentümer für die eingebrachte Werkleistung
mit seinem Grundstück (oder der gestellten Sicherheitsleistung) haftet. Mit
dieser Klage kann die Forderungsklage nur verbunden werden, wenn der Grundeigentümer
zugleich auch der Werkpreisschuldner des klagenden Unternehmers ist (Schumacher,
a.a.O., N 768 und 783).
2.
- Innert der vom Einzelrichter im vorsorglichen Eintragungsverfahren gestellten
Frist bis 2. Februar 1998 unterliess es die Klägerin, den ordentlichen Prozess
betreffend die definitive Feststellung des Pfandrechts gegen den Beklagten
einzuleiten. Dagegen hat sie – offenkundig irregeleitet durch die falsche
Fristansetzung des Einzelrichters zur Anhebung der «Forderungsklage» – gegen
ihre Werkpreisschuldnerin, die Z. AG in Konkurs, den Forderungsprozess
eingeleitet. Am 8. April 1998 stellte sie ein «Erstreckungsgesuch» (recte: ein
Wiederherstellungsgesuch) bezüglich der auf den 2. Februar 1998 angesetzten
Frist. Diesem Gesuch gab der Einzelrichter im Rahmen des Summarverfahrens statt.
a)
Über Fristansetzung und Klageeinleitung ins ordentliche Verfahren nach Leistung
einer Sicherheit stellt das Bundesrecht keine Regeln auf (vgl. Art. 839 Abs. 3
ZGB). Es gilt kantonales Prozessrecht (AGVE 1978, S. 47). In Anwendung von §
182 ZPO wird dem Kläger, wenn nach dem Erlass vorsorglicher Massnahmen eine
gerichtliche Erledigung des Rechtsstreites erforderlich ist, Frist zur
Einleitung des ordentlichen Prozesses angesetzt, unter der Androhung, dass sonst
die Massnahme dahinfalle. Diese richterliche Frist kann vom Richter erstreckt
und wiederhergestellt werden (§ 122 und § 129 GO; Frank/Sträuli/Messmer,
Kommentar zur zürcherischen Zivilprozessordnung, N 91 zu § 215; Hauser/Hauser,
Erläuterungen zum Gerichtsverfassungsgesetz des Kts. Zürich, S. 761/762;
Schumacher, a.a.O., N 760 mit zahlreichen weiteren Hinweisen).
b)
Sachlich zuständig zur Behandlung eines Wiederherstellungsgesuchs ist diejenige
Instanz, welche über die nachzuholende Prozesshandlung zu befinden hätte, wenn
die Frist nicht versäumt wäre (Hauser/Hauser, a.a.O., S. 779). Das ordentliche
Gericht – und nicht der Massnahmerichter – ist zuständig, im Rahmen der Prüfung
der Prozessvoraussetzungen zu entscheiden, ob die vom Einzelrichter gesetzte
Frist zur Klageeinleitung rechtzeitig gewahrt wurde (§ 97 ZPO; Frank/Sträuli/Messmer,
a.a.O., N 11 zu § 108). Diese von Amtes wegen vorzunehmende Prüfung umfasst
auch die Frage der fristgerechten Einleitung des Prozesses, wenn der Kläger
angehalten wurde, die Klage nicht direkt beim Gericht, sondern
beim zuständigen Vermittleramt anzuheben. Dieselbe Instanz – also das
ordentliche Gericht und nicht der Massnahmerichter – ist deshalb bei einer
Fristversäumnis zur Behandlung des Wiederherstellungsgesuches kompetent (ZR
1986, Nr. 25). Gegen diese Zuständigkeit spricht nicht der Umstand, dass ein
Wiederherstellungsbegehren häufig ein schnelles Eingreifen verlangt (wegen der
Gefahr eines definitiven Rechtsverlustes, wie hier der möglichen Freigabe der
Sicherheitsleistung). In einem solchen Fall ist der prozessleitende Richter
befugt, bis zum Entscheid über das Wiederherstellungsgesuch durch das
Kollegialgericht die erforderlichen sichernden Anordnungen zu treffen – wie
beispielsweise die vorläufige Sperrung der Sicherheitsleistung.
c)
Vorliegend war demnach nicht der Einzelrichter im Rahmen des von der Klägerin
eingeleiteten summarischen Eintragungsverfahrens, sondern das Bezirksgericht zur
Behandlung des Wiederherstellungsgesuches zuständig.
3.
Die Klägerin verlangte in ihrem Rechtsbegehren, die geleistete Sicherstellung
«sei bis auf weiteres weiterhin aufrechtzuerhalten». Demgegenüber erkannte
das Bezirksgericht, dass der Pfandanspruch der Klägerin im Umfang von Fr.
6344.05 definitiv festgestellt werde und in diesem Betrag die geleistete
Sicherstellung bestehen bleibe. Der Beklagte rügt, dass die Vorinstanz der Klägerin
damit etwas zugesprochen habe, was diese gar nicht verlangt habe. Das
Bezirksgericht stellte in diesem Zusammenhang fest, dass die Klägerin gemäss
ihrem Rechtsbegehren die Aufrechterhaltung der vom Beklagten hinterlegten
Sicherheitsleistung verlange. Zwar stelle sie nicht explizit das Begehren in dem
Sinne, dass festzustellen sei, dass ihre Forderung im Umfang der Sicherstellung
zu Recht bestehe; indessen könne ihrem Antrag im Zusammenhang mit der Klagebegründung
klar entnommen werden, dass sie um definitive Feststellung ihres Pfandanspruchs
ersuche.
a)
Die Dispositionsmaxime bedeutet, dass die Parteien befugt sind, über den
Streitgegenstand zu bestimmen. Das Gericht ist an die Anträge der
Prozessbeteiligten gebunden. So bestimmt § 50 Abs. 2 ZPO: Das Gericht darf
einer Partei nicht mehr oder anderes zusprechen, als sie selbst verlangt, und
nicht weniger, als der Gegner anerkannt hat. Daraus folgt auch der Grundsatz,
dass das Rechtsbegehren so zu formulieren ist, dass es bei gänzlicher
Gutheissung der Klage ohne Ergänzung und Verdeutlichung zum Spruch des
Gerichtes (Dispositiv des Urteils) erhoben werden kann. Grundsätzlich ist
demnach das klägerische Verlangen im Rechtsbegehren genau festzulegen. Das
erfordert auch der Grundsatz des rechtlichen Gehörs: der Beklagte muss genau
wissen, wogegen er sich zu verteidigen hat (Guldener, Schweizerisches
Zivilprozessrecht, 3. A., S. 193; Walder, Zivilprozessrecht, 4.A., § 16, Rz.
2). Auf der anderen Seite ist zu beachten, dass das Rechtsbegehren nach seinem
Sinngehalt und nach dem Grundsatz von Treu und Glauben auszulegen ist und dass
die richterliche Fragepflicht im Sinne von § 51 ZPO auch Rechtsbegehren
umfasst, die unklar, unvollständig oder unbestimmt sind.
b)
Ob die Parteien das im Prozess erstrebte Sachziel erreichen, hängt bei der
klagenden Partei in erster Linie von ihren Rechtsbegehren ab. Dies setzt eine
rechtliche Beurteilung des Sachverhaltes voraus, die insbesondere bei Laien
fehlen kann. Vogel, Grundriss des Zivilprozessrechts, 5. A., N 33 zu Kapitel 6,
spricht in diesem Zusammenhang von der Aufklärungspflicht des Richters und
verweist in diesem Zusammenhang auf Art. 3 der Bundeszivilprozessordnung, wonach
dem Richter u.a. die Pflicht auferlegt ist, «die Parteien auf unzulängliche
Rechtsbegehren aufmerksam zu machen». Auch wenn § 51 ZPO nicht explizit von «unzulänglichen
Rechtsbegehren» spricht, ist in der Praxis anerkannt, dass ungenügende «Vorbringen»
auch Rechtsbegehren umfassen. In diesem Sinne hat die richterliche Fragepflicht
nach § 51 ZPO zwei Komponenten: zum einen die Mithilfe des Richters zur
Sammlung der erheblichen Tatsachen (als Ausnahme zur Verhandlungsmaxime); zum
andern die Aufklärung über unzulängliche Rechtsbegehren, damit die Partei sie
im Rahmen zulässiger Klageänderung verdeutlichen resp. abändern kann (§§ 56
und 96 Ziff. 1 ZPO). Das heisst indessen nicht, dass das Gericht den Parteien
die Verantwortung für Antragstellung und rechtzeitiges Vorbringen abnehmen
soll, weil damit die Grundsätze der Verhandlungs- und Dispositionsmaxime ausgehöhlt
und eine auf Zeitgewinn abzielende trölerhafte Prozessführung prämiert würde.
Die richterliche Fragepflicht ist durch den Willen der befragten Partei begrenzt
und kann nicht so weit gehen, dass das Gericht die Parteien auf den für die
Urteilsfällung wesentlichen Sachverhalt hinzuweisen hätte. In der Regel genügt,
wenn es der Partei – sei es durch Befragung, etwa an der Referentenaudienz
oder durch Fristansetzung zur Nachbesserung – Gelegenheit gibt, unzulängliche
Rechtsbegehren zu korrigieren und die Sachverhaltsdarstellung zu ergänzen
(siehe auch § 95 Abs. 3 ZPO). Wie weit der Richter bei der richterlichen
Fragepflicht gehen muss und umgekehrt gehen darf, hängt von den Umständen des
einzelnen Falles ab. Es ist dem Richter ein gewisses Ermessen einzuräumen, weil
er sich in dieser Frage im Spannungsfeld zwischen der Verhandlungs- und
Dispositionsmaxime einerseits und der Feststellung der materiellen Wahrheit
anderseits befindet. Eine zu weit gehende Auffassung der richterlichen
Fragepflicht birgt zweifellos die Gefahr der Bevorzugung einer Partei gegenüber
der anderen Partei in sich (zum Ganzen: Frank/Sträuli/Messmer, a.a.O., N 2ff.
zu § 55; Walder, a.a.O., § 17 N 16; Leuch/Marbach/Kellerhals, Die
Zivilprozessordnung für den Kanton Bern, N 2.b zu Art. 89 und N 3.a zu Art.
157).
c)
Das klägerische Rechtsbegehren war offenkundig unzulänglich. Die Klägerin
verlangte bloss die Aufrechterhaltung der vom Beklagten gestellten
Sicherheitsleistung. Auch in Berücksichtigung der Klagebegründung kann dem
Antrag nicht entnommen werden, dass die Klägerin um definitive Feststellung
ihres Pfandanspruches ersucht. Das Rechtsbegehren konnte so, wie es gestellt
war, nicht zum Urteilsdispositiv erhoben werden. Es ist jedoch ohne weiteres
nachvollziehbar – dies etwa im Unterschied zu einer einfachen Forderungsklage,
dass die Klägerin als juristischer Laie Schwierigkeiten hatte, im Prozess
betreffend die definitive Feststellung der Pfandhaft und deren Umfangs das
korrekte Rechtsbegehren zu stellen. Dass es ihr in diesem Prozess letztlich aber
nur darum ging, sich für ihre Forderung aus der gestellten Sicherheitsleistung
bezahlt zu machen, ist ohne weiteres klar. Die Vorinstanz durfte es deshalb
nicht einfach beim unzulänglichen Rechtsbegehren bewenden lassen, sondern war
infolge der richterlichen Fragepflicht gehalten, auf die Verbesserung des
Rechtsbegehrens hinzuwirken. Unter den gegebenen Umständen hätte die
Gerichtsleitung zudem die richterliche Frage- bzw. Aufklärungspflicht nicht überdehnt,
wenn der Klägerin ein korrekt formuliertes Rechtsbegehren zur Genehmigung
unterbreitet worden wäre. Ein solches Vorgehen wäre im vorliegenden Fall umso
mehr angezeigt gewesen, da dieser Prozess gewissermassen die Fortsetzung des
provisorischen Eintragungsverfahrens bezüglich eines Bauhandwerkerpfandrechts
darstellt und es somit nur um die Feststellung der Existenz und des Umfangs des
klägerischen Anspruchs auf Pfandbestellung gehen konnte und um nichts anderes;
oder anders gesagt, dass es nur um die Frage gehen kann, ob und bis zu welchem
Betrag die hinterlegte Sicherheit des Beklagten für die Unternehmerforderung
haftet.
d)
Die Vorinstanz ist mit ihrem Vorgehen zum einen der richterlichen Fragepflicht
nicht nachgekommen, zum andern hat sie auch den Gehörsanspruch des Beklagten
missachtet, wenn sie die klägerischen Rechtsbegehren sozusagen erst mit der
Urteilsfällung «richtigstellte». Die beklagte Partei muss genau wissen,
wogegen sie sich zu «verteidigen» hat, und es muss ihr die Möglichkeit eingeräumt
werden, die endgültig formulierten Rechtsbegehren, die ohne Ergänzung und
Verdeutlichung zum Urteilsdispositiv erhoben werden können, zu kennen und dazu
Stellung zu nehmen. In Anbetracht der Umstände konnte sich der Beklagte in
guten Treuen auf die Kritik am ungenügenden Rechtsbegehren beschränken und war
nicht gehalten, Einwendungen gegen die definitive Feststellung der Pfandhaft
vorzubringen. Dazu kommt, dass der Beklagte in seiner Klageantwort das klägerische
Rechtsbegehren nicht in gleicher Weise interpretierte, wie es nachträglich das
Bezirksgericht im Urteilserkenntnis tat. Das Vorgehen des Bezirksgerichtes
verletzt unter diesem Aspekt betrachtet klarerweise den Gehörsanspruch des
Beklagten.
4.
Der Gehörsanspruch ist formeller Natur. Er führt unabhängig vom Nachweis
eines materiellen Interesses zur Aufhebung des angefochtenen Entscheides. Eine
Heilung der Verfahrensmängel vor Kantonsgericht kommt nicht in Betracht, weil
das Bezirksgericht seiner richterlichen Fragepflicht nicht nachgekommen ist,
dadurch das rechtliche Gehör des Beklagten beschnitten hat und vorab auch die
Frage der Wiederherstellung der Klagefrist, zu deren Beurteilung es und nicht
der Einzelrichter im Summarverfahren zuständig ist, ungeprüft liess. Zwar kann
nicht in Frage kommen, die einzelrichterliche Verfügung vom 8. April 1998
betreffend die Fristwiederherstellung aufzuheben, da diese in einem anderen
Verfahren erfolgte und zudem unangefochten blieb. Die Frage der
Wiederherstellung der Klagefrist ist im Rahmen der Prüfung der
Prozessvoraussetzungen zu beurteilen. Hält das Bezirksgericht dafür, dass die
Fristwiederherstellung zu Unrecht erfolgt ist, ist auf die Klage mangels
Vorliegens einer Prozessvoraussetzung (gehörige Einleitung des Prozesses) nicht
einzutreten und die Freigabe der Sicherheitsleistung zugunsten des Beklagten
anzuordnen (Frank/Sträuli/Messmer, a.a.O., N 11 und 22 zu § 108). Ist das
Gericht prima facie der Auffassung, die Voraussetzungen für die
Wiederherstellung der Klagefrist seien gegeben, hat es das Verfahren ohne
formelle Verfügung über diese Frage fortzusetzen. Der Klägerin ist Frist zur
Verbesserung ihres Klageantrages anzusetzen, wobei es Sache der Gerichtsleitung
ist, ihr bei der Abfassung des Rechtsbegehrens behilflich zu sein bzw. ihr einen
entsprechenden Vorschlag – zum Beispiel im Rahmen einer Referentenaudienz –
zu unterbreiten. Nach Vorliegen des korrigierten Rechtsbegehrens und einer
eventuellen Ergänzung der Klagebegründung ist dem Beklagten Gelegenheit zu
geben, sich zur Frage der Fristwiederherstellung, zu den korrigierten
Rechtsbegehren und in der Sache selbst in einer Rechtsschrift (oder einem mündlichen
Vortrag) zu äussern.
Dem
Beklagten kann, wie gesagt, nicht vorgehalten werden, er hätte sich nicht auf
die Rüge betr. ungenügender Rechtsbegehren oder der Verletzung der
Dispositionsmaxime beschränken dürfen, sondern auch in der Sache zur Frage der
Voraussetzungen und des Umfangs der Pfandhaft Stellung nehmen müssen. Der durch
das angefochtene Urteil belastete Beklagte hat Anspruch darauf, sich nach
Vorliegen korrigierter Rechtsbegehren, die zum Dispositiv des Urteils erhoben
werden können, zu äussern (Guldener, a.a.O., S. 166, Anm. 17). Diesem Anspruch
kann nur durch Rückweisung der Sache an die Vorinstanz und entsprechender
Verfahrensergänzung Rechnung getragen werden. Eine Heilung im
kantonsgerichtlichen Verfahren würde den Rechtsweg in unzulässiger Weise auf
eine einzige Instanz beschränken, nachdem aufgrund des gegebenen Streitwertes
von unter Fr. 8000.– die vorliegende Prozesssache nicht mit Berufung an das
Bundesgericht weitergezogen werden kann. Dies ist ein weiterer Grund dafür,
dass das beschriebene weitere Vorgehen nicht als formalistisch erscheint,
sondern im Hinblick auf die Wahrung der Rechte beider Parteien zwingend
notwendig ist.
5.
Weder die Klägerin noch der Beklagte haben die Umstände zu verantworten, die
zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und Rückweisung zur Verfahrensergänzung
und Neubeurteilung führen. Die Kosten des Berufungsverfahrens können deshalb
weder dem appellierenden Beklagten noch der Klägerin auferlegt werden. Kosten,
die durch einen offensichtlichen Fehlentscheid eines Gerichtes entstanden sind,
trägt diese Gerichtskasse (§ 145 Abs. 2 GO). Die mehrfache Verletzung von
Verfahrensvorschriften durch das Bezirksgericht rechtfertigt die Kostenauflage
zu Lasten der betreffenden Gerichtskasse.
Mit
Aufhebung des Urteils ist auch die Kostenfestsetzung sowie die Kosten- und
Entschädigungsregelung gemäss Dispositiv-Ziffern 2–5 aufzuheben. Das
Bezirksgericht wird mit der neuen Entscheidung neu die Kosten festzusetzen und
die Kosten- und Entschädigungsfolge zu regeln haben.
Eine
Entschädigung zu Gunsten des Beklagten und zulasten der Klägerin kann im
Berufungsverfahren nicht zugesprochen werden. Zum einen ist der Beklagte mit
seinem Antrag auf Klageabweisung nicht durchgedrungen, und zum andern hat die
Verfahrensfehler nicht die Klägerin zu verantworten. Ebenfalls kommt mangels
gesetzlicher Grundlage nicht in Betracht, dass dem Bezirksgericht die
Aufwendungen der Parteien vor Kantonsgericht aufzuerlegen sind.
(Beschluss
vom 9. Mai 2000; KG 370/99 ZK).
Schuldbetreibungs-
und Konkursrecht
– Gläubigerstellung des Kantons für direkte Bundessteuer?
Aus
den Erwägungen:
a)
In dogmatischer Hinsicht gilt es einmal die Frage der Betreibungslegitimität
von der im Rechtsöffnungsverfahren zu prüfenden Frage der Identität zwischen
Gläubiger und dem aus dem Rechtsöffnungstitel Berechtigten zu unterscheiden.
Auch wenn das Gesetz die Betreibungsparteien als Gläubiger und Schuldner
bezeichnet, ist der Gläubiger derjenige, der behauptet, gegenüber einer
Person, die er als Schuldner bezeichnet, Gläubiger zu sein. Die Betreibung kann
aber ohne jeden Nachweis der materiellen Berechtigung durchgeführt werden,
sofern sich der Betriebene nicht widersetzt (dazu Amonn/Gasser, Grundriss des
Schuldbetreibungs- und Konkursrechtes, 6. Aufl., Bern 1997, § 8, Rz. 2).
Solange sich der Schuldner gegen die Zwangsvollstreckung mithin nicht zur Wehr
setzt, genügt die blosse Behauptung, Gläubiger zu sein, als Ausweis der
Verfahrenslegitimation. Mit dem Rechtsvorschlag zwingt der Schuldner den Gläubiger
jedoch dazu, den Richter anzurufen und seine in Betreibung gesetzte Forderung in
materiellrechtlicher Hinsicht bzw. betreffend ihrer Vollstreckbarkeit überprüfen
zu lassen, wobei der Umfang der richterlichen Prüfung vom eingereichten
Rechtstitel abhängig ist (definitive oder provisorische Rechtsöffnung). Bei
der Prüfung der Frage, ob ein für die Rechtsöffnung genügender Titel
vorliegt, hat nun der Richter die materielle Frage zu prüfen, ob die im Titel
als Berechtigter ausgewiesene Person mit derjenigen, welche die Betreibung
angehoben hat, identisch ist.
b)
Die direkte Bundessteuer wird nach Art. 41ter Abs. 5 lit. b aBV für Rechnung
des Bundes von den Kantonen erhoben (Art. 128 Abs. 4 nBV). Entsprechend
bestimmen Art. 2 und Art. 104ff. bzw. 160ff. DBG (Gesetz über die direkte
Bundessteuer), dass die direkte Bundessteuer von den Kantonen unter Aufsicht des
Bundes veranlagt und bezogen wird (vgl. zum früheren Recht Art. 2 und 65ff.
BdBSt). Nach Art. 102 Abs. 1 DBG wird die Aufsicht des Bundes über die
Steuererhebung (Art. 2 DBG) vom Eidgenössischen Finanzdepartement ausgeübt
(vgl. auch Art. 65 BdBSt). Die unmittelbare Aufsicht obliegt nach Art. 102 Abs.
2 DBG der Eidgenössischen Steuerverwaltung (zum Ganzen BGE 121 II 481). Wird
die direkte Bundessteuer von den Kantonen auf Rechnung des Bundes erhoben, ist
mithin die Schweizerische Eidgenossenschaft Gläubigerin der Steuerforderung und
nicht der jeweilige mit der Erhebung (Veranlagung und Bezug) der Steuer betraute
Kanton. Daran ändert nichts, dass der Kanton in Abrechnung mit dem Bund 30% der
eingegangenen Steuerbeträge zurückbehalten kann (Art. 196 Abs. 1 DBG).
Abgesehen davon, dass ein Teil dieser drei Zehntel für den interkantonalen
Finanzausgleich verwendet werden, haben die Kantone nämlich dafür die Kosten,
die ihnen infolge der Durchführung der direkten Bundessteuern entstehen, zu
tragen (Art. 198 DBG). Die Abteilung Direkte Bundessteuer des Kantonalen
Steueramtes hat entsprechend mit dem Bund abzurechnen (§ 6 Ziff. 16 DBG Kant.
VO). Gläubigerin ist mithin die Schweizerische Eidgenossenschaft, vertreten
durch die jeweilige mit der Durchführung der Veranlagung bzw. dem Steuerbezug
betraute kantonale Behörde und nicht der Kanton.
c)
Dass die Kantone die Steuern veranlagen und beziehen (Art. 2 DBG), hat immer
noch den einfachen Grund, dass die Kantone bereits für die Erhebung der Staats-
und Gemeindesteuern vom Einkommen und Vermögen der natürlichen und
juristischen Personen einen ausgebauten Verwaltungsapparat unterhalten müssen
(so schon Masshardt, Wehrsteuerkommentar, Zürich 1980, S. 17). Auch wenn
aufgrund der besonderen Bezugsorganisation bei den direkten Bundessteuern die
mit dem Steuerbezug betrauten kantonalen Behörden auch zur Anhebung der
Schuldbetreibung verpflichtet sind, wenn das Bezugsverfahren erfolglos geblieben
ist (Blumenstein/Locher, System des Steuerrechts, 5.A., Bern 1995, S. 449, 451),
haben sie nach den gesetzlichen Vorgaben des Bundes und den Weisungen der Eidgenössischen
Steuerverwaltung (Art. 102 Abs. 2 DBG; Agner/Jung/Steinmann, Kommentar zum DBG,
Zürich 1995, S. 374ff.) Verwaltungsaufgaben auszuführen, die ihnen vom Bund
zugewiesen sind und versehen nicht originäre, kantonseigene Verwaltungsaufgaben
(Gygi, Einführung in das Verwaltungsrecht, Bern 1986, S. 47). Der Umstand, dass
der Bund die Kantone die direkten Bundessteuern veranlagen und beziehen lässt,
bewirkt nicht, dass der jeweilige Kanton in die Forderungsrechte bezüglich
dieser Steuer eintritt, auch wenn die Veranlagungsverfügung ein Entscheid einer
kantonalen Behörde gestützt auf Bundesrecht ist, der im Übrigen gestützt auf
Art. 165 Abs. 3 DBG einem vollstreckbaren Urteil gleichgestellt ist.
Es
ist auch nicht so, dass der Kanton für den Bund quasi als «Bezugsgläubiger»
prozessstandschaftsbefugt wäre. Die Verwendung der Steuererträge wird im
Bundesrecht abschliessend geregelt, weshalb keine Rede davon sein kann, dass die
Kantone über diese derart verfügen könnten, dass dem Bund das Verfügungsrecht
entzogen wäre. Die zuständige kantonale Behörde hat für den Bund die Steuer
einzukassieren und mit dem Bund abzurechnen. Dass gemäss dem Gesetz über die
direkte Bundessteuer dem Kanton eingeräumt wird, in eigenem Namen die Gläubigerrechte
des Bundes geltend zu machen, behauptet denn auch der Beschwerdeführer nicht,
will er doch eine solche Kompetenz in Analogie zu Art. 260 SchKG ableiten. Dass
der Vorderrichter eine solche Prozesstandschaft in Analogie zu Art. 260 SchKG
nicht angenommen hat, ist aber weder eine Verletzung klaren materiellen Rechts
noch willkürlich, zumal sich der Kanton im Rechtsöffnungsgesuch mit keinem
Wort auf diese Art und Weise zu legitimieren suchte. Für die Annahme, der
Kanton habe sich, analog zu einem Gläubiger, der sich nach Art. 260 Abs. 1
SchKG Rechtsansprüche der Konkursmasse, auf deren Geltendmachung die Gesamtheit
der Gläubiger verzichtet hat, das Recht, prozessieren zu können,
abtreten lassen, bietet im Übrigen die geschilderte Übertragung der
Veranlagung und des Bezuges der direkten Bundessteuer an kantonale Behörden
keinen Anlass.
d)
Die Abteilung direkte Bundessteuer des Kantonalen Steueramtes hat nicht selber,
in ihrem Namen, anstelle des steuerberechtigten Gemeinwesens irrtümlich die
Betreibung eingeleitet, sondern im Namen des Kantons eine Steuerforderung
betrieben, obwohl dieser nicht deren Gläubiger ist. Es geht vorliegend aber, um
auf die oben gemachte Unterscheidung (vgl. lit. a) zurückzukommen, nicht um die
sich im Zusammenhang mit der Betreibungslegitimität stellende, formelle Frage
der Heilbarkeit einer nicht eindeutigen Parteibezeichnung im Zahlungsbefehl, wie
etwa in Fällen, wo irrtümlich ein Verwaltungszweig anstelle der parteifähigen
politischen Gemeinde als Gläubiger auftritt oder eine Zweigniederlassung (BGE
120 III 11) anstelle der Gesellschaft, der Rechtspersönlichkeit zukommt,
sondern eben um den Nachweis der Identität zwischen dem Betreibenden und dem
aus dem Titel Berechtigten. Für die Beurteilung dieser für die Erteilung der
Rechtsöffnung in materieller Hinsicht vorausgesetzten Identität ist aber die
Praxis, dass es nichts schade, wenn die zum Bezug ermächtigte
Verwaltungsabteilung, ja sogar das der Bezugsstelle übergeordnete Gemeinwesen (BlSchKG
1978, S. 45) in der Stellung des Gläubigers im Betreibungsverfahren auftritt
(vgl. Staehelin, a.a.O., Art. 80, Rz. 132 mit Hinweisen allerdings unter der Überschrift
«Die drei Identitäten», wobei es im zitierten BGE 98 III 26 um einen
Beschwerdefall betr. der Gläubigerbezeichnung im Zahlungsbefehl ging, im
Weiteren im BGE 90 III 12 sowohl im als Rechtsöffnungstitel geltend gemachten
Kostenentscheid als auch im Zahlungsbefehl der Gläubiger deckungsgleich
fehlerhaft bezeichnet und in den angegebenen kantonalen Fällen die Frage der
unpräzisen Parteibezeichnung erwogen wurde), nicht erheblich. Im vorliegenden
Fall ist mithin nicht zu beurteilen, ob allenfalls ausgehend von einer nicht
eindeutigen Gläubigerbezeichnung im Zahlungsbefehl Heilbarkeit dieses Mangels
oder Nichtigkeit der Betreibung anzunehmen ist, je nach dem, ob dem Schuldner
berechtigte Zweifel hinsichtlich des wahren Gläubigers kommen könnten oder
nicht, sondern, ob sich die Berechtigung des Kantons als Betreibender
aufzutreten, aus den als Rechtsöffnungstitel eingereichten Urkunden ergibt oder
nicht. Die ins Recht gelegten Urkunden erbringen den Nachweis eines dem Kanton
zustehenden Rechtsöffnungstitels nicht. Sie könnten allenfalls die
Vollstreckbarkeit der 1993/94 veranlagten direkten Bundessteuern gegenüber dem
Betriebenen ausweisen (vgl. dazu unten E. 5), nicht aber die Berechtigung des
Kantons, diese Steuerforderung als Gläubiger einzuverlangen. Ein solcher
Ausweis ist auch unter Einbezug des gesamten Zusammenhanges, insbesondere der
Bestimmungen des Gesetzes über die direkte Bundessteuer, nicht klar zu
erkennen. Es ist im Fall des Bezugs der direkten Bundessteuer auch nicht klar,
ob der Kanton das mit dem Bezug der Bundessteuer betraute, der kantonalen Stelle
übergeordnete Gemeinwesen ist (oben lit. c). Die Abweisung des Rechtsöffnungsbegehrens
mit der Begründung, dass keine Identität des im Zahlungsbefehl aufgeführten
Gläubigers mit dem aus dem Rechtsöffnungstitel Berechtigten vorliege, verletzt
deshalb weder klares materielles Recht, noch ist sie willkürlich.
(Beschluss
vom 9. Februar 2000; KG 577/99 RK 2).
40
Schuldbetreibungs-
und Konkursrecht
– Erlass von Richtlinien für die Berechnung des betreibungsrechtlichen
Existenzminimums nach Art. 93 SchKG
1.
Mit Beschluss vom 22.12.1993 hat das Kantonsgericht letztmals neue Richtlinien für
die Berechnung des Notbedarfes erlassen. Die Konferenz der Betreibungs- und
Konkursbeamten der Schweiz beantragt, ab 1.3.2001 neue Richtlinien in Kraft zu
setzen, basierend auf einem Indexstand von 100,6 Punkten per Ende Oktober 2000
(Basis Mai 2000 = 100). Eine Änderung der Ansätze ist vorgesehen bei einer Überschreitung
eines Indexstandes von 110 Punkten.
2.
a) Betreffend des monatlichen Grundbetrages schlägt die Konferenz der
Betreibungs- und Konkursbeamten der Schweiz folgendes vor:
«
Für Nahrung, Kleidung und Wäsche einschliesslich deren Instandhaltung, Körper-
und Gesundheitspflege, Unterhalt der Wohnungseinrichtung, Kulturelles sowie
Auslagen für Beleuchtung, Kochstrom und/oder Gas ist in der Regel vom
monatlichen Einkommen des Schuldners folgender Grundbetrag als unumgänglich
notwendig im Sinne von Art. 93 SchKG von der Pfändung ausgeschlossen:
1.
für einen alleinstehenden Schuldner Fr. 1100.–
2.
für einen alleinerziehenden Schuldner mit Unterstützungspflichten Fr.
1250.–
3.
für ein Ehepaar oder zwei andere, eine dauernde Hausgemeinschaft
bildende erwachsene Personen Fr. 1550.–
4.
Unterhalt der Kinder
für jedes
Kind im Alter bis zu 6 Jahren
Fr. 250.–
von 6–12 Jahren
Fr. 350.–
über 12 Jahre Fr. 500.–»
b)
Diesen Vorschlägen kann nur teilweise gefolgt werden.
Die
Position «3. für ein Ehepaar oder zwei andere, eine dauernde Hausgemeinschaft
bildende erwachsene Personen Fr. 1550.–» hält einer näheren Überprüfung
nicht Stand.
Es
ist zwar bekannt, dass zwei im selben Haushalt lebende Personen etwas günstiger
leben als ein Alleinstehender. Es widerspricht aber jeder Lebenserfahrung,
anzunehmen, eine Person, welche in Hausgemeinschaft wohne, brauche für ihren
Grundbetrag Fr. 325.– pro Monat weniger als eine alleinstehende Person. Der
Grundbetrag umfasst vor allem Nahrung und Kleidung, sodass das Sparpotential für
ein Ehepaar in diesem Bereich naturgemäss gering ist. Zuzugeben ist, dass im
Bereich Beleuchtung, Strom/Gas, Putzmittel usw. gewisse Einsparungen möglich
sind, die nach Ansicht des Gerichtes aber Fr. 100.– pro Person und Monat nicht
überschreiten.
Deshalb
wird der monatliche Grundbetrag für ein Ehepaar oder zwei andere, eine dauernde
Hausgemeinschaft bildende erwachsene Personen auf Fr. 1900.– festgesetzt.
Die
übrigen Vorschläge für den monatlichen Grundbetrag können genehmigt werden.
3.
Die Ziffern II–VIII der Vorschläge der Konferenz der Betreibungs- und
Konkursbeamten der Schweiz geben zu keinen Bemerkungen Anlass und werden
genehmigt. Vorbehalten bleibt stets das pflichtgemässe Ermessen von
Betreibungsbeamten und Aufsichtsbehörde im Einzelfall; –
b
e s c h l o s s e n :
Auf
den 1.3.2001 werden folgende Richtlinien für die Berechnung des
betreibungsrechtlichen Existenzminimums in Kraft gesetzt:
Für
Nahrung, Kleidung und Wäsche einschliesslich deren Instandhaltung, Körper- und
Gesundheitspflege, Unterhalt der Wohnungseinrichtung, Kulturelles sowie Auslagen
für Beleuchtung, Kochstrom und/oder Gas ist in der Regel vom monatlichen
Einkommen des Schuldners folgender Grundbetrag als unumgänglich notwendig im
Sinne von Art. 93 SchKG von der Pfändung ausgeschlossen:
1.
für einen alleinstehenden Schuldner Fr. 1100.–
2.
für einen alleinerziehenden Schuldner mit Unterstützungspflichten Fr.
1250.–
3.
für ein Ehepaar oder zwei andere, eine dauernde Hausgemeinschaft
bildende erwachsene Personen Fr. 1900.–
4.
Unterhalt der Kinder
für jedes Kind im Alter bis zu 6
Jahren Fr. 250.–
von 6–12 Jahren Fr. 350.–
über 12 Jahre Fr. 500.–.
(Beschluss
vom 9. Januar 2001; KG 1/01 RK 2).